Neue Serie bei Disney+

Im Schussel steckt ein Superheld – Marvels „Moon Knight“ bietet Action und Komödie

Held mit Verbindung zur ägyptischen Götterwelt: Oscar Isaac spielt die Titelfigur in der neuen Marvel-Serie „Moon Knight“ – zu sehen bei Disney+.

Held mit Verbindung zur ägyptischen Götterwelt: Oscar Isaac spielt die Titelfigur in der neuen Marvel-Serie „Moon Knight“ – zu sehen bei Disney+.

Steven Grant scheint sich selbst nicht zu trauen. Er kettet nächtens seine Füße an die Bettpfosten. Das Bett wiederum ist von einem breiten Sandstreifen umgeben, damit man morgens verräterische Fußabdrücke sieht. Hat Steven sich von den Fesseln befreit, geht er als Erstes zur Wohnungstür und sieht nach, ob das Klebeband dort beschädigt ist. Erst dann beruhigt er sich und füttert seinen einflossigen Goldfisch. Steven leidet offiziell an einer dissoziativen Identitätsstörung. Er wacht schon mal an fremden Orten auf, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen ist. Er hört auch immer wieder eine Stimme aus dem Nichts. Er hat Blackouts. Er träumt wilde Sachen, die sich irgendwie viel zu lebendig anfühlen für Träume. Und er will das alles nicht mehr – deshalb die Fesseln.

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„Moon Knight“ ist bei Disney+ angekommen – eine Marvel-Comicfigur der zweiten Garnitur, deutlich entfernt von der Popularität von Großhelden wie Spider-Man, Hulk, Captain Marvel. Und doch ist dieser Vigilant schon seit 1975 in Comicheftchen unterwegs: Staubgrauer Dress, staubgraues Cape, Mumienmaske mit leuchtenden Augen. Bevor wir den Superserienhelden mit der Verbindung zur ägyptischen Mythologie kennenlernen, treffen wir auf Steven Grant, seine wohl harmloseste „Persönlichkeit“. Einen Mann, der keine Ahnung davon hat, was oder wer in ihm steckt.

Oscar Issac spielt Steven Grant als schüchternen, unterschätzten Schussel

Comicfans kennen Grant als den steinreichen Finanzmogul in „Moon Knights“ Persönlichkeitsfächer. Sie dürften überrascht sein, was Serienschöpfer Jeremy Slater aus der Figur von Doug Moench gemacht hat. Der Serien-Grant ist ein netter Geschenkeshopverkäufer in einem Londoner Museum, das sich derzeit dem Pharaonenreich der Antike widmet. Er hat den Kopf voller Wissen, aber er ist schüchtern bis zur Unsichtbarkeit, und wird von seiner Chefin vorzugsweise gedemütigt und drangsaliert. Sie nennt ihn hartnäckig Steve, was immer noch besser ist als sein Kollege Ronnie, der ihn als „Scotty“ anredet. „Ich heiße Steven mit einem ‚v‘“ klagt er ihn im Hinausgehen an. Da hat ihn Ronnie schon längst wieder vergessen.

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Oscar Isaac spielt diesen freundlichen Schussel, der immer noch zu viel Bindung an seine Mama hat, der sich abends mit Wissenspodcasts vom Einschlafen abhalten will und der seine dissoziative Störung und die Konsequenzen einem Gaukler auf der Straße erklärt, der indes nicht reagiert (der Mann lebt davon, eine stumme, lebende Bronzestatue darzustellen).

Ethan Hawke ist der Mann für charismatische Seriencharaktere

Dann erwacht Steven, eben noch in London, von einem Moment auf den anderen mit verrenktem Körper auf einer Wiese mit Alpenpanorama, wird von einer Burg aus beschossen und gelangt in ein deutsches (oder österreichisches) Dörfchen, wo ein höchst befremdliches Event stattfindet. Wie hypnotisiert versammeln sich Leute auf dem Marktplatz um einen rotgewandeten Guru namens Arthur Harrow, der hier im lauschigen Bergwiesenland im Namen der ägyptischen Göttin Ammit Gericht über seine Gefolgschaft hält. Bleibt die Waage auf seinem linken Unterarm blau und in Balance, so ist der Geprüfte ein guter Mensch und darf weiterleben. Färbt sich das bewegliche Tattoo indes rot und fällt ins Ungleichgewicht, dann ist Lebensende für den Betroffenen (in diesem Fall eine Betroffene). „Ich war ein guter Mensch“, schwört diese. Doch Ammit, die Göttin mit dem Krokodilschädel weiß mehr – denn sie bezieht angeblich auch Sündenfälle mit ein, die sich erst in der Zukunft ereignen werden.

