„Deutschland unter Schock“: So blicken andere Länder auf die Unwetterkatastrophe

Eine Frau schiebt in Ahrweiler ihr Fahrrad durch den Schlamm. Anwohner und Ladeninhaber versuchen, ihre Häuser vom Schlamm zu befreien und unbrauchbares Mobiliar nach draußen zu bringen. Etliche Hindernisse drohen den Wiederaufbau der zerstörten Dörfer in den Hochwasserregionen zu bremsen.

Eine Frau schiebt in Ahrweiler ihr Fahrrad durch den Schlamm. Anwohner und Ladeninhaber versuchen, ihre Häuser vom Schlamm zu befreien und unbrauchbares Mobiliar nach draußen zu bringen. Etliche Hindernisse drohen den Wiederaufbau der zerstörten Dörfer in den Hochwasserregionen zu bremsen.

In Deutschland sterben bei einer Unwetterkatastrophe mehr als 100 Menschen, etliche werden noch vermisst oder haben ihr Zuhause und ihr komplettes Hab und Gut verloren. Noch immer laufen die Aufräumarbeiten auf Hochtouren. Das Hochwasser und die Fluten sind nicht nur hierzulande weiter das bestimmende Thema, auch das Ausland blickt mit Entsetzen auf die Geschehnisse:

Frankreich blickt auf Folgen des Klimawandels

So zierte bereits am Samstag ein Bild von einer sintflutartigen Szene, bei der braune Wassermassen über eine Ortschaft herfallen, etwa das Titelbild der französischen Zeitung „Libération“. „Deutschland: Das tödliche Wasser“ stand daneben. Mit Entsetzen blickte man in Frankreich auf die dramatischen Vorfälle im Nachbarland. „Klimawandel: Es ist jetzt“, titelte die Sonntagsausgabe des „Parisien“. Die Zeitung „Le Monde“ zeigte beklemmende Bilder von der Katastrophe: „Überschwemmungen: Deutschland und Belgien zahlen einen schweren Tribut“ stand daneben. Auch die Korrespondenten der Fernsehstationen berichteten über das hohe Ausmaß der Zerstörungen und die Zahl der betroffenen Opfer, das menschliche Leid.

In der gesamten Berichterstattung lag dabei ein Schwerpunkt auf dem Zusammenhang mit dem Klimawandel. „Die Erderwärmung spielt eine Rolle in der Intensivierung der Regenfälle“, zitierte „Libération“ einen Experten. Auch Frankreich und vor allem der Süden des Landes haben in den vergangenen Jahren immer wieder heftige Unwetter erlebt – allerdings nie so heftig und mit so vielen Opfern wie in der vergangenen Woche in Deutschland.

Belgien selbst schwer betroffen: „War wie ein Tsunami“

Die belgische Innenministerin Annelies Verlinden sagte währenddessen am Montag: „Das ist eine der größten Naturkatastrophen, die unser Land je erlebt hat.“ Für mehr als einen Blick in die Katastrophenregionen Deutschlands blieb keine Zeit. Denn der Süden und der Osten Belgiens wurden von dem Unwetter ebenso schlimm getroffen wie Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Die Verwüstung ist enorm. „Es war wie ein Tsunami“, sagte der 42 Jahre alte Paul Brasseur aus der Ortschaft Pepinster südöstlich von Lüttich. Brasseur, seine Frau und ihre zwei Söhne flüchteten sich auf das Dach ihres Hauses, auf dem sie neun Stunden ausharren mussten.

Offiziell starben in dem Land bis Montagabend 31 Menschen durch das Unwetter, 127 wurden noch vermisst. Der Dienstag wurde zum Tag der Trauer erklärt. Um 12.01 Uhr mittags sollten die Menschen im ganzen Land eine Schweigeminute für die Opfer der Katastrophe einlegen. Ähnlich wie in Deutschland hat auch in Belgien eine Debatte darüber begonnen, ob man die Katastrophe hätte abwenden können. Innenministerin Verlinden war skeptisch. „Es ist eine Illusion, dass alles geplant oder vorbereitet werden kann“, sagte sie. Dennoch sollen die aktuellen Rettungs- und Aufräumarbeiten penibel ausgewertet werden. „Experten sagen, dass wir in Zukunft mehr extreme Wetterereignisse erleben werden“, so die Innenministerin. Da sei es wichtig, achtsam zu sein. Allerdings sei auch klar: „Es gibt kein Drehbuch für eine Wasserbombe, wie wir sie erlebt haben.“

Italien spricht vom „Klimamassaker“

Die Flutkatastrophe hat auch in Italien große Betroffenheit ausgelöst – in den Medien, aber auch in der Bevölkerung. „Germania sotto shock“ („Deutschland unter Schock“) titelte der „Corriere della Sera“, die wichtigste Zeitung des Landes, bereits am 16. Juli auf der Frontseite; die römische „Repubblica“ machte das Blatt mit der Schlagzeile „Das Klimamassaker“ auf. Auch die Nachrichtensendungen der großen TV-Sender widmeten den Unwettern in Deutschland und auch Belgien lange Beiträge. Die Berichterstattung war geprägt von Mitgefühl – und auch von ein wenig Verwunderung, dass derartige Verwüstungen auch in Deutschland möglich sind.

