Waldbrände auf Euböa „zerstören“ Lebensgrundlage vieler Familien: „Überall ist alles verbrannt“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/MP3VVAN3KBAY7COL5HJ4GA2DAM.jpg)
Verbrannte Flächen nach den verheerenden Feuern auf der griechischen Insel Euböa.
© Quelle: imago images/ANE Edition
Agdines. Über Generationen lebten die Einwohnerinnen und Einwohner im Norden der griechischen Insel Euböa von den dichten Kiefernwäldern, die ihre Dörfer umgaben. Die Gewinnung des Harzes der Aleppo-Kiefern war die Haupteinnahmequelle von Hunderten Familien. Mit der zähflüssigen, klebrigen Substanz schützen sich die Bäume gegen Insekten und Krankheiten. Menschen verwenden es seit der Antike, heute findet es sich in Produkten von Farben und Lösungsmitteln bis hin zu Arzneimitteln, Kunststoffen und Kosmetika.
Kaum noch Wald übrig
Doch inzwischen ist kaum noch Wald übrig: Anfang August wütete im nördlichen Teil Euböas tagelang einer der verheerendsten Waldbrände Griechenlands, verschlang Waldflächen, Häuser und Geschäfte und trieb Tausende in die Flucht. Die Zerstörungen werden sich nach Einschätzung der Harzsammler und Imker nicht nur auf die diesjährige Ernte auswirken, sondern auch auf die nächsten Generationen: „Es ist alles vorbei“, klagt der 48-jährige Harzsammler und vierfache Vater Christos Livas. „Alles ist zu Asche geworden.“
Im Norden Euböas, Griechenlands zweitgrößter Insel, werden nach Angaben der Einheimischen 80 Prozent des im Land produzierten Harzes und etwa 70 Prozent des Kiefernhonigs gewonnen. Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Verwüstung: Der größte Teil des Nordens ist zerstört, Zehntausende Hektar Wald und Ackerland gleichen nun einer dystopischen Landschaft mit skelettierten, schwarzen Bäumen. Bis die Bäume wieder so groß gewachsen sind, dass Harz gewonnen werden kann, könnten mehr als 20 Jahre vergehen; bis wieder Kiefernhonig produziert werden kann, vielleicht sogar doppelt so viel Zeit. „In zehn Jahren wird der Wald wieder grün“, sagt Livas. „Doch die Harzgewinnung wird erst in 20 bis 25 Jahren wieder möglich sein. Für mich ist es vorbei. Auch ein 30-Jähriger – was soll er machen, sich einen Job suchen und dann mit 50, 60 Jahren zurückkommen, um Kiefern anzuzapfen? Seine Beine werden das nicht mitmachen.“
„Es war wie ein Erdbeben“
Während Livas durch die noch rauchenden Überreste des Waldes am Rande des Bergdorfes Agdines läuft, steigen um seine Stiefel weiße und graue Aschewolken auf. „Diese hier kenne ich, seit ich ein Junge war, 15 Jahre alt“, sagt er und deutet auf eine rußgeschwärzte Kiefer, an der noch die abgeschälte Rinde zu sehen ist, wo das Harz entnommen wurde. „Hier wurde 32, 33 Jahre Harz gewonnen.“ Nun hat sich der größte Teil seines Lebensunterhaltes in Rauch aufgelöst.
Er erinnert sich an den Lärm, als die gewaltigen Flammen auf das Dorf zukamen: „Man konnte ein Rumpeln hören … Es war wie ein Erdbeben.“ Das Feuer kam so schnell näher, dass keine Zeit blieb, die Tausenden an den Bäumen angebrachten Plastiktaschen zu sammeln, die das kostbare Harz auffangen. Stattdessen blieben die Einwohner im Dorf, ignorierten den Evakuierungsbefehl und versuchten, ihre Häuser zu retten. Die Rettung der Häuser gelang, doch den Wald mussten sie aufgeben. Und die Wut der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner ist spürbar – auf die Behörden, die nicht früher mehr Feuerwehrleute schickten und Evakuierungen anordneten, obwohl die Einheimischen nach eigenem Bekunden bei der Brandbekämpfung hätten helfen können.
Livas gewann jährlich rund neun bis zehn Tonnen Harz aus etwa 3000 Bäumen, für 27 Cent pro Kilogramm. Von all diesen Bäumen überlebte nur einer. Zusätzlich hatte er Olivenbäume, züchtete Vieh und fällte gelegentlich Holz. Doch nun gibt es keine Bäume mehr zum Abholzen, und die meisten Olivenbäume sind auch verschwunden: „Ich habe nirgends mehr irgendwas. Überall ist alles verbrannt.“ Livas hat vier kleine Kinder zu versorgen, das älteste ist 13. Nun will er sich nach einer neuen Arbeit umschauen, doch das wird schwierig: Die Schule hat er nach der Grundschule verlassen, lesen und schreiben kann der 48-Jährige nicht. Der Wald, das Harz und die Landwirtschaft sind alles, was er kennt. „Was soll ich jetzt machen?“, fragt er. „Weiß ich, was ich jetzt machen soll?“
Doch anderen sei es noch schlechter ergangen, erzählt er. Manche Familien lebten nur vom Harzsammeln – mit 30 bis 40 Tonnen im Jahr. Es gab ganze Dörfer im Norden Euböas, die fast ausschließlich in der Harzgewinnung arbeiteten. Antonis Natsios begann damit im Alter von zwölf Jahren, lernte die Technik von seinem Vater, der sie wiederum von seinem Vater gelernt hatte. Jetzt ist er 51 und hat drei Kinder, von denen zwei eine höhere Schule besuchen, und Natsios weiß nicht, wie er von nun an über die Runden kommen soll. Einige seiner Feigenbäume seien angesengt, würden aber wahrscheinlich überleben und eine neue Ernte hervorbringen, und von seinen Olivenbäumen blieben ihm etwa 20 Prozent. Doch von seiner Haupteinnahmequelle, den Kiefern, blieb nichts übrig: „Null. Kein einziger Ast.“
Viele Möglichkeiten hat er nicht: „Entweder der Staat oder Gott, wenn er hilft. Oder auswandern“, sagt er. Zwar hat die Regierung bereits versprochen, alle von den Waldbränden Betroffenen zu entschädigen. Doch den Verlust ihrer Lebensgrundlage auf Jahrzehnte hinaus könne nichts ausgleichen, sagen die Einheimischen. „Wir haben für die nächsten 30 bis 40 Jahre alles verloren“, erklärt der Imker Makis Balalas, der in den Wäldern von Euböa Kiefernhonig produzierte. Die Zerstörung des Waldes sei viel schlimmer gewesen als der Verlust der Bienenstöcke. „Neue Bienenstöcke kann ich aufstellen“, sagt er. „Aber was jetzt verloren ist, das kann man nicht wiederherstellen.“
Auch Natsios schmerzt der Verlust des Waldes, in dem er aufwuchs, am meisten. „Wenn man 50 Jahre mit etwas gelebt hat und jetzt dieses Ding sieht, diese Holzkohle. Jetzt muss ich, der in diesem Wald geboren wurde, diese Schwärze einatmen.“
RND/AP