„Das war dramatisch“: Was die Überlebenden nach dem Unglück der Costa Concordia erlebten

Das Schiff „Costa Concordia“ liegt vor der Insel Giglio.

Das Schiff „Costa Concordia“ liegt vor der Insel Giglio.

Die Erfahrungen der Passagierinnen und Passagiere könnten Lexika füllen, sagt Hans Reinhardt. Der Jurist aus Marl (Nordrhein-Westfalen) beschäftigte sich in den Jahren nach der Havarie der Costa Concordia mit zahlreichen Klagen deutscher Überlebender des Unglücks vor der italienischen Mittelmeerinsel Giglio. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erinnert sich der 61-Jährige an die Erfahrungen seiner Mandantinnen und Mandanten, die sich selbst nicht mehr zu den Ereignissen äußern wollen.

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Herr Reinhardt, welche Erinnerungen werden am zehnten Jahrestag in Ihnen wach?

Mir gehen die Einzelschicksale meiner Klienten nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe 30 bis 35 Deutsche in dieser Sache vertreten. Es hätten auch 100 oder 200 sein können, aber an irgendeiner Stelle musste ich Stopp sagen, weil jedes Mandat individuell zu bearbeiten war. Einige Passagiere haben schwerwiegende Körperschaden erlitten. Sie sind ins eiskalte Wasser gefallen, denen sind Finger oder Zehen abgefroren. Und eine Dame berichtete mir, dass sie in einen Fahrstuhlschacht gefallen ist, als sich das Schiff zur Seite kippte. Nur mit der Hilfe anderer Passagiere konnte sie befreit werden. Sie brach sich die Hüfte, konnte nicht mehr laufen und saß im Rollstuhl – das war sehr dramatisch.

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Wie haben Sie ihre Mandantinnen und Mandanten dabei erlebt, diese emotionalen Erlebnisse zu verarbeiten?

Bei einigen entwickelte sich eine Posttraumatische Belastungsstörung, wie es in solchen Fällen häufig vorkommt. Ich habe aber auch andere Fälle erlebt, wo eine vierköpfige Familie mit dem Geld aus der Schadensersatzklage wenig später die nächste Kreuzfahrt gebucht hat. Diejenigen sind also aggressiv mit dem Trauma umgegangen und waren damit durchaus auch erfolgreich.

Stichwort Schadensersatz: Welche Summen sind den Betroffenen gezahlt worden?

Viele haben ein Angebot in Höhe von 14.000 Euro pro Person bekommen und dieses angenommen. Im Falle der eben genannten vierköpfigen Familie waren das also immerhin 56.000 Euro. Hinzu kommt, dass die Rechtslage durchaus knifflig war. Diejenigen mit einem deutschen Reiseveranstalter waren bestens beraten. Sie konnten vor einem Gericht in Deutschland klagen und innerhalb von zwei Jahren zu Ihrem Recht kommen. Anders lief es bei den Buchungen im Internet. Das mag zwar günstiger gewesen sein, hatte aber in diesem Fall eine Schattenseite. Dort war die Reederei Costa Crociere also der Reiseveranstalter, man musste in Italien klagen. Dort sind die letzten Verfahren erst vor etwa zwei Jahren abgeschlossen worden. Besonders übel ist jedoch die dritte Variante.

Der 61 Jahre alte Anwalt Hans Reinhardt aus Marl hat mehr als 30 deutsche Überlebende nach dem Unglück der Costa Concordia vertreten.

Der 61 Jahre alte Anwalt Hans Reinhardt aus Marl hat mehr als 30 deutsche Überlebende nach dem Unglück der Costa Concordia vertreten.

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Erzählen Sie.

