Rassismus im Dschungelcamp: Danke für die Lektion, RTL
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Nach der Verkündung, dass Janina Youssefian (links) und Linda Nobat wieder in die Dschungelprüfung müssen, eskalierte ihr Streit – und Youssefian beleidigte Nobat rassistisch.
© Quelle: RTL
„Wir müssen euch mitteilen, dass solche Äußerungen wie von Janina nicht toleriert werden können. Janina muss das Camp verlassen.“ Mit diesen Worten teilte Moderator Daniel Hartwich per Dschungeltelefon den Kandidatinnen und Kandidaten den Rauswurf von Bohlen-Ex Janina Youssefian aus „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ (IBES) mit.
RTL, bisher in eigenen Formaten wenig zimperlich bei Beleidigungen und Mobbing, greift durch – mit aller Konsequenz. Nachdem Youssefian ihre Konkurrentin Linda Nobat rassistisch beleidigt hat, half auch eine mehr erzwungene als ehrliche Entschuldigung nicht weiter und Youssefian wurde von zwei Rangern aus dem südafrikanischen Dschungel abgeholt. RTL löst den Vertrag mit der 39-Jährigen auf und lässt sie alsbald die Heimreise antreten.
Deutliche Worte im Dschungelcamp nach rassistischer Entgleisung
Wenige Stunden zuvor eskalierte ein Streit zwischen Youssefian und ihrer schwarzen Mitcamperin Nobat. Mit Beleidigungen, Beschimpfungen und Zickereien machten die beiden in den vergangenen Tagen auf sich aufmerksam und schenkten einander nichts.
Trauriger Höhepunkt: eine Auseinandersetzung, nachdem beide erfuhren, wieder gemeinsam in eine Dschungelprüfung zu müssen. Dann fielen in eben jenem Beleidigungsexzess zwei Sätze, die alles veränderten. „Geh doch in den Busch wieder zurück, wo du hingehörst“, sagte Youssefian zunächst von der wütend herumbrüllenden Nobat unbemerkt, wiederholte aber kurz darauf: „Geh doch in den Busch wieder.“ Das nahmen dann auch Nobat und die Mitcamperinnen und Mitcamper zur Kenntnis.
„Solche Aussagen sind scheiße“, quittierte Jasmin Herren sofort. „Janina, entschuldige dich dafür, das ist ganz, ganz, ganz schlimm“, sagte Anouschka Renzi in Richtung Youssefian, „das ist rassistisch.“ Harald Glööckler fand am Lagerfeuer deutliche Worte: „Das geht gar nicht, das ist rassistisch und das geht nicht.“ Und auch Tara Tabitha redete Youssefian ins Gewissen: „Das (sic!) Kommentar mit dem Busch kannst du wirklich nicht sagen!“
Dschungelkandidaten applaudieren nach Youssefian-Rauswurf
RTL bewertete den Vorfall genauso und warf Youssefian aus der Sendung. Unter den Kandidatinnen und Kandidaten gab es für diese Entscheidung Applaus. Auch weil das Team im Camp so deutlich Stellung bezog, hatte RTL in diesem Fall leichtes Spiel: Die Teilnehmenden selbst waren es, die den Rassismus als solchen benannten, sie waren es, die Youssefian permanent auf das Fehlverhalten hinwiesen und eine Entschuldigung erwirkten.
RTL musste nur noch Konsequenzen ziehen. Der Sender ließ die Hasstiraden von Nobat ungeahndet (wohl auch, weil sie der Quote dienen) und warf Youssefian wegen der zwei getätigten Busch-Sätze hinaus. Während Youssefian mehrfach noch im Dschungel anprangerte, dass Nobat sie übel beleidigt habe, und auf ihrem Instagram-Profil am Mittwoch schrieb, auch Nobat hätte wegen der Beleidigungen gehen müssen, wertet RTL die Vorkommnisse anders.
Warum eine rassistische Beleidigung anders als eine persönliche Beleidigung ist
Der Sender unterscheidet zwischen Beleidigungen gegen eine Person und rassistischen Beleidigungen gegen Menschen anderer Hautfarbe. So war Nobat zwar alles andere als zimperlich, bezeichnete Youssefian etwa als „dumme Bitch“. Diese hingegen beleidigte nicht nur Nobat als Person, sondern ihre Herkunft. Damit unterstellt sie, dass Nobat, deren Eltern aus Kamerun nach Deutschland kamen, wegen dieser Herkunft solch ein Verhalten zeige. Fehlverhalten wird also nicht mehr Nobat als Person und ihren Charaktereigenschaften zugeschrieben, sondern der Tatsache, dass sie schwarz ist und ihre Eltern aus Afrika stammen.
