Italien dürstet – und streitet
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Zu trocken: Die Freizeitboote, die sonst auf dem Po schippern, liegen auf Grund.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Jahrzehntelang war Wasser eine Selbstverständlichkeit. „Es war einfach da“, sagt Carlalberto Marchetti. „Und jetzt stellen wir fest: Das Gegenteil ist wahr, das Wasser fehlt, und unsere Kulturen leiden.“
Der 75-jährige Landwirt kniet in einem vertrockneten Reisfeld, reißt ein verdorrtes Büschel aus dem staubigen, steinharten Boden, hält es hoch und sagt: „Da ist nichts mehr zu machen, selbst wenn es jetzt noch regnen würde. Das ganze Feld ist verloren, tot.“ Wie so viele Felder in der Lomellina.
Acht Monate ohne Regen
Es ist später Nachmittag, die tief stehende Sonne brennt immer noch erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel: Im Schatten zeigt das Thermometer 38 Grad. Es habe immer mal trockene Jahre gegeben, sagt Marchetti.
Aber eine derartige Dürre und Hitze habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt.
Carlalberto Marchetti,
75-jähriger Landwirt in der Lomellina
Für fünf Regionen Norditaliens hat die Regierung Anfang Juli den Wassernotstand ausgerufen. Auch für die Lomellina. Hier hat es seit acht Monaten nicht mehr richtig geregnet. Dass sich das ausgerechnet im traditionell trockenen August noch ändern wird, ist wenig wahrscheinlich. Marchettis Società Agricola Isola liegt in der sogenannten Lomellina in der oberen Poebene, zwischen dem piemontesischen Vercelli und den lombardischen Vigevano und Pavia.
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28.7.2022, Italien, Ficarolo: Ein Bootsrestaurant liegt auf dem ausgetrockneten Flussbett an einem Touristenanleger am Po.
© Quelle: Luca Bruno/AP/dpa
Es ist eine einzigartige Landschaft, topfeben und durchzogen von unzähligen Kanälen und Gräben, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts angelegt worden sind. Sie führen das Wasser vom Lago Maggiore und vom Fluss Sesia, der Lebensader der Lomellina, auf die Felder der Reisbauern und Reisbäuerinnen. Wegen ihrer rechteckigen Reisfelder, die in den Farben Grün und Dunkelgelb changieren, wird die Gegend auch als „Mare a quadretti“, als „Meer der Vierecke“ bezeichnet. Mit ihren stattlichen Gutsbetrieben, kleinen, verträumten Dörfern und spitzen Kirchtürmen erinnert die Lomellina an die Verfilmungen von Guareschis „Don Camillo und Peppone“.
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18.7.22, Piacenza, Italien: Der Trebbia, Nebenfluss des Po, ist in einigen Gebieten Italiens fast vollständig ausgetrocknet.
© Quelle: Getty Images
Die Lomellina und die umliegenden Gebiete sind eine der wichtigsten Reisanbauregionen Italiens – und Europas. Rund 4000 Betriebe produzieren jährlich 800.000 Tonnen Reis, mehr als ein Viertel der in der EU produzierten Gesamtmenge. Die Dürre trifft die Bauern und Bäuerinnen mit Wucht.
Paolo Carrà, Präsident der Reisproduzierenden von Novara, Biella und Vercelli, rechnet wegen der Dürre mit Ernteausfällen von 50 bis 70 Prozent. Mehrere Regionen der Poebene haben längst den Notstand ausgerufen; es drohen Milliardenschäden. Auch die Gewitter der vergangenen Tage haben die Situation nicht verbessert – im Gegenteil: Sturmböen und Hagel haben zahlreiche Kulturen zerstört, ohne dass sich an der Wasserknappheit viel geändert hätte.
