„Tatort“-Star Margarita Broich: „Beim Drehen bekommt man das eigene Alter mehr zu spüren“
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Margarita Broich als Kommissarin Anna Janneke mit Wolfram Koch als Paul Brix an ihrer Seite beim „Tatort“-Dreh.
© Quelle: HR/Degeto/Bettina Müller
Der neue „Tatort: Wer zögert, ist tot“ hat seinen Titel durch die Aussage der Leiterin eines Kampfsportstudios bekommen, die ergänzend meint: „Wir Frauen sind schlichtweg zu nett erzogen.“ Wie sehen Sie das?
Die Erziehung ist vielleicht ein Punkt, aber das Problem ist vor allem, dass wir Frauen Männern in der Regel körperlich unterlegen sind. Im neuen „Tatort“ werden Frauen in einem Sportstudio ausgebildet, die schlimme Erfahrungen gemacht haben, und ihnen wird beigebracht, wie sie sich wehren können.
Haben Sie mal Selbstverteidigung oder Kampfsport gelernt?
Ich habe eine Zeit lang Aikido und Karate gemacht, aber nicht aus Selbstverteidigungsgründen. Mir liegt einfach aktiver Sport mehr als in sich gehende Meditationsübungen. Wenn jemand mir einredet, dass ich ganz ruhig bin, werde ich erst recht nervös. Ich werde eher ruhig, wenn ich mich verausgabe. Da war Karate genau richtig.
Gab es Situationen, in denen Sie wie eine der Frauenfiguren im Film Pfefferspray bei sich hatten, weil Sie sich unsicher gefühlt haben?
Nein, Pfefferspray hatte ich nie, obwohl ich kein wirklich mutiger Mensch bin. Abends im Dunkeln, wenn kein Mensch da ist, fürchte ich mich. Daher fühle ich mich manchmal in einsamen, schickeren Gegenden mit Einfamilienhäusern unwohler als im rauen, aber belebten Bahnhofsviertel in Frankfurt. Das war übrigens schon so, als ich als junges Mädchen oft im Morgengrauen nach Hause gekommen bin. Ich war trotz Karate nicht entspannt und etwas ängstlich.
Ist das bis heute so?
Zumindest will mir jetzt keiner mehr an die Wäsche. Und die Handtasche würde ich direkt weggeben. (lacht) Ich bin im Dunkeln immer noch ängstlich. Ich könnte nicht abends einfach allein durch ein kleines Waldstück gehen. Das würde ich nie machen. Ich war mein Leben lang ziemlich vorsichtig. Aber ich bin mit 18 nach der Schule mal drei Monate in Amerika und Mexiko unterwegs gewesen. Das muss ein Horror für meine Mutter gewesen sein. Wenn ich wüsste, dass das eines meiner Kinder machen würde, würde ich es wahrscheinlich vorher im Zimmer einschließen. (lacht)
Es geht im Krimi auch um Frauen, die trotz harter Arbeit am Existenzminimum leben. „Alle diese Frauen buckeln sich krumm und kommen auf keinen grünen Zweig“, meint Janneke. Waren Sie in Ihrer Karriere schon mal an so einem Punkt?
Ich freue mich bis heute, dass ich mit diesem Beruf immer meine Miete zahlen konnte und meine Kinder immer was zu essen hatten. Wenn man auf die Schauspielschule geht, geht man zunächst nicht davon aus. Man kennt so viele nette Taxifahrer oder Kellner, die erzählen, dass sie auch Schauspielunterricht nehmen, und die auf zwei Schauplätzen arbeiten müssen. Das war bei mir nicht der Fall. Nur als Anfängerin am Theater – da hatte ich aber noch keine Kinder – war es ziemlich knapp. Das wurde später etwas besser, aber am Theater kann man nicht reich werden. Ich gehöre nicht zu den Schauspielern, die schon immer wussten, dass sie Schauspieler werden. Ich liebe den Beruf, aber wenn es nicht geklappt hätte, hätte ich etwas anderes gemacht.
Was hätten Sie dann gemacht?
