Erst Regen, dann extreme Kälte

„Die Uhr tickt“: Nach Erdbeben in Marokko warnen Experten vor Kältewelle

Zerstörte Häuser in den Bergen des Atlasgebirges.

Zerstörte Häuser in den Bergen des Atlasgebirges.

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Zehn Tage nach dem schweren Erdbeben in Marokko sind am Montag in den betroffenen Regionen wieder Schülerinnen und Schüler in die Schulen zurückgekehrt. Die Regierung hat große Zelte aufgebaut, in die Helferinnen und Helfer die Ausstattung für den Unterricht gebracht haben, wie der arabischsprachiger TV-Sender Al-Arabiya berichtete. Der zweitgrößte Fernsehsender Marokkos 2M meldete, dass in mehr als 150 Zelten die Schule wieder begonnen habe.

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„Auch mehr als zehn Tage nach dem Erdbeben gibt es immer noch Dörfer, in die keine Helfer vorgedrungen sind“, sagte Ulrich Wagner im Interview des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Der 47‑Jährige ist seit mehreren Tagen für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Marokko und unterstützt den Marokkanischen Roten Halbmond bei Hilfslieferungen. Für die nächsten Tage sei Regen angekündigt. „Wir müssen in den Bergen mit schweren Schlammlawinen rechnen“, erklärte er. Kleine Straßen zu den Bergdörfern seien dann unpassierbar, die Menschen von der Außenwelt abgeschnitten.

Erst Regen, dann Kältewelle in Marokko erwartet

Schon jetzt wird es nachts extrem kalt. Außerdem droht in den nächsten zwei bis drei Wochen eine Kältewelle. „Wenn wir bis dahin nicht Decken, winterfeste Zelte und Hygieneartikel in diese Dörfer bringen, droht den Menschen dort der Tod“, sagte Wagner. „Die Uhr tickt.“ In zwei Wochen könnten die Helferinnen und Helfer den Zugang zu den am schlimmsten betroffenen Gebieten verlieren. Deshalb müssten die Hilfskräfte die Menschen nun so schnell wie möglich auf den Winter vorbereiten. „Doch winterfeste Zelte sind selbst in den besser zugänglichen Gebieten noch Mangelware.“

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Viele der Überlebenden des schweren Erdbebens blieben in der Nähe ihrer zerstörten Dörfer und schliefen in Behelfsunterkünften und einfachen Zelten, die vom marokkanischen Katastrophenschutzdienst oder dem Roten Halbmond aufgebaut würden. Besonders dringend werde sauberes Wasser benötigt, teilte der Nothilfe­koordinator der Vereinten Nationen mit. Der Zugang zu Trinkwasser sei bereits vor dem Erdbeben in einigen Gegenden schwer gewesen.

Wagner bestätigte, dass sauberes Wasser und mangelnde Hygiene derzeit zwei wichtige Themen seien. Es gebe nur wenige sanitäre Einrichtungen, nicht alle Menschen hätten Seife und andere Hygieneartikel. Vielerorts fehle es neben sauberem Wasser auch an Latrinen und Duschen. In den Bergdörfern traf er auf viele Menschen, deren Widerstandskraft ihn beeindruckte. „Die Menschen sind unglaublich belastbar und beginnen bereits, ihren Alltag zu organisieren und sich Gedanken zu machen, wie sie sich im nächsten Jahr ernähren sollen.“ Denn das Erdbeben habe in vielen Fällen die Lebensgrundlage der Menschen zerstört.

Armee desinfiziert Häuser

Die marokkanische Armee hat am Sonntag begonnen, schwer beschädigte Häuser zu desinfizieren. Mit antibakteriellen und antiviralen Mitteln gingen die Einsatzkräfte gegen Fäulnisgeruch vor. In der Bevölkerung war zuvor die Sorge gewachsen, dass verwesende Leichen zu einer Gesundheitsgefahr werden könnten. DRK‑Experte Wagner stellte aber klar: „Es ist ein Mythos, dass die Verwesung der Leichen eine Gefahr darstellt.“ Sie verursache einen unangenehmen Geruch, sei aber an sich nicht gefährlich. Nur wenn die Menschen vorher ansteckende Krankheiten gehabt hätten, wie zum Beispiel Cholera, gehe davon eine echte Gefahr aus.

Das DRK unterstützt und berät den Roten Halbmond vor Ort, organisiert weitere Decken, winterfeste Zelte und stellt Geld zur Verfügung. Die freiwilligen Helfer müssen sich zum Beispiel Essen kaufen können und benötigen Schutzkleidung. „Nach zehn Tagen gehen die Helfer wirklich auf dem Zahnfleisch“, sagte Wagner. „Noch immer bergen sie täglich Leichen unter den Trümmern, und dies ist auch mental eine schwierige Situation.“

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