Hunderttausendfacher Missbrauch: „Sie müssen für alle diese Verbrechen bezahlen“

Ein Rosenkranz liegt auf einer Bibel. (Symbolbild)

Ein Rosenkranz liegt auf einer Bibel. (Symbolbild)

Paris. Es sind bewusst „Minimalschätzungen“, und trotzdem lösen sie in der katholischen Kirche in Frankreich ein Erdbeben aus: Zwischen 2900 und 3200 französische Priester, Diakone oder Mönche haben sich in den vergangenen 70 Jahren sexuell an Minderjährigen vergangen – und in den seltensten Fällen gab es Konsequenzen. Dies sind die erschütternden Ergebnisse eines Berichts über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche Frankreichs, den eine unabhängige Kommission nach zweieinhalbjähriger Arbeit am Dienstag vorgestellt hat.

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Die Zahl der Betroffenen pro Täter wird auf 64 bis 67 geschätzt. Insgesamt 216.000 Menschen wurden Opfer von sexuellem Missbrauch durch Geistliche. Weitet man den Kreis der Täter auf Personen aus, die für kirchlich betriebene Einrichtungen wie Schulen oder Jugendbewegungen tätig waren, erhöht sich die Opferzahl auf 330.000 Jungen und Mädchen. In fast einem Drittel der Fälle handelte es sich um Vergewaltigungen.

Laut dem Bericht handelt es sich um individuelles Vergehen wie auch um ein generelles Versagen des Systems. „Ganz eindeutig war die kirchliche Institution weder dazu in der Lage, diesen Gewalttaten vorzubeugen, noch sie zu erkennen und noch weniger, mit der erforderlichen Entschlossenheit dagegen vorzugehen“, schreibt die Kommission, die von der französischen Bischofskonferenz und der Konferenz der Mönche und Ordensfrauen damit beauftragt worden war, nach Jahrzehnten des Verschweigens und Vertuschens endlich Aufklärung zu schaffen.

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„Deckel des Schweigens“

Der Studie zufolge ist die katholische Kirche in Frankreich, abgesehen von familiären und freundschaftlichen Kreisen, seit Jahrzehnten „das Milieu mit der höchsten Ausbreitung sexueller Gewalt“ – weit vor Ferienlagern, Schulen oder Sportklubs. Ein Rückgang sei erkennbar, das Phänomen aber immer noch präsent. Mehr als die Hälfte der Fälle haben sich in den Jahren zwischen 1950 und 1960 zugetragen, als die Verantwortlichen die Opfer zum Schweigen drängten. Erst seit wenigen Jahren würde deren Leid auch anerkannt. Als Gründe für die skandalösen Vorgänge werden unter anderem die große Bedeutung des Zölibats, eine „exzessive Sakralisierung der Person des Priesters“ und die „Tabuisierung der Sexualität“ in der katholischen Kirche aufgeführt.

Diese müsse nun endlich den „Deckel des Schweigens“ ablegen, die erfolgten Taten und ihr Ausmaß anerkennen und damit auch den „immensen Schaden“, der zigtausenden Menschen entstanden sei, sagte der Präsident der Kommission, Jean-Marc Sauvé. Auch in juristischer Hinsicht habe die Kirche Verantwortung zu übernehmen, was in Zukunft wohl „Entschädigungsmechanismen“, beschlossen durch die staatliche Strafjustiz, zur Folge habe.

Papst spricht von großer Trauer

Papst Franziskus reagierte betroffen auf die Ergebnisse. Seine Gedanken seien in erster Linie bei den Opfern, und er spüre große Trauer wegen ihrer Verletzungen und Dankbarkeit für ihren Mut, diese anzuprangern, sagte ein päpstlicher Sprecher. Der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort, zeigte sich entsetzt über die Ergebnisse und bat die Opfer um Verzeihung. „Angesichts so vieler zerrütteter, oft zerstörter Leben schämen wir uns“, sagte er.

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Die Kommission hatte mit mehreren Opfervereinigungen zusammengearbeitet, die die Ergebnisse begrüßten. „Diese Verbrechen, die Minderjährige wie auch Volljährige trafen, können künftig weder bestritten noch verharmlost werden“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Für alle Betroffenen handele es sich nun um einen „Wendepunkt in unserer Geschichte“, sagte François Deveaux, Präsident der Vereinigung „Die befreite Rede“. Jahrelang seien massenweise fürchterliche Verbrechen begangen worden: „Sie müssen für alle diese Verbrechen bezahlen“, sagte Deveaux in Richtung der Kirchenvertreter. Dabei werde es um Milliardensummen gehen.

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