Stotternder Start im Prozess gegen Rockerboss Frank Hanebuth
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/6SCP3W47UZBGFAIYTX3R7WA3KA.jpeg)
Frank Hanebuth kommt zum Nationalen Gericht in San Fernando de Henares.
© Quelle: Paul White/AP/dpa
Kurz vor zehn ist Frank Hanebuth ganz entspannt. „Ich bin froh, dass es endlich losgeht“, sagt er vor dem großen Verhandlungssaal im ersten Stock des spanischen Nationalen Gerichtshofes im Industriegebiet von San Fernando de Henares, einem Vorort von Madrid. Er habe nichts zu befürchten. Draußen in der Kälte steht eine lange Schlange von Anwälten und Journalistinnen und Journalisten, die alle, wie im Flughafen, noch durch die Sicherheitsschleuse am Eingang müssen. Um zehn ist der Saal voll: In den ersten sechs Reihen sitzen die Angeklagten, gleich dahinter die Medienvertreter, dazu noch ein paar Zuschauerinnen und Zuschauer, und linkerhand, hinter breiten Tischen, die Anwälte in ihren Roben. Aber Hanebuth hat sich zu früh gefreut: Es geht noch nicht los.
Nach jahrelangen Ermittlungen sollte an diesem Montag der Prozess gegen das Mallorquiner Hells-Angels-Chapter und dessen mutmaßlichen Chef, den Hannoveraner Frank Hanebuth, beginnen. Entführung, Erpressung, Zwangsprostitution und ein gutes Dutzend weitere Straftatbestände werden den insgesamt 49 Angeklagten vorgehalten – im letzten Moment sind noch zwei Beschuldigte hinzugekommen. Aber erst mal geht gar nichts los. Anfangs ist aus den Sitzreihen nur ein Murmeln zu hören, wie in der Kirche vor dem Gottesdienst, aber im Laufe der folgenden Stunden, in denen die Richterbank leer bleibt, wandelt sich die Stimmung: wie bei einer Butterfahrt, bei der die versprochene Verkaufsveranstaltung nicht beginnt. Aus dem Murmeln werden lautere Gespräche, Anwälte reden mit ihren Klienten, hier und da steht einer auf, um sich im Vorraum eine Wasserflasche zu ziehen. Dass hier ein gefährlicher Rockermob versammelt sein soll, ist kaum zu glauben, trotz den vielen breiten Schultern und den kurz geschorenen Haaren.
Gerüchte im Gerichtssaal
Zwei Gerüchte gehen durch den Saal. Zum einen: dass Anwälte und Staatsanwaltschaft im letzten Moment noch einen Deal aushandeln wollen, dass Hanebuth sich aber sperre, weil er von seiner Unschuld überzeugt ist. Zum anderen: dass die Verteidiger das Gericht davon überzeugen wollen, dass die Mitschriften der abgehörten Telefongespräche keine Beweiskraft besäßen – womit große Teile der Anklage in sich zusammenbrächen.
Um 12 Uhr mittags gibt‘s noch immer keine Gewissheit. Ein paar Raucher gehen raus in den Hof, um zu rauchen, da stehen Angeklagte, Anwälte und Journalistinnen und Journalisten beisammen, Polizisten sind nicht zu sehen. Oben im Saal wachen uniformierte Beamte, sie wirken so entspannt wie alle anderen auch. Zwei nebeneinandersitzende Angeklagte erzählen: Wir haben uns heute erst kennengelernt. Die meisten der anderen kennen wir gar nicht. Von wegen kriminelle Vereinigung!
Das ist einer der Anklagepunkte, der vor allem Hanebuth trifft: Auch wenn ihm keine anderen Delikte nachzuweisen wären, soll er doch als mutmaßlicher Chef der Hells Angels auf Mallorca für alle Straftaten mitverantwortlich sein, die von Mitgliedern des „Clubs“ – so nennt einer der Angeklagten die Rockervereinigung – auf der Insel begangen worden sind. Es wären also diese Straftaten zu klären und ebenso die innere Struktur der Mallorquiner Hells Angels.
Quälende Langsamkeit
Kurz nach halb zwei, dreieinhalb Stunden nach dem angesetzten Termin, kommen die Richter dann doch. Der Prozess beginnt, womit nicht mehr unbedingt zu rechnen war. Die Vorsitzende Richterin verliest die Namen der Angeklagten und ihrer Anwälte und dann die Straftatbestände, die den 46 Männern und drei Frauen vorgehalten werden. Das dauert eine Viertelstunde. Dann noch ein paar Verfahrensfragen.
Es ist ein stotternder Prozessbeginn, fast zehn Jahre, nachdem Hanebuth und andere im Sommer 2013 auf Mallorca festgenommen wurden, und fast acht Jahre, seitdem der Hannoveraner aus der Untersuchungshaft in einem spanischen Hochsicherheitsgefängnis entlassen wurde. Die spanische Justiz ist in diesem Verfahren, wie oft, von quälender Langsamkeit. Das werden die Richter bei der Strafzumessung zugunsten der Angeklagten berücksichtigen müssen. Neun weitere Verhandlungstage sollen folgen – im besten Falle immer zur angesetzten Uhrzeit.
Um 16.30 Uhr nimmt das Gericht den Prozess wieder auf – und gibt dem Staatsanwalt die Gelegenheit, die Deals zu verlesen, auf die sich 33 der Angeklagten eingelassen haben: Schuldeingeständnis gegen Strafminderung. Einer der Hauptangeklagten, auf den 38 Jahre Gefängnis warteten, unter anderem wegen Entführung und Zwangsprostitution, erklärt sich mit einer zwölfeinhalbjährigen Haftstrafe einverstanden - die er nicht absitzen muss, wenn er 36000 Euro Strafe zahlt. Die anderen 32 können nun Haftstrafen von unter zwei Jahren erwarten, denen sie durch geringere Geldzahlungen entkommen können.
16 Männer wollten sich auf keinen Deal einlassen (oder waren an diesem Montag verhindert). Zu denen, die sich keiner Schuld bewusst sind und sich deswegen mit keiner Strafminderung zufriedengeben, gehört Frank Hanebuth. Er sitzt in der ersten Reihe und kämpft gegen die Müdigkeit. Er weiß, dass auf ihn noch etliche Verhandlungstage warten, an denen ihm die Staatsanwaltschaft seine Schuld nachzuweisen versuchen wird. Der Prozess hat endlich begonnen.