Nach mehrmaligen Aufforderungen der Kandidatinnen und Kandidaten bat Youssefian am nächsten Morgen um Entschuldigung – Nobat registrierte das, sagte sie, nahm die Entschuldigung aber nicht an. Es sei nicht so gemeint gewesen, sagte Youssefian, die im Iran geboren ist und 15 Jahre dort gelebt hat. Sie wollte Nobat umarmen, „glaubst du, ich bin eine Rassistin?“, fragte sie. Doch Nobat wandte sich ab.
Es folgte eine Premiere im deutschen Fernsehen: Unaufgeregt und nüchtern wurde der Rauswurf verkündet. In den sozialen Netzwerken gab es viel Lob für das Handling. Keine Witze, keine dramatische Musik, keine Dutzenden Wiederholungen. Während einige Zuschauerinnen und Zuschauer den Rauswurf für alternativlos halten und als richtig empfinden, gehen andere mit Youssefian d‘accord, wonach auch Nobat hätte rausgeworfen werden müssen.
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Rassismuseklat im Dschungelcamp sagt viel über die deutsche Gesellschaft aus
Der Vorfall im Dschungelcamp offenbart jedoch viel mehr – es ist keine Sache, die sich nur zwischen zwei Reality-TV-Sternchen zutrug und niemanden weiter etwas angeht. Vielmehr erzählt dieser Vorfall mehr über die Gesellschaft in Deutschland im Jahr 2022, als vielen wohl bewusst ist – nicht nur, weil RTL diesen Unterschied zwischen persönlicher und rassistischer Beleidigung macht. Und deshalb ist es auch richtig und wichtig gewesen, dass RTL die Szenen ausgestrahlt hat.
Die Äußerungen von Youssefian waren unbedacht und wahrscheinlich tatsächlich „nicht so gemeint“. Das Problem: Nicht so gemeint ist in dem Fall trotzdem gesagt.
„Ihr könnt mal eine Umfrage machen, wie oft sich jemand dann anhören muss: ‚Das war aber nicht so gemeint‘“, sagte Nobat im Interview. In Deutschland und der weiß dominierten Welt herrscht immer noch der Irrglaube, Rassismus sei nur, was offensichtlich, offen und direkt kommuniziert und gemeint sei. Rassisten sind Neonazis, Rechtsextreme, Rechtsradikale, aber nicht normale Bürgerinnen und Bürger, denen mal etwas „nicht so Gemeintes“ rausrutscht. Und vor allem keine Menschen, die selbst Migrationshintergrund haben – die erleben schließlich auch selbst immer wieder Rassismus.
Rassistisches Gedankengut ist oft unbewusst und tief verankert
Eine ähnliche Diskussion gab es in Deutschland vor nicht allzu langer Zeit, als beim Einzelzeitfahren bei den Olympischen Spielen im August der Sportdirektor des Bund Deutscher Radfahrer, Patrick Moster, den Rennfahrer Nikias Arndt mit dem Ruf „Hol‘ die Kameltreiber“ anfeuerte. Moster, der aus Japan abreisen musste und von seinen Aufgaben entbunden wurde, sagte später zu seiner Verteidigung, die Worte seien ihm herausgerutscht.
Genau hier liegt aber der Irrtum. Die Aussagen von Youssefian und Moster offenbaren, wie tief verankert rassistisches Denken in Menschen steckt – hätten sie die Gedanken nicht vorher schon gehabt, wären sie in diesen Szenen nicht im Affekt ausgesprochen worden. Die Worte mögen nicht beabsichtigt und nicht bewusst rassistisch gewählt worden sein, sie legen dennoch rassistische Grundstrukturen offen.
Diese Strukturen ziehen sich durch alle Bereiche – und führen zu einer permanenten Abwertung von Black People/People of Color (BPoC) in Deutschland. Mit einem „nicht so gemeint“ ist der Absender fein raus. Statt sich der unbequemen Wahrheit über sich selbst zu stellen und das eigene Handeln zu reflektieren, befreit man sich damit selbst vom Vorwurf, rassistisches Gedankengut zu haben oder Rassismus zu verbreiten.
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Janina Youssefian (links) und Linda Nobat konnten sich von Beginn an nicht ausstehen - und wurden von den Zuschauerinnen und Zuschauern genau deshalb zusammen in die Dschungelprüfung "Das Traumahaus der Stars" gewählt.