Blick in den Spiegel: Steven Grant (Oscar Isaac) hat keine Ahnung, dass ein Superheld in ihm steckt.

Blick in den Spiegel: Steven Grant (Oscar Isaac) hat keine Ahnung, dass ein Superheld in ihm steckt.

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Auch dieser Harrow ist anders – interessanter. Aus dem Wissenschaftler der Comics ist ein Mystiker geworden, dem auch die allererste Szene der neuen Serie aus dem Marvel Cinematic Universe gehört. Mit seinem Stockknauf zerschlägt er da ein Wasserglas und füllt sich die Scherben in seine geflochtenen Schuhe, in die er alsdann schlüpft. Dazu passend singt Bob Dylan „Every Grain of Sand“ – einen der besten Songs aus seiner christlichen Phase. „Ich hänge im Gleichgewicht eines perfekt abgeschlossenen Plans“, krächzt der Rockrabe passend, während Harrow wie ein Fakir in seinen Schuhen des Schmerzes in die Welt schreitet. Ethan Hawke ist wie geschaffen für die Rolle des charismatischen Henkers. Der Filmstar hat sich den Serienfans vor knapp anderthalb Jahren doch mit seiner Rolle des zornschwitzenden Abolitionisten John Brown in der Sklavereiserie „The Good Lord Bird“ tief in die Herzen gespielt. Ein Spezialist für Charismatiker.

Erzählt wird in der ersten Folge, wie sich Steven Grant auf die Erkenntnis zubewegt, dass seine seltsamen Störungen damit zusammenhängen, dass in ihm zwischenzeitlich mindestens eine andere, deutlich kampferfahrenere Persönlichkeit auf den Einsatz wartet. Eine unheimliche Figur namens Kohnshu (F. Murray Abraham spricht den ägyptischen Gott des Mondes), spricht ihn aus dem Nichts heraus an. Fordert ihn auf, einen begehrten, offenbar Machtzuwachs versprechenden Gold-Skarabäus keinesfalls an Harrow weiterzugeben. Oder beleidigt ihn: „Oh! Der Idiot hat die Kontrolle!“ Und fordert ihn auf: „Übergib‘ den Körper an Marc!“

„Moon Knight“-Fans wissen: Marc Spector ist ein Söldner und in den Heftchen – anders als zumindest beim Auftakt der Serie – die Hauptidentität des maskierten Vigilanten „Moon Knight“. Spector ist der, der dafür verantwortlich ist, wenn nach einem sekundenlangen Filmriss Steven Grants dessen eben noch siegessicherer Angreifer auf dem Beifahrersitz plötzlich mausetot im Laderaum des Lieferwagens liegt. Während Steven keiner Fliege etwas zuleide tun kann, erledigt Mac sieben Gegner auf einen Streich und kriegt sogar Monster klein.

„Moon Knight“ – der Auftakt ist eine gelungene Actionkomödie

Als sich Sekunden vorm Abspann dann der Superheld erstmals in vollem Ornat der Kamera und dem Publikum zuwendet (und für cool befunden wird), ist eine Dreiviertelstunde zu Ende, die vordergründig eine spritzige Underdog-Komödie mit Actionelementen war, eine, bei der man sich allerbestens unterhalten hat. Dass sich die Stimmung in den bislang durchweg gelungenen Serien des MCI noch ändern kann, wissen Fans seit „WandaVision“, das als Fünfzigerjahre-Sitcom begann und höchst dramatisch endete. Behält Marc ab jetzt die Kontrolle über den multiplen „Moon Knight“, dürfte Arthur Harrow sich wärmer anziehen als bisher. Und der toughe Held dürfte Oscar Isaac auch besser zu Gesicht stehen als der Museumsschluffi, der so ernst wie vergeblich Bindungen an Menschen sucht. Am schönsten wäre freilich, wenn beide Seiten einander beim Kampf gegen das Böse weiterhin in die Quere kämen.

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„Moon Knight“, Serie, sechs Episoden, von Jeremy Slater, mit Oscar Isaac, Ethan Hawke, May Calamawy, F. Murray Abraham, Gaspard Ulliel, Lucy Thackray (streambar bei Disney+)

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