„Haarige Selbsthilfe“: Bei diesem Friseur gibt es ein Therapiegespräch zum Haarschnitt
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Sam Dowdall schneidet nicht nur die Haare seinen Kunden.
© Quelle: Barbara Barkhausen
Sam Dowdall hat einen stattlichen Bart und gepflegte Locken – ganz so, wie es sich für einen Friseur gehört, der stolz auf seine Zunft ist. Der Neuseeländer, der seit dem vergangenen Jahr in Australien lebt und arbeitet, hat sich auf die Fahnen geschrieben, Männer nicht nur schöner, sondern auch mit sich selbst glücklicher zu machen.
Deswegen schneidet er in seinem mobilen Haarsalon nicht nur Haare und stutzt Bärte, sondern nimmt sich auch Zeit für lange, sehr persönliche Gespräche. Eine Art Therapiehaarschnitt also: „Ich fahre rum und suche Gruppen von Männern, die normalerweise keine Gespräche führen würden“, berichtete Dowdall in einem Videotelefonat. „Wir gehen in Fabriken, auf Farmen und zu Mechanikern – überall dorthin, wo wir Gruppen von Männern finden.“
Neuseeland hat die höchste Selbstmordrate
Während die Männer sich die Haare von Sam stutzen lassen, spricht er ganz bewusst Themen an wie mentale Gesundheit, Kommunikation und Männlichkeit. Dabei führt er Gespräche mit Männern darüber, wie man um Hilfe bittet, was psychische Gesundheit ist oder wie man besser zuhört. All das seien die Grundlagen dafür, wie man auf sich selbst und seine mentale Gesundheit achte, meinte der Friseur.
Dowdall, der auch eine Ausbildung als Krisenberater gemacht hat, kam die Idee mit dem Therapiehaarschnitt, als er noch in Neuseeland lebte. „Neuseeland hat die höchste Selbstmordrate und wir halten diese schreckliche Position schon seit langer Zeit“, berichtete er. „Ich habe viele Freunde in einem kurzen Zeitraum verloren.“
Bevor die Klippe droht
Besonders frustriert war er, als er sah, dass viele erst dann Hilfe bekamen, wenn es fast schon zu spät war. Die Situation beschrieb er mit einem Bild: „Ich war frustriert damit, auf den Krankenwagen am Fuß der Klippe zu warten“, meinte er. „Also beschloss ich, rauszugehen und mein Bestes zu tun, auf die Klippe zu kommen – dorthin, wo die Leute noch in Ordnung sind, und ihnen die Mittel zu geben zu erkennen, dass diese Klippe kommt.“
Nach Australien verschlug es ihn aus einem weiteren, traurigen Grund: Sein Vater, der in der australischen Hauptstadt Canberra lebt, erkrankte an Krebs. Doch trotz der traurigen Familiengeschichte gab Dowdall seine Mission auch in Australien nicht auf. Mitten in Canberra eröffnete er einen mobilen Friseursalon, den er gemeinsam mit seinen beiden Brüdern selbst designte und baute.
Zu viel Männlichkeit kann toxisch sein
In Australien stieß er auf ganz ähnliche Probleme wie in Neuseeland. Oftmals geht es dabei um die teils toxische Männlichkeit: „Männer haben das Gefühl, dass sie weniger Mann sind, wenn sie kommunizieren“, erklärte der Neuseeländer. „Sie müssen dieser Fels in der Brandung sein, und viele Probleme ergeben sich genau aus dieser Vorstellung heraus, unzerbrechlich zu sein.“
Redebedarf ist mehr als genug vorhanden: Denn nach Jahren der Dürre und den schweren Buschfeuern 2019/20 sind viele australische Männer vor allem auf dem Land in Depressionen gefallen. Und Sams Hilfe versucht genau dort anzusetzen: Sein nächster Plan ist deswegen auch, den mobilen Friseursalon und seinen Therapiehund mit auf Fahrt zu nehmen und die kleineren Ortschaften auf dem Land abzuklappern. Dafür heißt es aber erstmal sparen, denn das Auto, das den mehrere Tonnen schweren Friseursalon über längere Distanzen ziehen kann, muss erst noch finanziert werden.