© Quelle: RTL
Unbewusster Rassismus: Was jeder dagegen tun kann
Bemerkenswert ist auch, wie Nobat den Vorfall einordnet. „Ich bin in der Situation, in der ich gerade bin, zum einhundertmillionsten Mal. Das hier ist nicht neu für mich“, berichtet sie. Über den Rauswurf sagt sie, es sei zum ersten Mal in ihrem Leben so, „dass etwas so gerecht gemacht wird“. Dieser Satz offenbart, wie wenig ernst Rassismus in Deutschland 2022 immer noch genommen wird – trotz Black Lives Matter und Antirassismuskampagnen.
Sollte es stimmen, dass rassistische Äußerungen ihr gegenüber nie Folgen hatten, ist das eine Bankrotterklärung der Gesellschaft. Immerhin handelt es sich in Deutschland um eine Straftat, die mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden kann.
Hier sind wir alle gefragt: Es gilt, bei Vorfällen hinzuhören und einzuschreiten. Es gilt Menschen, die Rassismuserfahrungen haben, zuzuhören und ihnen nicht mit Sätzen wie „Ich mache keinen Unterschied in der Hautfarbe“ zu entgegnen, da sie erlebte rassistische Diskriminierung abwerten. Vor allem aber gilt, immer wieder das eigene Verhalten, das eigene Denken, das eigene Handeln zu reflektieren und sich rassistische Strukturen bewusst zu machen (gut erklärt in den Büchern und Hörbüchern „Exit Racism“ von Tupoka Ogette und „Was Deutsche nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ von Alice Hasters).
Es tut weh, festzustellen und damit konfrontiert zu werden, dass man selbst rassistische Gedanken hegt, obwohl man Rassismus zutiefst verabscheut. Aber nur so wird struktureller Rassismus im ersten Schritt sichtbar, im zweiten Schritt bekämpft.
Dschungelstars als Vorbild für den Umgang mit Rassismus
Bemerkenswert ist genau deshalb auch der Umgang der anderen Teilnehmenden von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“. Sie benannten den Rassismus an Ort und Stelle und sie waren es, die sich vereint auf die Seite von Linda Nobat schlugen, selbst wenn sie anderweitig Differenzen mit ihr haben. Sie erkannten, dass eine rassistische Beleidigung keine der üblichen Beleidigungen ist und auch, dass zu keinem Zeitpunkt Rassismus eine Antwort auf Fehlverhalten oder schlechte Charaktereigenschaften sein kann. Sie reagierten schlicht genauso, wie es sein sollte – und werden damit zu Vorbildern in einer Debatte, die uns noch lange begleiten wird.
Die Dschungelstars relativierten nicht und suchten keine Ausreden für Youssefian – zumindest wurden keine von RTL ausgestrahlt. Sie standen zusammen, applaudierten und beim Rauswurf – selbst jene, die im Dauerstreit Janina Youssefian gegen Linda Nobat eigentlich Team Janina waren, wie Harald Glööckler. Oder wie Erik Stehfest nach der Entscheidung sagte: „Das wird heute nicht mehr geduldet. Punkt.“
Nach Mobbing-Kritik: RTL wirft erstmals Kandidatin aus einem Reality-Format
Bei RTL ist der Rauswurf aus solch einem Format ein Novum - und zeigt womöglich, wo das Privatfernsehen hingeht. Beim Mobbing in der Sendung „Das Sommerhaus der Stars“ oder bei homophoben Äußerungen im Sat-1-Format „Promis unter Palmen“ waren es jeweils Mitkandidatinnen und Mitkandidaten, die die Übeltäter aus der Show wählten, nicht die Sender selbst. Das sorgte für reichlich Kritik. Zwar gab es schon Vorfälle, in denen Personen wegen radikaler Aussagen außerhalb der Sendungen aus Shows ausgeschlossen wurden (DJ Tomekk im Dschungelcamp 2008, nachdem ein Video mit dem Hitler-Gruß auftauchte, Michael Wendler und Xavier Naidoo wegen Verschwörungstheorien bei „Deutschland sucht den Superstar“), im Fernsehen war das aber nie zu sehen.
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Hat RTL durch die Kritik an „Das Sommerhaus der Stars“ gelernt? Möglich. Dass allerdings Matthias Mangiapane, immer wieder mit Mobbing-Vorwürfen konfrontiert, zur Dschungelshow „Die Stunde danach“ kam, sorgte in diesem Zusammenhang für Unverständnis in sozialen Netzwerken. Auch andere Personen, denen immer wieder Tyrannei vorgeworfen wird – wie etwa Desirée Nick – sind weiterhin gern gesehene Gäste bei RTL.
Eskalation und persönliche Beleidigungen sind also offenbar nach wie vor gerne gesehen bei RTL, bei Rassismus aber ist selbst fürs Trash-TV eine Grenze erreicht.