Dragqueen im Interview

Olivia Jones: „Die Beerdigung ist das große Finale“

Blicken dem Tod ins Auge: Olivia Jones und Steffen Hallaschka setzen sich in „Sterben für Anfänger“ mit Endlichkeit auseinander – auch mit der eigenen.

Blicken dem Tod ins Auge: Olivia Jones und Steffen Hallaschka setzen sich in „Sterben für Anfänger“ mit Endlichkeit auseinander – auch mit der eigenen.

Olivia Jones, wann haben Sie das erste Mal über die eigene Endlichkeit nachgedacht?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Eigentlich erst in der jüngeren Vergangenheit. Mein 50. Geburtstag war so etwas wie ein Weckruf, und ich dachte: Moment mal, so geht es doch nicht ewig weiter! Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich weder je über eine Patienten­verfügung nachgedacht noch über ein Testament, geschweige denn über meine eigene Beerdigung. Ich habe das einfach verdrängt, bin quasi Königin der Verdrängung. Erst durch die Doku hat sich das geändert.

Was genau?

Na, zum Beispiel, dass die Beerdigung das große Finale ist! Die muss inszeniert werden! So wie die Beisetzung von Jan Fedder, die sehr beeindruckend war und tief ging.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Ganz in schwarz – fast: Olivia Jones nimmt im Januar 2020 bei der Trauerfeier für Jan Fedder im Hamburger Michel Abschied von dem Hamburger Schauspieler.

Ganz in schwarz – fast: Olivia Jones nimmt im Januar 2020 bei der Trauerfeier für Jan Fedder im Hamburger Michel Abschied von dem Hamburger Schauspieler.

Dabei hatten Sie schon Anlass, sich mit dem Thema Tod zu beschäftigen – als Ihr Vater gestorben ist zum Beispiel.

Da dachte ich sofort: So nicht, nicht auf die Art und Weise. Sein Lebensstil hat ihn umgebracht, irgendwann schlägt es zurück. Wir wissen, dass wir uns gesund ernähren und ausreichend bewegen sollten, wir haben nur diesen einen Körper. Ich habe damit angefangen: weniger Limo, weniger Alkohol, keinen Zucker. Irgendwann macht’s auch Spaß.

Unsere Gesellschaft hat es nicht so mit dem Thema Tod, oder?

In Deutschland ist das Thema leider ein Tabuthema. Man redet nicht mit Freunden drüber, schon gar nicht innerhalb der Familie. Das ist der falsche Weg. Und das war auch nicht immer so. Der Tod gehört zum Leben dazu. In anderen Kulturen, zum Beispiel in Asien, ist das ganz anders. Mit unserer Dokuserie wollen wir das Sterben und den Tod endlich wieder auch in unserer westlichen Welt aus der Tabuzone holen.

Beim Bestatter: Steffen Hallaschka (Mitte) und Olivia Jones haben für „Sterben für Anfänger“ einen Toten für die Beisetzung hergerichtet.

Beim Bestatter: Steffen Hallaschka (Mitte) und Olivia Jones haben für „Sterben für Anfänger“ einen Toten für die Beisetzung hergerichtet.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Sie haben für „Sterben für Anfänger“ so viel mit dem Thema Tod zu tun gehabt wie wahrscheinlich die wenigsten von uns. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich habe viele Facetten rund um das Sterben kennengelernt: Ich habe Menschen mit Nahtoderfahrung getroffen, Menschen, die andere auf den letzten Metern begleiten. Ich hatte noch nie zuvor eine Leiche gesehen oder jemanden, der den eigenen Tod vor Augen hat. Gerade die Begegnungen mit Sterbenden haben mich am meisten fürs Leben gelehrt.

Was gehen Sie anders an?

Seitdem ich mich mit der Thematik auseinander­gesetzt habe, ist mir bewusster geworden, dass das Leben endlich ist. Ich genieße jetzt viel mehr. Und ich will vor allem eines nicht: auf dem Sterbebett etwas bereuen. Viele bereuen zum Schluss. Dass sie jemandem nicht verziehen, den falschen Beruf ergriffen oder etwas Bestimmtes nicht getan haben. Das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Das möchte ich so nicht. Und deswegen versuche ich, mich weniger zu ärgern, mehr zu verzeihen und auch wieder mehr von der Welt zu sehen. Ich weiß immer noch nicht genau, ob es wirklich ein Leben nach dem Tod gibt. Aber es gibt eins vor dem Tod. Ich habe gelernt, dieses Leben wieder mehr zu feiern.

Sie haben Angie kennengelernt. Eine 52‑Jährige, die an Bauch­speichel­drüsen-Krebs erkrankt ist. Lebt sie noch?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nein, sie ist in der Zwischenzeit gestorben. Sie und ihre Frau Ilona haben mich in der Art, wie sie füreinander da waren, extrem berührt. Die beiden haben im Moment gelebt und sich noch Wünsche erfüllt. Sie sind ans Meer gefahren, waren bei mir auf dem Kiez, haben zusammen gelacht, gefeiert und geweint. Und ich hatte Befürchtungen, bei meinem Besuch nicht den richtigen Kuchen dabei zu haben oder etwas Geschmackloses zu sagen. Was natürlich überhaupt keine Rolle gespielt hat. Am Ende zählen vor allem Familie, Freunde und echte Begegnungen.

Ungleiches Duo: Steffen Hallaschka und Olivia Jones machen sich in der sechsteiligen Dokuserie „Sterben für Anfänger“ auf den Weg, das Sterben zu lernen.

Ungleiches Duo: Steffen Hallaschka und Olivia Jones machen sich in der sechsteiligen Dokuserie „Sterben für Anfänger“ auf den Weg, das Sterben zu lernen.