Berufskollegen aus den USA waren nach dem Unglück vor Ort, haben sich Zugang zu Passagierlisten verschafft und gleich Millionenversprechen gemacht. Sie wollten die Fälle der Betroffenen vor Gerichten in Miami oder New York verhandeln lassen. Allein wegen der Posttraumatischen Belastungsstörungen sei eine hohe Summe als Schadensersatz möglich, meinten die Anwälte. Dabei stellte sich später heraus, dass diese Verfahren in den USA abgewiesen wurden. Zwar gehört die italienische Reederei wie viele andere auch zur amerikanischen Carnival Holding, die für Schadensersatz aber überhaupt nicht aufkommen muss. Die Holding ist ein gesellschaftsrechtliches Konstrukt und kein Reiseveranstalter. In den Honorarvereinbarungen waren hohe Provisionen und Reisekostenerstattungen ausgehandelt worden, bis zu 80 Prozent der erstrittenen Summe. Bei Millionenzahlungen wäre das noch immer profitabel gewesen – doch so haben diese Passagiere am Ende von den dann erstrittenen 14.000 Euro maximal noch 2000 oder 3000 Euro bekommen. Das war Betrug am eigenen Mandanten aus meiner Sicht.

Haben Sie noch Kontakt zu den Passagierinnen und Passagieren, die Sie vertreten haben?

Allein weil die Prozesse teilweise Jahre gedauert haben, gab es lange Zeit regelmäßigen Kontakt. Mittlerweile sind viele Mandanten verstorben, das durchschnittliche Alter auf der Costa Concordia war um die 70 Jahre. Andere sind woanders hingezogen. Außerdem will von ihnen kaum noch jemand an diesen schrecklichen Vorfall erinnert werden. Zum zehnten Jahrestag wird es auf Giglio erneut eine Gedenkfeier geben, wo viele Überlebende aber gar nicht anreisen werden. Zu traumatisch wäre eine Rückkehr. Von einem älteren Ehepaar weiß ich, dass sie es nach fünf Jahren versucht hatten, um die Vorfälle zu verarbeiten. Bei ihnen ist es dadurch nur schlimmer geworden.

Kapitän Francesco Schettino wurde trotz mehrerer Berufungsverfahren zu 16 Jahren Haft verurteilt. Der Italiener fühlt sich als einzig Schuldiger an den Pranger gestellt, behauptete er mehrfach. Wie bewerten Sie diese Aussagen rückblickend?

Er ist Derjenige, der als erster von Bord gegangen oder gefallen ist, so hat Schettino es später erzählt. Normal bleibt der Kapitän bis zum Schluss auf dem Schiff, um alles abzuwickeln. Dennoch könnte er aufgrund der italienischen Rechtsprechung vorzeitig entlassen werden. Nach einem Drittel der Haftstrafe könnte seine vorzeitige Entlassung möglich sein, der Rest der Strafe könnte zur Bewährung ausgesetzt werden. Dafür muss er lückenlos Verantwortung übernehmen, Reue zeigen und sich entschuldigen. Doch Schettino macht das Gegenteil. Er behauptet weiterhin, die Reederei oder die anderen Offiziere wären schuld, er selbst habe alles richtig gemacht.

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Der mittlerweile 61-Jährige hat 2018 den Europäischen Gerichtshof in Straßburg angerufen. Dort heißt es, Schettinos Fall könne eventuell in diesem Jahr verhandelt werden.

Da sehe ich die Erfolgsaussichten gleich null. Es muss konkrete Menschenrechtsverletzungen gegeben haben Welche Menschenrechte sollen bei ihm denn verletzt worden sein bei diesem Fall? Wenn er schnell von Bord geflüchtet ist, um mögliches eigenes Fehlverhalten zu vertuschen, wie es später ja hieß, ist das überhaupt nicht zielführend. Das zeigte sich allein in dem Funkspruch, den es nachweislich gegeben hat. Von der Insel kam die Nachfrage, was los sei, weil bereits Leichen angeschwemmt worden sind. Da tat Schettino ahnungslos und behauptete, alles im Griff zu haben. Das war eine Farce der Verharmlosung.

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