Romy-Schneider-Alarm

„Die Kaiserin“, die gut sein wollte – Sisi legt bei Netflix los

Innige Liebe: Eigentlich sollten Sisi (Devrim Lingnau) und Franz-Joseph (Philip Froissant) den Hochzeitswalzer proben. Aber während Komponist Johann Strauß im Nachbarsaal weltvergessen in die Tasten seines Flügels haut, knutschen die Royals lieber im Nachbarzimmer. Szene aus der Serie „Die Kaiserin“ (international: The Empress). Foto: -/Netflix/dpa

Innige Liebe: Eigentlich sollten Sisi (Devrim Lingnau) und Franz-Joseph (Philip Froissant) den Hochzeitswalzer proben. Aber während Komponist Johann Strauß im Nachbarsaal weltvergessen in die Tasten seines Flügels haut, knutschen die Royals lieber im Nachbarzimmer. Szene aus der Serie „Die Kaiserin“ (international: The Empress). Foto: -/Netflix/dpa

Sisi hat „ihren eigenen Kopf“, wie man sagt – so als könne man wahlweise einen fremden haben. Eine Kaiserin dürfe keine Schuhe zweimal tragen, jedes Paar würde nach einem Tag entsorgt, wird der 16-Jährigen am Tag vor der Vermählung mitgeteilt. „Das ist doch Verschwendung“, befindet die kaiserliche Braut erstaunt.

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„Das ist Schönbrunn“, wird ihr kalt mitgeteilt. Klingt nach „Akzeptier‘ das – oder verpiss dich.“ Das wird sie nicht auf sich sitzen lassen und viel später – in der Schlüsselszene der neuen Netflix-Serie „Die Kaiserin“ – entsprechend beantworten.

In der Hochzeitsnacht sausen die Polizeiknüppel

Der Hof Habsburg darf alles, er hat noch keine Revolution erlebt. Die Kaisermutter und heimliche Herrscherin der k.u.k.-Monarchie, Erzherzogin Sophie (Melika Foroutan), ist von oben herab – entfremdet vom Volk, selbiges verachtend. Dessen erste Reihen jubeln dem frisch getrauten Kaiserpaar Sisi und Franz-Joseph fähnchenschwenkend zu. Aber in den Hinterzimmern der Hauptstadt gärt die Freiheit. Erst recht, als parallel zum Hochzeitsball Polizeiknüppel auf die Schädel der Unzufriedenen herabsausen.

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Der Netflix-Sechsteiler „Die Kaiserin“ bebildert ein weiteres Mal das Leben der beherzten Wittelsbacher Prinzessin der Nebenlinie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen (1837-1898). Die Geschichte eines lebensfrohen Vögelchens im goldenen Käfig wurde im Nachkriegs- und Wirtschaftswunderland in der Verkörperung der blutjungen Romy Schneider zur liebsten Royalsoperette der kurz zuvor entnazifizierten Deutschen.

Optisch ähnlich prunkvoll wie die alte Trilogie von Regisseur Ernst Marischka ist die neue Serie geraten – in der gewaltige Abendroben rauschen, Colliers und Epauletten glitzern, das Orchester beim Hochzeitswalzer mächtig auf den Putz haut und Liebe und Etikette einander mit Worten und Säbeln befehden.

Devrim Lingnau ist eine Sisi der (Zuschauer-)Herzen

Und es herrscht auch Romy-Romantik-Alarm! Die 24-jährige Devrim Lingnau ist vom ersten Bild an eine Sisi der Herzen. Ihr Lächeln ist süß und frech, man verschießt sich in ihre blitzenden Augen, ihre zupackende Art, ihre treffsicheren Widerworte und ihr ruhiges Blut in höchster Not. In buchstäblich letzter Sekunde rettet sie dem Zarewitsch Alexander das Leben, als sie auf einer Jagd einen fuchsteufelswild heranstürmenden Keiler erlegt, den dieser zweimal verfehlt hat.

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Und sie geht in die Fabriken und erlebt das Elend der Menschen, die sich für einen Hungerlohn krankschuften. Die neueste Medien-Sisi ist nicht nur willens, der Etikette und ihrer Schwiegermutter zu trotzen und dem Patriarchat die Stirn zu bieten. Sie kann auch Menschen verstoßen und sie kann sich sogar rächen. Auch an ihrem „Franz“, den Philip Froissant als schmucken uniformierten Milchbart von leider nicht dauerhafter Würde und Demut spielt.