Warum haben ausgerechnet Steffen Hallaschka und Sie die Doku gemacht?

Wir sind zwar sehr unterschiedlich, verstehen uns aber sehr gut. Ich war einige Male bei ihm und bei „Stern TV“ zu Gast. Auch er ist vor Kurzem 50 geworden, auch er hatte die Thematik bis dato verdrängt. Steffen Hallaschka und seine Frau Anne Kathrin hatten gefragt, ob ich nicht mal mit Steffen einen gemeinsamen Podcast starten möchte. Mein Manager Philip Militz kam dann mit einer besseren Idee – der Doku! Und das ist dann daraus geworden. Das war ein tolles und sehr familiäres Projekt, das wir da zu viert entwickelt haben. Das merkt man der Serie auch an. Man kommt Steffen und mir näher als je zuvor. Steffen wollte insbesondere die Last von seinen Angehörigen nehmen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, sich nicht gekümmert zu haben. Gewisse Dinge, wie die Art der Bestattung zu regeln, ist man seiner Familie schuldig.

Wie wollen Sie es denn haben?

Ich habe ja schon in meiner Autobiografie geschrieben, dass ich mich vielleicht sogar plastinieren lassen würde. Für die Doku bin ich dann ins Plastinarium von Gunter von Hagens gereist, durfte beim Plastinieren helfen. Das war krass, aber seitdem überlege ich tatsächlich, als eine Art Kunstwerk erhalten zu bleiben. Medizinstudenten könnten an einem auch noch etwas lernen. So was fände ich interessant, aber auch das muss alles ganz genau geklärt werden. Nicht, dass ich noch als letzte Pose so als Prinz auf einem weißen Pferd sitze.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wo sind Sie an Ihre Grenzen geraten?

Oft. Aber ich war bei allem trotzdem froh, dass ich sie überschritten habe. Ich habe zum Beispiel einen Toten gewaschen und für die letzte Reise angekleidet. So eine Leichenversorgung, bei der man den Mund ausspült, Plastikkappen auf die Augäpfel setzt, damit die nicht einfallen, schminkt. All das zu drehen war kein Spaziergang. Dagegen war das Dschungelcamp ein Wellnessurlaub. Normaler­weise ist Olivia für mich ja wie eine Art Schutzpanzer, aber viele der Erfahrungen gingen durch die Olivia-Rüstung durch direkt ins Herz. Trotzdem möchte ich keine der Erfahrungen missen.

„Ich habe während der Doku meine erste Leiche gesehen“

Gelacht wird aber auch.

Auch in Hospizen wird viel gelacht, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich kann ohne Humor gar nicht leben, er ist eine wichtige Stütze. Nicht nur für einen selbst, sondern auch für diejenigen, denen es schlecht geht. Und für den Zuschauer ist Humor wichtig. Wir wollen ja nicht gruselig sein, sondern die Realität abbilden, um Berührungs­ängste abzubauen. Ich habe während der Doku meine erste Leiche gesehen. Und ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell meine Ängste verliere. Jetzt wäre ich auch bereit, Freunden oder Verwandten die letzte Ehre zu erweisen und sie für die letzte Reise vorzubereiten.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Was haben Sie zuerst gemacht, als die Kameras aus waren?

Mich erst einmal hingesetzt und mir den Moment genommen, alles zu verarbeiten. Interessanterweise hat die Freude überwogen, dass ich alles gar nicht so schlimm fand wie befürchtet – ich bin weder in Ohnmacht gefallen noch wurde mir schlecht. Ich habe eigentlich immer etwas Normales und Natürliches gespürt.

Hat ihren Sarg bemalt: Olivia Jones im Gespräch mit Sieghard Wilm, Pastor an der St. Pauli-Kirche in Hamburg.

Hat ihren Sarg bemalt: Olivia Jones im Gespräch mit Sieghard Wilm, Pastor an der St. Pauli-Kirche in Hamburg.

Auch als Sie auf St. Pauli mit Kiez-Pfarrer Sieghard Wilm Ihren Sarg bemalt haben?

Es klingt makaber, aber es hatte etwas Meditatives und Reflektierendes. Auch das hätte ich nicht für möglich gehalten, dass wir uns dort so über das Leben austauschen. Am Ende hat es was, wenn bei der Beerdigung alle wissen, dass man den Sarg selbst gestaltet hat.

Haben Sie sonst alles Nötige in Sachen eigenes Ableben in die Wege geleitet?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ich bin noch dabei, es kommt eine ganz schöne Menge zusammen. Es ist auf jeden Fall die produktivste Midlife-Crisis-Bewältigung!

Olivia Jones will sich nicht mehr über Kleinigkeiten aufregen

Was ist die Quintessenz Ihrer „Sterben für Anfänger“-Erfahrung?

Seit der Doku habe ich verstanden, dass Sterben zu lernen vor allem bedeutet, leben zu lernen. Es hat mich gelehrt, dass Leben vor dem Tod kommt. Mir ist einmal mehr bewusst geworden, dass ich nichts bereuen und auf meinen Körper achten will. Ich höre genau hin, was für mich und meinen Körper wichtig ist, deshalb habe ich mir im Anschluss auch viele Auszeiten genommen. Ich will mich auch nicht mehr über Kleinigkeiten aufregen. Man wird demütig, wenn man mit Menschen spricht, die sterbenskrank sind. Und ich habe wieder mehr die Hoffnung, dass es vielleicht doch ein Leben nach dem Tod gibt.

„Sterben für Anfänger“, sechs Folgen, ab 15. März bei RTL+.

Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken