Kleine Jenny ganz groß: So ist die Netflix-Doku „Halbzeit“ über Jennifer Lopez
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Jennifer Lopez bei der Weltpremiere ihrer Netflix-Doku „Halbzeit“.
© Quelle: IMAGO/UPI Photo
Wenn der globale Kulturkosmos ein Drama erzählen müsste, das alle gleichermaßen berührt – es wäre wohl die alte Aufstiegsgeschichte. Vom Kohlenhändlerkind Veronica zum Fernsehinventar Ferres, vom Bolzplatz-Gerhard zum Bundeskanzler Schröder, vom Tellerwäscher Lee zum Millionär Iacocca, von ganz unten bis ganz oben also oder um ein Beispiel aus der dichtungsverliebten Showbranche zu nehmen: von Jenny from the Block zu J.Lo.
Als das Kind puerto-ricanischer Eltern in der Bronx zur Welt kam, die 1969 weder angesagt noch cool, sondern dreckig und brutal war, deutete wenig darauf hin, was aus Jennifer Lopez mal werden würde. Eine Weltmarke nämlich, bekannt wie Nike, Cola, Mercedes-Benz. Um das zu zeigen, hätte es der Netflix-Dokumentation „Halbzeit“ daher gar nicht bedurft. Um es zu verstehen, ist das Porträt der Ausnahmekünstlerin jedoch bestens geeignet.
J.Lo-Doku auf Netflix: Amanda Micheli führt Regie
Anderthalb Stunden begleitet Amanda Micheli den ersten Megastar des neuen Jahrtausends auf dem Weg zur Spitze der Aufmerksamkeitsindustrie. Macht anderthalb Stunden Aufstiegsgeschichte der handelsüblichen Art? Zum Glück nicht! Die Filmemacherin, 2017 mit ihrer Kinderwunschreportage „Vegas Baby“ bekannt geworden, steigt zwar wie alle Porträts in der Gegenwart ein, um sich durch die Vergangenheit vorwärts zu graben. Nachdem J.Lo im Juli 2019 beim 50. Geburtstag sagt, „ich habe das Gefühl, mein Leben fängt gerade erst an“, löst sich der Film von jeder Chronologie.
Der Rückblick auf Jennys Jugend im New Yorker Block bleibt nämlich kurz und sachlich. Weil die ältere Schwester klug war und die jüngere musikalisch, wird ihr Bewegungstalent zum Beruf. Und weil Mama ihr die Liebe zu Musicals vererbt, möchte auch Jennifer singen, tanzen, spielen wie Rita Moreno in der „West Side Story“: ein lateinamerikanischer Vulkan aus dem Getto mit der Kraft, selbst harten Jungs die Stirn zu bieten. Das will Jennifer auch. Und landet als Pausen-Act im Super-Bowl-Finale 2020. Die Krone des Massenentertainments. Wenngleich kein Grund zur Zufriedenheit.
Denn so selten der Film in Lopez‘ Biografie nach Gründen ihrer künftigen Laufbahn stochert, so wenig ihre Doku dabei mit Sehnsucht, Nostalgie, Gefühlen arbeitet, so sehr bleibt jede der 93 Minuten im Hier und Jetzt einer Künstlerin, die Platz eins der Unterhaltungsindustrie und dennoch kaum etwas von dem erreicht hat, was sie antreibt, was sie fordert, was sie liebt. J.Lo 2022 geht also gerade mal in die „Halbzeit“ auf dem Weg zu Anerkennung, Respekt, einer Welt, die Herkunft, Hautfarbe, Status zu Nebenrollen macht.
Doku über Jennifer Lopez: Aufstiegsgeschichte als Kontinuitätserzählung
Wir sehen J.Lo deshalb nicht nur dabei zu, die Stationen ihrer Laufbahn abzuarbeiten. Als eine Kritikerin sagt, „sie ist eine Tänzerin, die eine Schauspielerin wurde, die eine Sängerin wurde, die eine globale Ikone wurde“, spricht Jennifer Lopez folglich von den Dysfunktionalitäten ihrer Karriere. Vom gespaltenen Land zum Beispiel, über das sie zwar nicht singen, aber zusehends reden möchte. Von Rassismus und Sexismus, von Trump und dem Schmerz, zwar zwölfmal für den American Latino Media Arts Award nominiert worden zu sein und einmal gar für den Golden Globe, aber auch elfmal für den Antipreis Goldene Himbeere.
Meist fotogen gestylt, manchmal ungeschminkt, zeigt sich das wandelnde Erfolgsrezept altersloser Perfektion also als selbstbewusste, aber auch selbstironische Kritikerin der eigenen Rolle, ohne je larmoyant zu werden. Wenn sie die Oberflächlichkeit ihrer Branche kritisiert, zugleich aber nie ohne Glitzerbecher, Glitzertasche, Glitzersonnenbrillen unterwegs ist, wirkt ihre Wahrnehmung zwar hybrid. Aber Lopez, lehrt uns die Doku von der kleinen Jennifer bis zur ikonischen J.Lo, bleibt immer Jenny from the Block. Eine Aufstiegsgeschichte als Kontinuitätserzählung also. Und schon deshalb sehenswert.
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