Ein großes Thema – neben Reportagen aus dem Katastrophengebiet – war der Klimawandel. Auch Italien ist davon stark betroffen: In 36 Stunden vor und nach dem Brückeneinsturz in Genua im August 2019 mit 43 Toten war in Ligurien und im Piemont gebietsweise halb so viel Niederschlag gefallen wie sonst in einem ganzen Jahr – über 400 Liter pro Quadratmeter, also noch erheblich mehr als in den Unwettergebieten Deutschlands. Der wichtigste Grund dafür ist die erhöhte Oberflächentemperatur des Mittelmeers und die damit einhergehende Sättigung der Luft mit sehr viel Wasser, das sich beim Ansteigen der Wolken an den Küstengebirgen fast explosionsartig entleert. Derartige Sturzfluten, die meist auch Todesopfer fordern, erleben die Italiener inzwischen praktisch jedes Jahr.

Aufgegriffen von den italienischen Medien wurde auch der Fauxpas von Armin Laschet. „La Stampa“ hat dem Lachen des CDU-Kanzlerkandidaten im Katastrophengebiet während der Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sogar einen langen Leitartikel gewidmet. Das sonst nicht als reißerisch bekannte Turiner Blatt verstieg sich darin zu Vergleichen mit Feldherren wie Napoleon oder Diktatoren wie Mussolini, denen das Leiden und Sterben ihrer Truppen ebenfalls egal gewesen sei. Der Artikel schloss mit der Hoffnung, dass die CDU ihren Kandidaten, der im Angesicht des Unglücks seines Volkes lache, „wenigstens zurückziehen wird“.

+++ Verfolgen Sie alle aktuellen Entwicklungen zur deutschen Flutkatastrophe in unserem Liveblog +++

Spanische Reporter in Deutschland vor Ort

Auch Spanien schaut auf die Überschwemmungskatastrophe mit großer Aufmerksamkeit, Anteilnahme und Erschrecken. Seit Tagen berichten alle wichtigen Medien aus Deutschland, die Zeitungen haben immer wieder Bilder des Unglücks auf ihre Titelseiten gestellt, das Fernsehen liefert täglich kleinere oder größere Reportagen. Fast immer wird auf den Zusammenhang zwischen Naturkatastrophe und Klimawandel hingewiesen und darauf, wie diese Debatte in den Bundestagswahlkampf hineinwirkt.

Etliche spanische Reporter sind in Deutschand vor Ort der Tragödie. Der Korrespondent der Barceloner Zeitung „La Vanguardia“ berichtet aus Erftstadt auch von den beginnenden Debatten darüber, ob besserer Katastrophenschutz das Desaster hätte mildern können. Hinter der großen spanischen Aufmerksamkeit für dieses Thema steckt das Wissen: Sowas könnte auch hier passieren.

Griechische Medien kritisieren deutsche Behörden

Die Unwetterkatastrophe in Deutschland ist auch in den griechischen Medien ein Topthema. „Egal, wie viel Geld ein Land hat, die Natur kann es nicht überlisten“, heißt es in der Zeitung „Ta Nea“. Die Berichte gehen aber nicht nur auf den Klimawandel als Ursache des Desasters ein. Beleuchtet wird in vielen Medien auch, wie schlecht die deutschen Behörden offenbar auf die Katastrophe vorbereitet waren. Vielerorts hätten die Zivilschutzsirenen nicht funktioniert, berichtet die Zeitung „Proto Thema“ in ihrer Internetausgabe. Auch habe es offensichtlich Probleme bei der Koordinierung der Rettungseinsätze gegeben.

Und auch die peinlichen Fotos und Videos des „lachenden Laschet“ sind in den griechischen Medien überall präsent. „Empörung in Deutschland“ schreibt die Internetzeitung „iefimerida“ und bringt ein Foto, das im Vordergrund den Bundespräsidenten mit ernster Miene zeigt, während Laschet und seine Gesprächspartner im Hintergrund herumalbern. „Bundeskanzler oder Bundeskasper?“ schrieb ein offenbar in der deutschen Sprache gewandter Grieche in einem sozialen Netzwerk.

„Ta Nea“ widmet der Hochwasserkatastrophe auch einen Kommentar, der auf die politischen Konsequenzen eingeht. Die Zeitung erinnert an den möglicherweise wahlentscheidenden Auftritt von Gerhard Schröder beim Hochwasser im August 2002. „Jetzt versuchen alle, in seine Fußstapfen zu treten“, schreibt das Blatt. Über die Wahl der wichtigsten politischen Führungspersönlichkeit Europas werde womöglich auch diesmal „im Schlamm entschieden“, kommentiert „Ta Nea“.

