„Letzter Widerstand“: Deutsche Serie macht Aktivisten zu Ökoterroristen
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Gutes tun für den Planeten – egal mit welchen Mitteln? Am Anfang der Serie „A Thin Line“, die am 16. Februar bei Paramount+ startet, hacken die Schwestern Benni (Hanna Hilsdorf, l.) und Anna (Saskia Rosendahl) den Rechner eines verdächtigen Ministers. Später stehen sie auf verschiedenen Seiten.
© Quelle: Paramount+
Es ist schon nachvollziehbar, dass die Mitglieder der Letzte Generation genannten Protestgruppierung sich auf Straßen kleben oder den Glasschutz von Kunstwerken mit Kartoffelbrei bekleckern. Wer behindert und befleckt, bekommt zwar nicht die Sympathien seiner Mitbürger – aber verlässlich Aufmerksamkeit. Wer auf solche Weise zivil ungehorsam ist, wird jedenfalls stärker wahrgenommen als der, der brav angemeldet sein Pappschild mitten im großstädtischen Fußgängerzonenfuror in die Masse der Samstagsshopper hält. Nicht, dass der Zweck alle Mittel heiligt.
Die Serie spielt mit der Angst vor Ökoterrorismus
Immer wieder ist in jüngster Vergangenheit die Befürchtung zu hören gewesen, aus den nicht genehmigten Aktionen von Klima- und Umweltschützern könnte eines Tages Terrorismus erwachsen. Genau davon handelt die Cyberthrillerserie „A Thin Line“ – eine weitere deutschsprachige Produktion des Streamingdiensts Paramount+ nach „Der Scheich“.
In sechs Folgen – die ersten beiden sind ab 16. Februar streambar – wird von den Zwillingsschwestern Krohn erzählt: von der stillen Anna (Saskia Rosendahl) und der aufgedrehten Benjamina alias Benni (Hanna Hilsdorf). Die wollen den Planeten auch noch für die nächsten 100 Generationen bewohnbar wissen und sehen die diesbezüglichen Maßnahmen von Politik und Wirtschaft als viel zu zögerlich an. Als das Publikum sie kennenlernt, wollen sie ein Waldstück retten, das einer Autobahn weichen soll.
Eine Hackeraktion misslingt – das Bundeskriminalamt schlägt zu
Schuld am „klimaschädlichsten Verkehrsprojekt in Deutschland“ hat für sie ein in die eigene Tasche wirtschaftender Verkehrsminister, dessen Rechner – Spoileralarm! – sie hacken. Annas Hackeraktion scheitert, ein anderer anonymer Hack-&-leak-Coup aber gelingt – und wird prompt den Schwestern zugeschrieben. Der Politiker dementiert, das BKA schnappt zu: Benni kann fliehen, Anna kommt in U-Haft. Während Benni in der Folge an die radikale Organisation Der Letzte Widerstand gerät, deren Methoden weit über Leaks hinausgehen, wird Anna nicht zuletzt mit Drohungen dazu gebracht, der Abteilung Cyberkriminalität gegen den sich verschärfenden Ökoterror zu helfen.
Der Thrill aus dem Produktionshaus der Brüder Jakob und Jonas Weydemann, geschrieben von einem fünfköpfigen Team unter Hauptautorin Stefanie Ren, ist über die sechs Folgen anhaltend und stimmig und hat seine wirklich großen Momente. Etwa, wenn sich die Unbekümmertheit der sich selbst auf der Seite des Guten wähnenden Idealisten (Bennis erste Reaktion auf einen geglückten „Einbruch“ ins Verkehrsministerium ist ein „Ich hab‘ Schiss!“ mit jubilierendem Unterton) wandelt – als man merkt, dass der Staat sich zur Wehr setzt.
Deepfake-Videos haben eine unheimliche Wirkung
Und es ist geradezu unheimlich, wenn (in diesem Fall natürlich mit Darstellern ganz normal inszenierte) Deepfake-Videos gezeigt werden. In denen mithilfe von künstlicher Intelligenz die Videoansprache eines Wirtschaftsbosses oder Regierungsmitglieds mimisch und inhaltlich verändert wird und plötzlich – mit dessen eigener Stimme – ein neuer Wortlaut von Selbstbezichtigung und Ankündigung tödlicher Gewalt zu hören ist.
