Jannik Schümann zum Umgang mit queeren Schauspielern: „Das Schubladendenken muss aufhören“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/3PTQ67QSIRCQXAPTSUR7DCXS7M.jpeg)
Schauspieler Jannik Schümann war einer von 185 Teilnehmern und Teilnehmerinnen der Kampagne #ActOut.
© Quelle: Annette Riedl/dpa
Hannover/Berlin. Der schwule Schauspieler Jannik Schümann hält nicht viel von den neuen Diversity-Leitlinien der Amazon Studios. Diese besagen, dass künftig nur noch Schauspielerinnen und Schauspieler für Produktionen engagiert werden sollen, deren Identität (also etwa das Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Behinderung) mit den Figuren, die sie spielen, übereinstimmt. Der Konzern verspricht sich dadurch, „authentischere Geschichten erzählen zu können“.
„Ich hoffe sehr, dass diese Richtlinie nicht in Deutschland eingeführt wird“, sagt Schümann dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) auf Anfrage. „Was würde das für mich bedeuten? Dürfte ich dann keine hetereosexuellen Rollen mehr spielen, weil diese Identität meiner Figur dann nicht mehr mit meiner privaten übereinstimmt? Das wäre fatal!“
Schümann war Anfang des Jahres einer von insgesamt 185 schwulen, lesbischen, bisexuellen, queeren, nicht binären und trans und Schauspielern und Schauspielerinnen, die sich im Rahmen der Kampagne #ActOut geoutet hatten. Schümann hatte bereits zuvor auf seinem Instagram-Profil ein Foto mit seinem Partner geteilt und dieses mit einem Herzchen markiert.
Verzwickte Identitätsdebatte
Mit der Kampagne #ActOut kämpfen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner gegen Stigmatisierung von queeren Personen in der Film- und Fernsehbranche. „Bisher konnten wir in unserem Beruf mit unserem Privatleben nicht offen umgehen, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten. … Das ist jetzt vorbei“, heißt es in dem Manifest. „Wir sind Schauspieler*innen. Wir müssen nicht sein, was wir spielen. Wir spielen, als wären wir es – das ist unser Beruf.“
In den USA dreht sich die Identitätsdebatte jedoch inzwischen in eine völlig andere Richtung. Die Amazon Studios, einer der erfolgreichsten Produzenten von Kinofilmen und Fernsehserien, hatten im Sommer ihr sogenanntes Inclusion Playbook veröffentlicht. Danach wird die Besetzung künftiger Filme vor und hinter der Kamera nicht nur nach genauen Geschlechter- und Herkunftsquoten festgelegt, sondern auch das Verhältnis zwischen den Schauspielern und ihren Rollen. Konkret: Queere Rollen sollen dann nur noch von queeren Personen gespielt werden, nicht etwa von heterosexuellen.
„Mein Wunsch ist es doch, dass ich in die verschiedensten Rollen schlüpfen kann, die mit meinem Privatleben nichts zu tun haben. Ich habe mir doch den Beruf ausgewählt, um mich komplett auszutoben und mich zu entfalten“, sagt Schümann zu den Plänen. „Muss ich privat ein Mörder sein, um einen Mörder zu spielen? Nein! Muss ich privat hetereosexuell sein, um einen heterosexuellen Mann zu spielen? Nein! Ich schlüpfe in eine Rolle: das macht meinen Beruf doch aus!“
Karin Hanczewski löst Debatte aus
Die Frage, wie mit queeren Darstellerinnen und Darstellern auf dem Bildschirm umzugehen sei, hatte in den vergangenen Wochen immer wieder für Diskussionen gesorgt. Nach Bekanntwerden der Amazon-Pläne, waren diese in zahlreichen Medienbeiträgen und in den sozialen Netzwerken kritisiert worden – auch von queeren Schauspielerinnen und Schauspielern selbst.
Zuletzt hatte die „Tatort“-Schauspielerin Karin Hanczewski in einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“ ihren Unmut geäußert. Auch Hanczewski hatte Anfang des Jahres im Rahmen der Kampagne #ActOut ihr öffentliches Coming-out.
„Für mich stehen (die Amazon-Leitlinien) im Widerspruch zu meinem Beruf“, so die Schauspielerin. „Ich habe ihn begonnen, weil ich mich mit etwas anderem auseinandersetzen wollte als mit mir selbst. Mit anderen Biografien, anderen Lebensrealitäten. Die Kunst eröffnet neue Sichtweisen, schafft Sichtbarkeit und vermag, vermeintliche Grenzen zu sprengen. Deshalb liebe ich Kunst.“
Ein Coming-out mit Konsequenzen
Für Hanczewski selbst hatte das Coming-out bei #ActOut derweil sogar einen negativen Nebeneffekt. „Die Rollen, die ich seit #ActOut angeboten bekomme, sind allesamt lesbisch“, so die Schauspielerin in dem Interview. Das gehe an dem vorbei, was die Kampagne #ActOut eigentlich bezwecken wollte.
„Wir sind Schauspieler:innen, wir müssen nicht sein, was wir spielen, wir tun so, als wären wir es. Das ist unser Beruf. Dass ich jetzt nur noch lesbische Rollen angeboten bekomme, ist ein Missverständnis dessen, was wir tatsächlich gesagt haben: nämlich, genau diese Grenzen zu sprengen. Ich will nicht in Schubladen gedacht werden. Mein Beruf ist das Gegenteil“, so Hanczewski.
Auch Jannik Schümann hat von Kolleginnen und Kollegen ähnliches gehört, wie er dem RND sagt. Auf seine eigene Karriere habe die Kampagne jedoch bislang keine Auswirkungen gehabt. „Auf meinen Post auf Instagram mit meinem Freund im Dezember 2020 habe ich durchweg positives Feedback bekommen und wurde regelrecht mit einer Liebeswelle überrollt. Auch meine Castinganfragen haben sich seitdem nicht verändert. Ich spiele in meinem nächsten Projekt wieder einen stark heterosexuellen Macho, der von Frauen angehimmelt wird.“
„Das Schubladendenken muss aufhören“
Auch das Management von Netflix-Star Maximilian Mundt („How to sell drugs online (fast)“) hatte auf RND-Anfrage mitgeteilt, dass sich durch die Beteiligung an #ActOut nichts an den Rollenangeboten geändert habe. Mundt habe für die kommenden Jahre zahlreiche Rollen angenommen, alle seien heterosexuell.
Schümann wünscht sich, dass die Film- und Fernsehbranche langfristig aufhört, in Schubladen zu denken. „Leider gibt es in unserer Gesellschaft immer noch zu viele Menschen, die meinen, unser Privatleben mit unserem Beruf des Schauspielers bzw. der Schauspielerin vermischen zu müssen“, sagt er – dieses Verhalten müsse sich ändern.
Vielmehr wünscht sich der 29-Jährige eine Gesellschaft, in der sexuelle Orientierung überhaupt keine Rolle mehr spielt. „Ich habe mich bewusst im vergangenen Winter dazu entschieden, lediglich ein Herz-Emoji unter mein Partnerbild zu setzen, ohne etwas zu erklären. In meiner Wunschvorstellung lebe ich in einer Gesellschaft, in der sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielt und wir darüber nicht mehr reden müssen. Ich weiß, dass dies nicht der Realität entspricht, dennoch kann ich von meiner Seite aus so handeln, als wäre es der Fall. Ich werde auch weiterhin mit meinem Partner mit einer Selbstverständlichkeit auftreten.“
RND