Russland: „Warum war das wohlhabende Europa nicht auf eine solche Katastrophe vorbereitet?“

Der Glaube daran, dass in Westeuropa – und besonders in Deutschland – alles viel besser organisiert ist als im eigenen Land, sitzt bei vielen Russen tief. Da bietet das Katastrophenhochwasser in Deutschland und auch Belgien, den Niederlanden und Österreich den staatsnahen Medien in Russland nun die Gelegenheit, einige Dinge klar zu rücken: „Man erwartet nicht, dass in Deutschland Menschen infolge von Überschwemmungen sterben“, lässt der Staatsnachrichtensender Westi das Flutopfer Monika Decker zu Wort kommen, „man rechnet damit vielleicht in armen Ländern, aber nicht hier in Europa. Aber es ging alles viel zu schnell.“

Da bleibe nur die Frage, so Westi weiter: „Warum war das so wohlhabende und gut organisierte Europa nicht auf eine solche Katastrophe vorbereitet?“ Die deutschen Behörden würden von schweren Regenfällen in einem ungewöhnlich kurzen Zeitraum sprechen, die nicht vorhersehbar gewesen seien. Doch die einsetzenden Schuldzuweisungen in den europäischen Medien wiesen in eine andere Richtung: „Bereits 2019 warnten Hilfsorganisationen, dass Zivilschutz, Feuerwehr und Rettungskräfte aufgrund von Budgetkürzungen unzureichend ausgestattet sind.“

Die Kreml-nahe Tageszeitung „Iswestija“ beruft sich bei ihrer Ursachenforschung auf den erfahrenen Katastrophenschützer Sergei Schtschetinin aus der Region Moskau. Dieser glaube, dass die vielen Todesfälle durch die Unfähigkeit der deutschen Behörden erklärt werden könnten, die Bevölkerung rechtzeitig zu warnen. Die unabhängigen Medien in Russland zeigen hingegen deutlich unparteiischer das menschliche Leid auf, das das Hochwasser zur Folge hatte. Das Nachrichtenportal „Meduza“ etwa lässt Rolf Keser aus Bad Münstereifel in einer ausführlichen Reportage zu Wort kommen. Und rehabilitiert etwas den Glauben der Russen an die deutschen Organisationsfähigkeiten. Die Rettungskräfte seien nach Aussage von Bad Münstereifels Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian sofort vor Ort gewesen: „Es war schlicht und einfach unmöglich, besser zu arbeiten.“

USA: Die Flut als Mahnung

Eigentlich gehören Unwetter und Naturkatastrophen für viele Amerikaner zum Alltag. Schon ab dem Frühsommer wüten regelmäßig Waldbrände in Kalifornien, und pünktlich im August donnern die ersten Hurrikans über Florida hinweg. Das verheerende Hochwasser in Deutschland findet in den USA trotzdem enorme Aufmerksamkeit. Der Nachrichtensender CNN hat eine Reporterin nach Ahrweiler geschickt, die mit dramatischen Bildern „eine Szene der unglaublichen Zerstörung“ schildert. Tagelang haben die großen Zeitungen „New York Times“, „Wall Street Journal“ und „Washington Post“ dem Thema ihre Titelbilder und umfangreiche Berichte gewidmet.

Als Joe Biden und Angela Merkel am Donnerstag gemeinsam vor die Presse traten, sprach der Präsident der Deutschen als erstes sein Mitgefühl aus. Die deutsche Sintflut beschäftigt die Amerikaner nicht nur wegen der schockierend hohen Opferzahl. Zusammen mit der desaströsen Hitzewelle in Kalifornien und Oregon befeuert sie auch die innenpolitische Debatte über die Gefahren der Erderwärmung: „Europas Überschwemmungen sind die jüngsten Anzeichen der Klimakrise“, titelte die „New York Times“ mahnend.

Australien schaut sich Merkels Verhalten an

Der australische Sender ABC hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Mittelpunkt seiner Berichterstattung gestellt. Ihr Besuch im Katastrophengebiet wurde detailliert beschrieben, ebenso wie ihr Entsetzen über das Ausmaß der Katastrophe. Betont wurde, dass es die schlimmste Naturkatastrophe des Landes seit fast sechs Jahrzehnten ist. Einen großen Schwerpunkt legte das Medium auch auf die Aussagen Merkels, dass Regierungen in ihren Bemühungen, wie sie die Auswirkungen des Klimawandels bekämpfen, besser und schneller werden müssen und dass Deutschland sich als „starkes Land“ der Naturgewalt mit einer natur- und klimafreundlicheren Politik gegenüberstellen werde.

Auch das Verhalten von Kanzlerkandidat Armin Laschet wurde thematisiert. Es wurde kurz erwähnt, dass er sich entschuldigen musste, nachdem er im Katastrophengebiet über einen Witz gelacht hatte.

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