Auf den Feldern von Carlalberto Marchetti ist die Lage noch nicht ganz so dramatisch: Für seinen 130-Hektar-Betrieb rechnet er bei den Sojakulturen zwar mit einem Ausfall von 50 Prozent, doch beim Reis ist er verhalten optimistisch: Die Ernte dürfte wohl „nur“ um 30 Prozent geringer ausfallen. Einige seiner Felder leuchten trotz der Dürre noch in kräftigem Grün: „Es gibt ja noch Wasser – aber es reicht nicht mehr für alle Felder. Wir müssen jeden Tag von Neuem entscheiden, welchen Feldern wir Wasser geben: Wenn wir es dem einen geben, fehlt es dem anderen.“
Das meiste Wasser leitet Marchetti in die Reisfelder, deren Boden am undurchlässigsten ist, dort versickert es weniger. „Aber selbst diese Felder können wir nur an einem oder zwei Tagen mit Wasser fluten – eigentlich müssten sie in dieser Phase des Wachstums immer im Wasser stehen.“ Das Wasser dient dem empfindlichen Reis nicht zuletzt zur Regulierung der Temperatur: In der Hitze des Tages kühlt es die Pflanzen, in der Nacht gibt es die am Tag gespeicherte Wärme ab; damit werden die Temperaturschwankungen reduziert.
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23.6.22, Novara, Norditalien: Ein ausgetrocknetes Reisfeld. Wegen der akuten Wasserknappheit müssen italienische Brauern und Bäuerinnen ganze Felder vertrocknen lassen.
© Quelle: picture alliance / NurPhoto
Außerdem gedeiht im stehenden, zwischen fünf und zehn Zentimeter tiefen Wasser kein Unkraut. All dies wird mit der Dürre infrage gestellt: Zwar sterbe der Reis nicht gleich ab, wenn er einmal ein paar Tage kein Wasser bekomme, „aber es beeinträchtigt sowohl den Ertrag als auch die Qualität“, betont Marchetti. Und: Die Betonung liege auf „ein paar Tage kein Wasser“.
Letzte Hoffnung Gardasee
Szenenwechsel: Auf den ersten Blick ist gar nichts von Wassermangel zu sehen drei Autostunden östlich der Lomellina, am Gardasee. Das Voralpengewässer leuchtet türkis- bis dunkelblau, in den Städtchen Peschiera del Garda, Salò und allen anderen Touristenorten spazieren die Gäste aus dem In- und Ausland die Seepromenaden entlang, die Badestrände sind voll, auf dem fast 30 Grad warmen See kreuzen Touristendampfer, Windsurfer und Windsurferinnen erfreuen sich am verlässlichen, kräftigen Wind.
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8.7.2022, Italien, Riva Del Garda: Menschen stehen auf Felsen, die durch den niedrigen Wasserstand des Gardasees freigelegt wurden.
© Quelle: Aleksander Kalka/ZUMA Press Wire
Doch der erste Eindruck täuscht: Der Wasserpegel des Sees nähert sich wegen der Trockenheit der historischen Tiefstmarke; laut des staatlichen Observatoriums für die Wassernutzung ist das größte Wasserreservoir Norditaliens bei nur noch 33 Prozent seiner Kapazität angelangt. Bei den anderen beiden Voralpenseen, dem Lago Maggiore und dem Comer See, die wie der Gardasee auch Bewässerungskanäle speisen, ist die Situation sogar noch angespannter.
Um das Wasser des Gardasees tobt seit Wochen ein regelrechter Wasserkrieg: Die verzweifelten Bauern und Bäuerinnen südlich des Gewässers rund um Mantua fordern höhere Abflussmengen, eine Forderung, die auch von der Regulierungsbehörde des Pos unterstützt wird. Der größte Fluss Italiens führt bei der Messstation Pontelagoscuro bei Ferrara, also kurz vor der Mündung in die Adria, nur noch 114 Kubikmeter pro Sekunde – weniger als ein Zehntel der normalen Menge um diese Jahreszeit. Als Folge des niedrigen Pegels fließt das Salzwasser bereits 40 Kilometer rückwärts das Flussbett hinauf und dringt in das Grundwasser ein.
Es geht um wenige Meter
Doch die Anliegergemeinden des Gardasees wehren sich. „Wir tun längst unser Möglichstes, um den Notstand rund um den Po zu lindern, aber wir müssen auch unsere Schifffahrt und die Fische schützen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Bauern rund um den See auch im August noch ihre Kulturen bewässern können“, sagt Pierlucio Ceresa, Geschäftsführer des Gemeindeverbands Garda.