Eisenbahn statt Front – Franz-Josephs gute Anfänge

Er ist ein sanfter Fürst, den die Verantwortung auffrisst und dessen Intellekt einfachen Lösungen im Weg ist. England und Frankreich ziehen gegen Russland. Der „osmanische Kuchen“ soll verteilt werden. Die Minister wollen den Kaiser zu einer Kriegsteilnahme bringen. Franz-Joseph dagegen will Frieden und eine Eisenbahn durchs Reich, das endlich Anschluss finden soll ans Industriezeitalter. Und wird seine Soldaten dann doch gen russische Grenze schicken.

Es blühen die Intrigen – die von Kaiserbruder Maximilian (Johannes Nussbaum), der hartleibig darauf aus ist, Kaiser zu werden an des Kaisers statt (und Sisis Liebster an ihres Gatten statt), die von den kriegstreibenden Politikern, und die einer alten, verstoßenen Konkubine (Svenja Jung), die nicht lassen kann von ihrem Kaiser. Eine der Hofdamen (Almila Bagriacik) ist schließlich die Spionin von Anarchisten, die Sisi gern einen Kopf kürzer machen würden. Viel Stoff – manches ist historisch verbürgt, so einiges dazuerfunden.

In „Die Kaiserin“ blitzt auch schon mal der kaiserliche Busen, der Eros geht über Romy Schneiders (der Entstehungszeit ihrer Filme geschuldetem) keuschen Bussi-Bussi hinaus. Er bleibt aber stimmig und ist nicht darauf aus, die inzwischen betagtere Generation Marischka unter den Zuschauern mit der Dildo-Explizitheit der letztjährigen RTL+-„Sisi“ zu verschrecken.

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Die Gegenwärtigkeit der „Kaiserin“-Serie wirkt bemüht

Man wollte natürlich eine irgendwie moderne Serie, eine Sisi, die Gegenwart in sich trägt à la Vicky Krieps, die jüngst im Kinofilm „Corsage“ (2022) ihrer Entourage mit dem Stinkefinger den Rücken kehrte und den Kammerdiener ihres Mannes „Arschloch“ nannte.

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Das ging im Fall von „Die Kaiserin“ schief. So finden sich anachronistisch anmutende Äußerlichkeiten: Sisi-Schwester Helene (Elisa Schlott) sieht aus, als käme sie frisch vom „Babylon Berlin“-Set, die dämonische Haarhaube der auch sonst gruseligen Hofdame, Gräfin Esterhazy (Wiebke Puls) erinnert an Gary Oldman in „Dracula“. Eine Walzer-Formation verfällt plötzlich in einen unzeitgemäßen Ausdruckstanz. „Du benimmst dich wie ein Arschloch“, sagt Sisi Explizites – adressiert an ihren Vater. „Scheiße!“, schreit der sonst so formvollendete Franz-Joseph nach einem geplatzten Deal mit der Bank.

Weil die visuellen und sprachlichen Querschläger von Autorin Katharina Eyssen und dem Regieteam Katrin Gebbe und Florian Gossen arg zögerlich verwendet werden, wirken sie irgendwie falsch in Schönbrunn.

Die Liebe zwischen Kaisers kommt auf den Prüfstand

„Ich hoffe, die Menschen werden sich daran erinnern, dass ich eine gute Kaiserin war“, erhofft sich Sisi beim Spaziergang mit der Gemahlin des Zaren. Bald schon kann sich der Kaiser nicht mehr daran erinnern, dass es die unverstellte und freidenkerische Sisi war, die ihn noch vor nicht allzu langer Zeit erobert hatte. Die Emanzipation wächst, die Liebe kommt auf den Prüfstand.

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Mag auch die letzte Szene mit ihrem heiligen Klassenüberwindungspathos heillos im Sozialkitsch versinken, werden wir uns daran erinnern, dass Devrim Lingnau gut war als Kaiserin. Spätestens nächstes Jahr, wenn die zweite Staffel kommt. Von wegen Miniserie!

„Die Kaiserin“, erste Staffel, sechs Folgen, mit Devrim Lingnau, Philip Froissant, Meika Foroutan, Johannes Nussbaum (ab 29. September bei Netflix)

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