Ich hatte mich an der Hochschule der Künste auch für Kostüm und Bühnenbild beworben und bin sogar angenommen worden. Oder ich hätte ein Restaurant aufgemacht, weil ich so gern esse und trinke. Ich hätte sofort auf andere Pferde umgesattelt, wenn das nicht geklappt hätte. Aber jetzt ist es toll. Meinen Kindern konnte ich immer sagen „Mama geht jetzt spielen“, und davon konnten wir sogar ganz gut leben. Das ist doch irre. (lacht)
Wie war der Job damals mit Ihren Kindern vereinbar und sehen Sie da eine Veränderung zu heute?
Als ich am Theater anfing, war es nicht so, dass da besonders Rücksicht drauf genommen wurde. Ich wollte mein Leben lang gern arbeiten und wollte auch Kinder haben, und dann musste ich eben eine Zeit lang weniger schlafen. (lacht) Ich finde aber schon, dass sich das gebessert hat. Da ist aber trotzdem sicherlich noch viel zu tun. Am Theater habe ich meine Kinder einfach immer mitgeschleppt. Die sind unter meinem Garderobentisch im Theater groß geworden und jeder, der dort arbeitete, hat mal aufgepasst.
Wie oft sehen Sie heute Ihre mittlerweile erwachsenen Söhne?
Normalerweise sehe ich meine Söhne ständig, weil der eine auch in Berlin ist und der andere in Basel, wo ich ihn gerne und regelmäßig besuche. Aber durch Corona war das schwierig. Ich bin Oma geworden und konnte mein Enkelkind kaum sehen. In den Zeiten, als alle um alle Angst hatten – auch meine Kinder hatten um mich Angst –, gab es viele Wochen und Monate, in denen man sich nicht in den Arm nehmen konnte. Das war schon traurig.
Zurück zum „Tatort“: Eine größere Rolle spielt wieder die Nebenfigur der transsexuellen Fanny. Finden Sie, es sollte mehr solcher diverser Figuren im „Tatort“ geben?
Für mich ist Fanny Verwandtschaft. (lacht) Die Schauspielerin Zazie de Paris, die Fanny spielt, ist die Patentante meiner Kinder. Wir sehen uns fast täglich. Seit nunmehr 30 Jahren feiern wir Weihnachten zusammen. Zazie hat meinen Kindern Lateinvokabeln abgehört, wenn ich keine Geduld mehr hatte. Sie ist eine fabelhafte Patentante und einer der wichtigsten Menschen für meine Kinder. Insofern ist Fanny für mich Fanny. Aber ich finde alles, was das Fernsehen ein bisschen lustiger und bunter und lauter werden lässt, gut. Vieles hat sich da ja schon bewegt. Auch beim Theater verändert sich vieles. Früher war es undenkbar, dass etwa meine Freundin Amira, die Ägypterin ist, als Minna von Barnhelm besetzt worden wäre. Da hat sich Gott sei Dank vieles geändert.
Apropos Diversität: Sie sind jetzt Anfang 60. Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass mit dem Alter die Rollenangebote zurückgegangen sind oder sich verändert haben?
Angebote gibt es immer, aber die Rollen verändern sich, weil ich jetzt auch Omas spiele. (lacht) Als quietschiger Rock-’n’-Roll-Star werde ich nicht mehr besetzt. Der Film bildet die Gesellschaft ab. Da gibt es auch Kinder, 20-Jährige, 40-Jährige und eben auch 60-Jährige. Wer soll das spielen, wenn nicht ich? Ich war schon Mitte 40, als ich mit Fernsehen angefangen und beim Theater gekündigt habe. Da war der Lack sowieso schon ab. (lacht) Beim Drehen bekommt man das eigene Alter mehr zu spüren als im Theater. Also: Jetzt kann sie noch Kinder kriegen, jetzt kann sie keine Kinder mehr kriegen, jetzt sind die Kinder jugendlich, jetzt erwachsen. Das ist im Theater eher irrelevant. Da kann ich mit 60 eine 40- oder 90-Jährige spielen; die Leute sitzen ja ziemlich weit weg. Vor der Kamera kann man nicht zehn Jahre hoch- oder runterspielen.
Der neue „Tatort: Wer zögert, ist tot“ mit Margarita Broich und Wolfram Koch läuft am Sonntag, 29. August, ab 20.15 Uhr im Ersten.