„Tiger King“-Fortsetzung auf Netflix: fast zu bizarr ist, um wahr zu sein
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Alter Bekannter: Auch Jeff Lowe ist in der zweiten Staffel von „Tiger King" zu sehen.
© Quelle: Netflix
Wer den Tiger reitet, lautet ein chinesisches Sprichwort, kann kaum absteigen. Zu viel Energie und Kraft stecke im einzig wahren Dschungelkönig, zu viel Leben und Macht, um ihn in vollem Lauf zu stoppen. Wer könnte das besser zeigen als einer, der Hunderte davon im Garten hat: Joseph Allen Maldonado-Passage, genannt Joe Exotic, und als solcher Titelfigur einer Dokuserie, die vor 20 Monaten vielleicht mehr Menschen von der Straße ferngehalten hat als jeder Lockdown.
Wenn „Tiger King“ nun mit der 2. Staffel zurückkehrt, zeigt sich, dass der fernöstliche Sinnspruch auch fürs zuständige Portal gilt. Netflix kann ja schon deshalb nicht vom Sensationserfolg des ersten Pandemiefrühlings lassen, weil die realsatirische True Crime acht Folgen lang Streamingrekord an Streamingrekord reihte. Also reitet die Plattform weiter. Und weiter. Und weiter. Und das geht im Angesicht einer dritten Staffel, über die bereits vor Ausstrahlung der zweiten diskutiert wird, wie folgt.
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Joe Exotic meldet sich aus dem Gefängnis.
© Quelle: Netflix
Joe Exotic sitzt im Knast. Als Cliffhanger wurde er wegen versuchten Auftragsmordes an seiner Konkurrentin Carole Baskin und zahlloser Verstöße gegen Tierschutzgesetze zu 22 Jahren Haft verurteilt. Es war das Ende der schillerndsten Bildschirmexistenz einer Subkultur privater Zoos, in der offenbar artenreicheres Treiben herrscht als in freier Wildbahn, mit dem flamboyanten Gernegroß als absurd blondiertes Zentralgestirn, das mit dem Handel geschützter Tiere berühmt geworden war und schon deshalb ins Visier selbst erklärter Naturschützerinnen wie Carole Baskin geriet.
Nicht Neues, aber nervenzerfetzende Spannung
Dieser Mischung aus Milieustudie und Thriller zuzusehen, entfaltet nun aufs Neue einen Sog, dem es herzlich egal sein dürfte, dass die Fortsetzung im Grunde genommen nichts neues liefert, das aber mit nervenzerfetzender Spannung. Hauptfigur ist immer noch Joe Exotic. Allerdings steht er im Schatten seiner Rivalin Carole Baskin, deren Mann 1997 für vermisst und fünf Jahre später für tot erklärt wurde. Atemlos wie zuvor, begleiten wir die großtierhaltungskritische Frau eines Großtierhalters also zurück ins Fadenkreuz – nur diesmal nicht allein von Zoobetreibern wie Jeff Lowe oder Tim Stark, sondern der Sippe ihres verschollenen Mannes.
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Die nämlich macht Carole unter tätiger Mithilfe von Joe Exotic für Dons Ableben verantwortlich und startet einen Feldzug gegen die Witwe, der kraterartige Abgründe aller Beteiligten bis hin zum inhaftierten Tiger King zeigt. Auch bei der neuerlichen Reise ins Kuriositätenkabinett ruhmsüchtiger Tierliebesunternehmer geht es also um Schuld und Sühne in der Gerüchteküche eines kalten Mordfalls, ohne den True Crime seine Existenzberechtigung verlöre. Whodunnit mit Hillibillys gewissermaßen, was für ein Thrill! Der jedoch, wie Anfang 2020, nebensächlich bleibt.
Das Irre an „Tiger King 2″ nämlich ist, welchen Blick die Showrunner Rebecca Chaiklin und Eric Goode in ein System werfen, das gerade dabei ist, den Planeten an die Wand zu fahren. Hinter der kriminologischen Fassade vom Konkurrenzkampf des illegalen Tierhandels erzählt die Serie vom amerikanischen Allmachtgefühl, das sich aus dem Eroberungsmodus lebensfeindlicher Territorien in die zivilisierte Gegenwart gerettet hat. Postkolonialisten wie Joe Exotic stehen dabei für „God‘s own Country“, ein Land, das sich die Erde rücksichtslos Untertan macht und die Käfighaltung andernorts ausgerotteter Tiere zur Schutzmaßnahme umdeutet.
In virtuos montierten Bildern einer Szene, die fast zu bizarr ist, um wahr zu sein, stellt sich in der neuen Staffel demnach die alte Frage: Wann macht es Ping und ein Sprecher sagt aus dem Off, alles sei nur Fake, Joe Exotic nebst Konkurrenz gebe es so wenig wie die USA, das Artensterben, den Klimawandel. Und Donald Trump, der natürlich mit von der Partie ist? Auch nur eine Ausgeburt der Simpsons. Schön wär‘s. Der Tiger reitet weiter.