Der Streit und die Berichte, wonach der Gardasee demnächst leer sein würde, haben auch den Bürgermeister von Garda, Davide Bendinelli, auf den Plan gerufen: „Die alarmierenden Medienberichte über den sinkenden Seepegel haben bei uns bereits zu den ersten Stornierungen seitens deutscher Touristen geführt“, sagt Bendinelli. Dabei habe der See nichts von seiner Attraktivität eingebüßt. Das Problem der Trockenheit sei zwar ernst und real, aber bei Weitem kein Grund für die Touristinnen und Touristen, sich Sorgen zu machen.
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28.7.2022, Italien, Ficarolo: Ein Fischer spaziert auf dem ausgetrockneten Flussbett an einer Touristenanlegestelle am Po. Die Dürre hat die für die Bewässerung wichtigen Flüsse ausgetrocknet und bedroht nach Angaben der italienischen Agrarlobby Coldiretti die Landwirtschaft mit rund 3 Milliarden Euro.
© Quelle: Luca Bruno/AP/dpa
Dass der See bei nur noch 33 Prozent seiner Kapazität angelangt ist, bedeutet tatsächlich nicht, dass er nun zu zwei Dritteln leer ist: Die Prozentangabe bezieht sich auf die Differenz zwischen dem Höchststand und dem tiefsten möglichen Pegel, bei dem der Abfluss überhaupt noch erhöht oder gesenkt werden kann. Es geht also um eine Spanne von wenigen Metern – bei einer durchschnittlichen Tiefe des Sees von 144 Metern.
Mit dem Fortschreiten des Klimawandels werden sich Konflikte wie jene um das Wasser des Gardasees in Zukunft noch verschärfen, betont Marco Bezzi. Der Dozent für Wasserwirtschaft und Wassermanagement an der Universität von Trient fordert deshalb generell mehr Kooperation unter den zahlreichen Behörden und Interessengruppen, die mit der Regulierung und der Nutzung des Wassers zu tun haben. Bei Seen wie dem Lago Maggiore, dessen Einzugsgebiet mehr als ein Land umfasst, sei außerdem mehr Austausch und Zusammenarbeit erforderlich. Vor allem gehe es darum, dass die Politik bei akutem Wassermangel klare Prioritäten setze: „Die Behörden müssen entscheiden, welchen Stellenwert die Stromproduktion respektive die Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft haben“, sagt Bezzi.
Tröpfeln statt sprengen
Auf die veränderten klimatischen Bedingungen einstellen müssen sich laut Bezzi aber vor allem auch die Landwirte und Landwirtinnen. „Mit den heute verwendeten Bewässerungsmethoden werden riesige Wassermengen verschwendet. Allein mit der Umstellung auf die Bewässerung mit Tröpfelsystemen könnten enorme Einsparungen erzielt werden“, sagt der Forscher, der selbst an der Entwicklung intelligenter Bewässerungssysteme mitgewirkt hat. Die modernen Anlagen werden mit Daten von Feuchtigkeitssonden im Boden der Felder, mit Wetterprognosen und Satellitenbildern gefüttert – und starten die Bewässerung erst dann, wenn es die Pflanzen auch benötigen. Die Installation solcher Anlagen sei zwar mit großen Investitionen verbunden – doch gerade in Italien könnten Landwirte und Landwirtinnen, die ihre Bewässerung auf solche modernen Systeme umstellen wollten, mit Geldern aus dem EU-Wiederaufbaufonds rechnen.
Der Klimawandel fordert ein Umdenken, einen Kulturwandel, bei allen Beteiligten. Zu sagen, wir haben es immer so gemacht, geht nicht mehr.
Marco Bezzi,
Dozent für Wasserwirtschaft und Wassermanagement, Universität von Trient
Bei den Bauern und Bäuerinnen, die von den Folgen des Klimawandels als Erste und am härtesten getroffen werden, hat dieses Umdenken schon eingesetzt: Carlalberto Marchetti in der Lomellina hat bereits begonnen, den Anteil an anderen Getreidesorten zu erhöhen, zulasten des Reisanbaus. „Es tut zwar weh, aber wir werden die Reisproduktion an die Menge des noch zur Verfügung stehenden Wassers anpassen müssen“, sagt Marchetti und blickt auf die verdorrte Reispflanze in seiner Hand. „Aber ich hoffe, dass der Reisanbau bei uns trotzdem noch eine Zukunft hat.“
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