Auch Entführung und Ermordung von Entführten sind für die digitalen Terroristen nicht mehr nötig. Der Tod kann vom Letzten Widerstand auch aus der Ferne gebracht werden – per Mausklick in ein gehacktes System. Obzwar die Art und Weise, wie die Gruppe ihre ersten Morde begeht, konstruiert erscheint (und auch nicht wirklich originell ist), jagt einem die Vorstellung von tödlicher Gewalt aus dem Rechner einen gehörigen Schrecken ein.
Der Onkel ist Cyberchef beim BKA – echt jetzt?
Man sieht es den Täterinnen auch an, dass ein mörderischer Knopfdruck weniger Überwindung kostet, als den Abzug einer Pistole zu betätigen. Es braucht offenbar eine Weile, um auf einem Bildschirm die Realität des Erlöschens eines Lebens zu erkennen. Als Benni das Geschehene allerdings begreift, spielt Hanna Hilsdorf das Entsetzen und die Erkenntnis dieser letzten überschrittenen Linie großartig.
Ein Thriller wie „A Thin Line“ ist gut, wenn er genug Drama aufweist, um die Zuschauerinnen und Zuschauer zu berühren. Hier funktioniert das Menschliche trotz manch seltsamen Personalkonstrukts: Anna und Benni sind Halbwaisen, ihre „Mum“ Uli (Julika Jenkins) hat sich nach dem Tod ihrer Frau Marlene zurückgezogen und die Fürsorge für die beiden Mädchen der inzwischen zunehmend dementen Tante Dominique und Onkel Christoph („Babylon Berlin“-Star Peter Kurth) überlassen.
Dass Kurth, in dieser Rolle eine Art gutmütig-väterlicher John-Wayne-Typ, ausgerechnet der BKA-Chef für Cyberverbrechen ist, wirkt indes ebenso aufgesetzt wie die Liaison eines seiner Mitarbeiter, des von Afghanistan-Erlebnissen traumatisierten Simon (Sebastian Hülk), mit der von einem Einsatz in Mali gelähmten Letzte-Widerstand-Chefin Rain Man (Hadewych Minis).
Die wichtigsten Gespräche finden in „A Thin Line“ in Autos statt: „Es zerreißt einen, aber man vergisst es auch irgendwann“, klärt Rain Man Benni ziemlich gestelzt und widersprüchlich über die Auswirkungen des Tötens auf das Gemüt des Täters auf.
Selbst Darth Vader war lockerer als Onkel Christoph
Und Onkel Christoph wendet sich in bestem Behördendeutsch an seine Nichte, um ihr Neues über beider Verwandtschaftsverhältnis mitzuteilen: „Anna, ich bin dein leiblicher Vater!“ Wer spricht so? Selbst der Pathos stets zugeneigte „Star Wars“-Schuft Darth Vader hat ganz schlicht „Ich bin dein Vater“ zu Luke Skywalker gesagt – und zwar mitten in einem Lichtschwertduell mit dem Sohnemann.
Gespreizte Dialoge sind ein deutliches Manko dieser Produktion. Und wenn‘s poetisch werden soll und die Terrorchefin eine Ode an den Erdtrabanten loswird, ist das Resultat („Ich mag den Mond, weil er auf der anderen Seite steht – die Menschen wissen ihn nicht zu schätzen“) so gaga wie unzutreffend.
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Ob Hilsdorf für ihre Rolle optisch ein wenig auf die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin getrimmt wurde? Dass man bei der Terrorgruppe Der letzte Widerstand unweigerlich an die vergleichsweise zahme Letzte Generation denkt, ist jedenfalls eher unglücklich. Als die sich bald von allen verraten und verkauft fühlende Mörderin Benni noch einmal der Kamera zuwendet, sind ihre Blicke Waffen. Wenn das Publikum mitzieht, gibt es eine zweite Staffel – alles ist darauf angelegt.
„A Thin Line“, erste Staffel, sechs Episoden, Regie: Sabrina Sarabi, Damian John Harper, mit Saskia Rosendahl, Hanna Hilsdorf, Peter Kurth, Sebastian Hülk, Hadewych Minis, Lucia Kotikova (ab 16. Januar bei Paramount+)