Das Aussterben der Bankräuber: Strukturwandel auch unter Verbrechern
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Splitter und ein Schild mit der Aufschrift „Geldautomat“ liegen auf dem Fußboden vor einem gesprengten Geldautomaten (Archivfoto).
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
München. Bankräuber in Deutschland sind nahezu ausgestorben: Die Zahl der Überfälle auf Banken, Sparkassen und auch Postfilialen ist in den vergangenen drei Jahrzehnten um 95 Prozent gesunken. Im Jahr 1993 zählte das Landeskriminalamt in Bayern 133 Überfälle auf Geldinstitute und Postfilialen, 2020 waren es nur noch sechs, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilt. Das bedeutet: Nach der Wiedervereinigung wurden Woche für Woche zwei bis drei Banken und Poststellen in Bayern angegriffen, 2020 gab es im Schnitt nur noch alle zwei Monate einen Raubüberfall.
Weltweiter Rückgang
Bayern ist keine Ausnahme, bundesweit und international ist das Bild ähnlich. Die Zeitreihen des Bundeskriminalamts in Wiesbaden zeigen für das Jahr 1993 noch 1623 Überfälle auf „Geldinstitute und Poststellen“, im vergangenen Jahr waren es 80. „Rückläufige Fallzahlen von Banküberfällen seit den 90er Jahren sind nicht nur in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien zu verzeichnen“, sagt die Sprecherin des LKA.
2001 wurde die statistische Erfassung geändert, seither werden anstelle der „Poststellen“ Überfälle auf Postfilialen und -agenturen gezählt, doch das Bild des starken Rückgangs hat sich dadurch nicht verändert. Sowohl Polizei als auch Banken, Versicherer und Kriminologen sehen mehrere Ursachen für das Phänomen.
Verschiedene Faktoren als Ursache
1995 gab es noch fast 70 000 Bankfilialen in Deutschland, Ende vergangenen Jahres waren es laut Bundesbank noch gut 24 000. Bankräuber haben heute also weniger Auswahl als früher. Hinzu kommen technischer Fortschritt und die abnehmende Bedeutung des Bargelds, weswegen in Bankfilialen heute weniger Geld lagert als ehedem. Außerdem haben die Banken die Sicherheitsvorkehrungen stark verbessert.
So ist das Risiko für Bankräuber außerordentlich hoch, die Polizei klärte 2020 fast 80 Prozent der Überfälle auf, 2019 sogar über 90 Prozent. „Führen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen wie beispielsweise geringe Bargeldbestände zu entsprechend niedrigen Beuteerwartungen, werden Raubdelikte in der Regel unter Risiko-Nutzen-Gesichtspunkten zu unattraktiven Straftaten“, erläutert eine Sprecherin des BKA.
Geldautomatensprengung und Cyberkriminalität
Wer kriminell und clever ist, überfällt also heutzutage keine Bank mehr am helllichten Tag. Die Unterwelt ist ebenso vom Strukturwandel geprägt wie die legale Wirtschaft. Konjunktur haben Geldautomatensprengungen und Cyberkriminalität. Letztere bietet aus Tätersicht auch den großen Vorteil, dass es keinen physischen Tatort gibt und Hackerangriffe fern der Heimat in jedem Land der Welt gestartet werden können.
„Die Gefahr, tatsächlich gefasst zu werden, ist im Internet häufig wesentlich geringer als bei einem Banküberfall“, sagt Rüdiger Kirsch, Betrugsexperte bei dem zur Allianz gehörenden Kreditversicherer Euler Hermes. „Die Cyberkriminellen müssen durch die vielen Möglichkeiten, die das Internet bietet, physisch keine Landesgrenze mehr überschreiten, sie müssen nicht einmal das Haus verlassen, um im Ausland im Netz eine Straftat zu begehen.“
„Unnötiges Risiko für kleinere Beute“
Fazit: „Wer als Krimineller heute noch eine Bank überfällt oder einen Geldautomaten sprengt, ist eigentlich schön blöd“, sagt Kirsch. „Denn er geht ein unnötiges Risiko ein für eine in der Regel viel kleinere Beute.“
Täter, die Geldautomaten sprengen, sind mutmaßlich weniger gut ausgebildet als Hacker. Doch im Vergleich zum Banküberfall ist auch der Angriff auf den Automaten aus Tätersicht weniger riskant: Gesprengt wird überwiegend in der Nacht ohne Zeugen in der Nähe, außerdem sind die Strafen für Raubüberfälle höher.
Dementsprechend hat die Zahl der Geldautomatensprengungen stark zugenommen. Das BKA berichtete in einem Lagebild 2020 von bundesweit 414 Fällen, der höchsten Zahl seit Beginn der statistischen Erfassung im Jahr 2005.
„Bei rund 40 Prozent der Angriffe auf Bankautomaten verwenden die Kriminellen inzwischen Festsprengstoff“, sagt eine Sprecherin derR+V-Versicherung, bei der viele Volks- und Raiffeisenbanken versichert sind. „Bis vor zwei Jahren wurde bei den Sprengungen noch überwiegend Gas eingesetzt.“ Hatten die Täter genügend Gas in den Automaten geleitet, wurde gezündet.
Doch sind viele Geldautomaten inzwischen technisch so raffiniert, dass die Maschinen explosives Gas neutralisieren und Explosionen verhindern können. Festsprengstoff richtet jedoch große Schäden an denn Gebäuden an, ganz zu schweigen von der Gefahr für Leib und Leben der Anwohner.
Die R+V empfiehlt Banken deswegen mittlerweile eine bunkerähnliche Lösung: freistehende Pavillons aus Stahlbeton. „Die ringförmigen Gebilde bestehen aus bis zu 15 Zentimeter starkem Stahlbeton und bringen zehn Tonnen auf die Waage“, erläutert eine Sprecherin. „Mit herkömmlichen Sprengmitteln erreicht man da gar nichts.“
Finanzkriminalität noch größere Konjunktur
Noch viel größere Konjunktur aber hat die Finanzkriminalität im Internet. „Trotz erheblicher Ausgaben für Cybersicherheit sind Finanzdienstleister ein attraktives Ziel und sehen sich mit einer Vielzahl von Cyberbedrohungen konfrontiert“, sagt ein Sprecher des ebenfalls zur Allianz gehörenden Industrieversicherers AGCS.
Die kriminelle Szene hat gelernt, dass man Geldautomaten nicht nur sprengen kann: Mittlerweile gibt es auch das ferngesteuerte „Jackpotting“. „Dabei übernehmen Kriminelle über Netzwerkserver die Kontrolle über Geldautomaten“, heißt es bei der AGCS.
RND/dpa