Stadt, Bahn, Fluss: Ägyptens Riesenprojekte
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Ein Satellitenbild zeigt das 2021 festgesetzte Containerschiff „Ever Given“ im Suezkanal. Ägyptens Regierung ließ die wichtige Wasserstraße 2015 ausbauen.
© Quelle: Uncredited/��Maxar Technologies/
Eine zweite Fahrrinne für den Suezkanal
Kairo. 2014 wird al-Sisi zum Präsidenten gewählt. Nur ein Jahr später lässt er sich für sein erstes Megaprojekt feiern: eine zweite Fahrrinne des Suezkanals. Der Politiker weiß um die Symbolkraft der Wasserstraße, die das Mittelmeer über das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbindet. In den Fünfzigerjahren hatte Präsident Gamal Abdel Nasser den Suezkanal verstaatlicht und die britischen Kolonialherren somit de facto aus dem Land geschmissen. Daran will al-Sisi anknüpfen. „Dies ist ein Geschenk Ägyptens an die Welt“, sagte er 2015. Und: „Ein großer nationaler Traum wird wahr.“ 7,8 Milliarden Euro kostet die zweite Fahrrinne, von der sich al-Sisi Devisen in Milliardenhöhe erhofft. Bis zu 12 Milliarden Dollar im Jahr sollen es künftig sein und somit doppelt so viel wie bisher. Ökonomen und Ökonominnen sowie Spediteurinnen und Spediteure halten die Ziele für utopisch.
Mit dem ICE durch die Wüste
Es ist der größte Auftrag, den Siemens jemals an Land gezogen hat. Der deutsche Industriekonzern soll in Ägypten ein rund 2000 Kilometer langes Netz für Schnellzüge bauen, das sechstgrößte der Welt. Auftragsvolumen: 8,1 Milliarden Euro. Siemens spricht bei der Bekanntgabe Ende Mai 2022 von einem Projekt mit „historischer Bedeutung“, das bis zu 40.000 Arbeitsplätze schaffen soll. Der ägyptische Präsident verspricht gar „den Beginn einer neuen Ära für das Eisenbahnsystem in Ägypten, Afrika und dem Nahen Osten“. Doch nicht jeder im Land teilt diese Euphorie. „Wenn man sich den Beginn und das Ende der Streckenführung anschaut, dann wird schnell klar, dass mit diesem Projekt nicht die Mehrheit der Ägypter angesprochen wird“, sagt Nabil el-Hady, Professor für nachhaltige Stadtplanung an der Cairo University. Und tatsächlich: Die erste von drei Strecken soll Ain Sokhna am Roten Meer und Marsa Matruh am Mittelmeer miteinander verbinden, zwei beliebte Badeorte der Oberschicht. Eine zweite Strecke führt von Alexandria über Kairo nach Abu Simbel und dürfte vor allem für ausländische Touristinnen und Touristen interessant sein. Gleiches gilt für die dritte Strecke, die Luxor mit Hurghada am Roten Meer verbindet. „Häufigere Verbindungen zwischen den Vororten Kairos und der Hauptstadt – das wäre ein guter Anfang, wenn Siemens den Ägyptern wirklich helfen möchte“, sagt el-Hady.
Eine Glitzerstadt am Mittelmeer
Auch an der Küste, rund 100 Kilometer westlich von Alexandria, wird seit 2018 kräftig gebaut. In New Alamein City sollen drei Universitäten, 15 Wolkenkratzer, ein Präsidentenpalast, ein Amphitheater und mehr als 15.000 luxuriöse Hotelzimmer entstehen, dazu Wohnraum für bis zu drei Millionen Menschen. Rund 4 Milliarden Euro hat das Megaprojekt bislang gekostet, dabei ist noch nicht einmal die erste von insgesamt drei Bauphasen abgeschlossen. Fraglich ist, wer in der Retortenstadt überhaupt leben soll. Die kleinsten Apartments kosten fast 1,2 Millionen Ägyptische Pfund (umgerechnet knapp 62 000 Euro) – die meisten ägyptischen Familien müssen mit einem monatlichen Einkommen von 6000 Ägyptischen Pfund (309 Euro) auskommen.
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Sollen künftig auch in Ägypten fahren: Schnellzüge wie der ICE.
© Quelle: Jan Woitas/dpa
Kein Platz mehr für Hausboote
Für viele Bewohnerinnen und Bewohner Kairos gehören sie zum kulturellen Erbe der Stadt, sie sind Schauplatz etlicher Filme und Romane gewesen. Dennoch lässt die ägyptische Führung im Juli 2022 die letzten bewohnten Hausboote auf dem Nil entfernen. Darunter das von Ikhlas Helmy. „Ich habe vor einigen Jahren all mein Geld für den Kauf meines Hausboots ausgegeben, um hier meine letzten Tage auf dem Nil zu verbringen“, sagt die 88-Jährige im Gespräch mit „Mada Masr“, einer der wenigen unabhängigen Nachrichtenseiten des Landes. „Und nun werfen mich die Behörden einfach auf die Straße und nehmen mir mein Hausboot weg.“ Mitte Juni hat Helmy – wie die Bewohnerinnen und Bewohner weiterer 31 Hausboote – einen kurzfristigen Abrissbescheid erhalten. Offizielle Begründung: Die Boote seien einst ohne Erlaubnis gebaut worden und inzwischen marode. In Wahrheit aber möchte die Regierung das Nilufer im Zentrum Kairos „aufwerten“, eine lange Promenade mit schicken Cafés, Restaurants und Luxushotels bauen.
Eine Autobahn durch die Stadt der Toten
Kairo erstickt am Verkehr. Die Regierung baut daher jede Menge neue Straßen – selbst da, wo eigentlich kein Platz dafür ist. Ganze Wohnviertel sind in den vergangenen Jahren verschwunden. Nun droht dieses Schicksal auch einem der ältesten Friedhöfe der Stadt, der nicht nur Unesco-Weltkulturerbe ist, sondern auch das Zuhause von mehr als 300.000 Menschen. Jene, für die selbst die günstigste Mietwohnung in Kairo noch zu teuer ist, haben sich hier, in der Stadt der Toten, angesiedelt. Sie leben in den kleinen, aber reich verzierten Mausoleen, in denen viele historisch bedeutsame Persönlichkeiten begraben liegen. Nun aber plant die Regierung den Bau einer Schnellstraße mitten durch das Armenviertel. Ein Teil der historischen Grabstätten soll dafür planiert werden. Was mit den Bewohnerinnen und Bewohnern passiert, ist unklar.
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