Chefredakteur von unabhängigem TV-Sender flieht aus Russland
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Wladimir Putin ist in Moskau auf den Bildschirmen zahlreicher Fernseher zu sehen. (Archivfoto)
© Quelle: picture alliance / dpa
Moskau. Angesichts des harten Vorgehens der russischen Behörden gegen den unabhängigen Online-Sender Doschd hat Chefredakteur Tichon Dsjadko (34) das Land verlassen. Auch weitere führende Redaktionsmitglieder hätten diese Entscheidung getroffen, teilte Dsjadko am Mittwoch im Nachrichtendienst Telegram mit. „Nach der illegitimen Blockierung der Internetseite von Doschd, des Doschd-Accounts in einer Reihe sozialer Netzwerke und Drohungen gegen einige Mitarbeiter ist augenscheinlich, dass die persönliche Sicherheit von einigen von uns in Gefahr ist.“ Er sei deshalb vorübergehend ausgereist.
Doschd-Chefin Natalia Sindejewa kündigte an, der Sender werde weiter berichten. „Wir arbeiten von Moskau aus, in Moskau, solange wir im rechtlichen Bereich arbeiten können. Und wir haben nicht vor, aus irgendeinem anderen Land zu senden“, sagte Sindejewa der Staatsagentur Tass zufolge.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hatte Doschd, dessen Name auf Deutsch „Regen“ bedeutet, beschuldigt, Falschnachrichten über die Situation in der Ukraine zu verbreiten und zum Extremismus aufzurufen. Die Seiten in russischen sozialen Netzwerken wurden gesperrt, ebenso die des kritischen Senders Echo Moskwy. Dsjadko kündigte an, Doschd werde gegen die Entscheidung Berufung einlegen.
Mehrere Journalistinnen und Journalisten bereits festgenommen
Der Druck auf unabhängige Medien ist in Russland seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine noch einmal gestiegen. Die Behörden haben Journalistinnen und Journalisten verboten, Begriffe wie „Angriff“, „Krieg“ oder „Invasion“ zu verwenden. Moskau bezeichnet die Invasion im Nachbarland offiziell als „Spezial-Militäroperation“. Am Mittwoch forderte die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor die Online-Enzyklopädie Wikipedia auf, „ungenaue Informationen“ zum Konflikt in der Ukraine zu entfernen, „die darauf abzielen, russische Benutzer falsch zu informieren“. Ansonsten drohe eine Geldstrafe von bis zu vier Millionen Rubel (aktuell 31.860 Euro).
Etliche Journalistinnen und Journalisten wurden laut Reporter ohne Grenzen wegen ihrer Berichterstattung über den Krieg in den vergangenen Tagen vorübergehend festgenommen. Ihnen könnten harte Strafen drohen: Reporter ohne Grenzen berichtete am Dienstag unter Berufung auf die staatliche russische Presseagentur Ria Novosti, dass es einen Entwurf für ein Gesetz gebe, das die Verbreitung von Falschinformationen im Zusammenhang mit den „Handlungen der russischen Armee“ in der Ukraine mit bis zu 15 Jahren Haft bestrafe.
Telegram ist Russlands größtes soziales Netzwerk
Die großen westlichen Internetkonzerne wie Meta, Twitter oder Tiktok haben in Russland deutlich weniger Reichweite als etwa in den USA oder Deutschland. Das liegt auch daran, dass die Dienste in Russland zum Teil nur schlecht zu erreichen sind.
Viel wichtiger in Russland ist Telegram, das nicht nur zum Austausch von persönlichen Nachrichten dient, sondern mit seinen Diskussionsgruppen und Kanälen ein Social-Media-Netzwerk darstellt. Schätzungsweise jeder vierte russische Einwohner verfügt hier über einen Account. Hier können die russische Regierung und die Staatsmedien ungestört ihre Propaganda verteilen, ohne Faktenchecks oder Löschungen befürchten zu müssen.
RND/nis mit dpa