Tod hinter Gittern: 500 Aborigines sind in Gefängnissen ums Leben gekommen

Der Schattenriss eines Mannes ist in einer Justizvollzugsanstalt in einer Tür zu sehen (Symbolfoto).

Der Schattenriss eines Mannes ist in einer Justizvollzugsanstalt in einer Tür zu sehen (Symbolfoto).

Sydney. Glen Francis war erst 43 Jahre alt, als er im November reglos in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Maryborough in Queensland aufgefunden wurde. Francis ist jedoch nicht der einzige indigene Tote der vergangenen Wochen. Im gleichen Monat starb auch ein 26-jähriger Aborigine im Gefängnis von Cessnock im Bundesstaat New South Wales. Insgesamt verloren in den vergangenen fünf Wochen vier australische Ureinwohner in Polizeigewahrsam ihr Leben. Seit 1991 – als eine Royal Commission die indigenen Todesfälle im Justizsystem untersuchte und Verbesserungsvorschläge vorlegte – sind damit 500 indigene Menschen in der Haft verstorben.

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Der juristische Dienst für Aborigines und Bewohner der Torres Strait-Inseln (Natsils), der die traurige Statistik am Montag veröffentlichte, warf den Landesregierungen, aber auch der Regierung in Canberra vor, „dringende Maßnahmen auszubremsen“, um Todesfälle in Polizeigewahrsam zu verhindern. Jamie McConnachie, Geschäftsführer von Natsils, nannte die Zahlen „mehr als herzzerreißend“.

Laut einer Analyse des „Guardian“, der indigene Todesfälle in Polizeigewahrsam in einer Datenbank erfasst, sterben australische Ureinwohner derzeit sechsmal häufiger in Polizeigewahrsam als Nichtindigene. „Die Menschen sterben immer noch auf die gleiche Art und Weise, aufgrund der gleichen Polizeiarbeit, und werden von Gerichtsmedizinern untersucht, die die gleichen Empfehlungen abgeben“, hieß es in einem der Begleittexte dazu. Auch in einem Bericht des australischen Senders ABC im April wurde kritisiert, dass selbst 30 Jahre nach der Royal Commission mehr als hundert Empfehlungen noch nicht umgesetzt seien. Der indigene Labour-Senator Pat Dodson nannte dies damals eine „nationale Schande“.

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Justizreform überfällig

Dass im Verhältnis deutlich mehr Ureinwohner in Polizeigewahrsam sterben, liegt heute wie auch 1991 daran, dass überproportional viele Gefängnisinsassen Aborigines sind. Im April 2021 waren 29 Prozent der Inhaftierten in Australien Ureinwohner. Dabei machen indigene Menschen nur 3 Prozent der australischen Bevölkerung aus. Die erste Aborigine-Abgeordnete im australischen Parlament, Linda Burney, forderte bereits 2017 eine Justizreform. „Dies bezieht sich nicht auf schwere Verbrechen“, betonte die sozialdemokratische Politikerin damals. „Die meisten Aborigines sitzen wegen Verkehrsdelikten im Gefängnis, weil sie ohne Führerschein gefahren sind oder Strafzettel nicht bezahlt haben.“ Für diese Vergehen sollten ihrer Meinung nach alternative Strafen eingeführt werden.

Obwohl über einzelne Todesfälle durchaus in australischen Medien berichtet wird, wird das Thema in seiner Gesamtheit meist nicht ausreichend behandelt. Zuletzt erhielten die Todesfälle indigener Menschen im Juni 2020 etwas mehr Aufmerksamkeit als normalerweise, da damals – nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch die Polizei – die Rassismusdebatte aus den USA auch nach Australien überschwappte. Trotz Corona-Restriktionen demonstrierten damals Menschen in ganz Australien in „Black-Lives-Matter“-Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt.

Oftmals fehlt nötige medizinische Versorgung

Unter den zahlreichen tragischen Schicksalen fallen auch immer wieder Fälle auf, in denen Ureinwohner „zu ihrer eigenen Sicherheit“ in Gewahrsam genommen wurden, in der Zelle dann aber verstarben. Schlagzeilen machte der Tod von Tanya Day, die festgenommen wurde, weil sie betrunken war, in der Zelle selbst dann aber umkam, weil sie nicht die nötige medizinische Versorgung erhielt. Eine Analyse des Guardian aus dem Jahr 2018 stellte fest, dass 34 Prozent der Ureinwohner keine angemessene medizinische Versorgung vor ihrem Tod erhalten hatten, verglichen mit 25 Prozent der nichtindigenen Bevölkerung. Indigene Frauen waren dabei am schlimmsten betroffen: 50 Prozent erhielten nicht die erforderliche medizinische Versorgung.

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Das Ungleichgewicht betrifft auch andere Aspekte des Lebens: So zeigte der diesjährige „Closing the Gap“-Bericht, dass die Kluft zwischen den Ureinwohnern und dem Rest der Bevölkerung Australiens in vielen Themen nach wie vor groß ist. So haben viele Aborigines nicht gleichwertigen Zugang zum Gesundheitswesen und auch die insgesamte Lebenserwartung ist nicht gleich hoch. Auch indigene Kinder sind in vielerlei Hinsicht benachteiligt: Besonders tragisch ist, dass die Selbstmordrate unter indigenen Jugendlichen nach wie vor viermal höher ist als die anderer australischer Jugendlicher.

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