Klaus Reinhardt im RND-Interview

Ärztepräsident: „Ich gehe eher davon aus, dass die Revolution ausfällt“

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Facharzt für Allgemeinmedizin.

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Facharzt für Allgemeinmedizin.

Berlin. Klaus Reinhardt ist seit Mitte 2019 Präsident der Bundes­ärzte­kammer. Sie vertritt die berufspolitischen Interessen der mehr als 400.000 berufstätigen Ärztinnen und Ärzte auf Bundesebene. Daneben arbeitet der 62‑jährige Allgemein­mediziner weiter in seiner Hausarztpraxis in Bielefeld.

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Herr Reinhardt, Sie haben kürzlich darauf hingewiesen, dass Gesundheits­minister Lauterbach zwar Medizin studiert habe, aber kein Arzt sei. Warum greifen Sie ihn auf diese Art an?

Karl Lauterbach hat eine Approbation als Arzt, er ist also formal berechtigt, Menschen ärztlich zu behandeln. Meine Aussage fiel im Zusammen­hang mit der Diskussion um die negativen Folgen des jüngsten Spargesetzes für die Patienten­versorgung. Diese Folgen bekommt er eben nicht in seiner täglichen Arbeit als praktizierender Arzt zu spüren, er verantwortet sie als Minister. Wäre er kontinuierlich im klinischen Alltag tätig und hätte er Erfahrungen im Umgang mit Patientinnen und Patienten, würde er solche Gesetze nicht machen. In diesem Zusammenhang spricht er aus meiner Sicht unangemessener­weise von „wir Ärzte“. Er will damit offenbar suggerieren, dass er schon wisse, was für das ärztliche Handeln gut und sinnvoll ist, auch ohne uns in Gesetz­gebungs­prozesse einzubeziehen.

Gehören Sie als Ärztepräsident auch zu denjenigen, die anders als bei Vorgänger­regierungen keinen Zugang mehr zum Gesundheits­minister haben?

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Ich habe immer kurzfristig die Möglichkeit des Zugangs zum Minister und wir sprechen oft miteinander. Aber mir und vielen weiteren Vertretern großer Organisationen geht es um eine bessere strukturelle Einbindung in Gesetz­gebungs­prozesse, wie sie in unserer demokratischen Ordnung eigentlich selbstverständlich sein sollten. Unser Gesundheits­wesen basiert auf dem Prinzip der Selbst­verwaltung, bei dem Ärzteschaft, Kliniken und Krankenkassen die medizinische Versorgung in Eigenregie bürgernah organisieren. Lauterbach degradiert uns jedoch zu ausführenden Organen des Staates. Ich rate ihm dringend, uns und die anderen maßgeblichen Akteure im Gesundheits­wesen bei seinen Reform­vorhaben ernsthaft einzubeziehen. Sonst wird er krachend scheitern.

Ohnehin drängt sich gerade der Eindruck auf, unter Lauterbach laufe einiges falsch im Gesundheits­system. Wie ist aktuell die Lage bei der medizinischen Versorgung von Kindern?

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Ihre gesundheitliche Versorgung ist besonders zeit- und personal­intensiv. Viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte haben deshalb die jüngsten Forderungen des Städte­tags­präsidenten, die Praxen wegen der angespannten Versorgungslage einfach nach Feierabend und an den Wochenenden offenzuhalten, als echten Affront empfunden. So spricht nur einer, der keinen blassen Schimmer davon hat, was in unseren Praxen derzeit los ist. Die Kolleginnen und Kollegen sind am Limit. Und in den Kliniken ist es nicht besser.

Was halten Sie von der geplanten Klinikreform?

Minister Lauterbach spricht von einer Revolution. Nüchtern betrachtet ist der Reform­vorschlag allerdings das, was unter vielen Experten längst Konsens ist und zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen schon auf den Weg gebracht wird. Die eigentliche Revolution wäre, wenn Herr Lauterbach ein Konzept hätte, wie er diese Reform praktisch umsetzen kann. Denn er muss insbesondere die Länder mit ins Boot holen, die für die Krankenhausplanung zuständig sind. Ich sehe allerdings noch nicht, wie ihm das gelingen soll. Derzeit stößt er alle Beteiligten durch seine Alleingänge permanent vor den Kopf. Ich gehe eher davon aus, dass die Revolution ausfällt.

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Es gibt weitere Entwicklungen im Gesundheits­wesen, die zunehmend kritisiert werden: Immer mehr Finanzinvestoren kaufen sich über Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland ein. Wie bewerten Sie die Lage?

Wir müssen das differenziert betrachten. Auf der einen Seite gibt es ganz offensichtlich Kolleginnen und Kollegen, die lieber in einer Anstellung arbeiten. Auch Investitionen ins Gesundheits­wesen sind nicht grundsätzlich negativ zu bewerten, denn in einigen Fach­bereichen wie zum Beispiel in der Kardiologie kann die medizinische Technologie kaum noch durch einzelne Ärzte finanziert werden. Kritisch wird es aber, wenn die dort beschäftigten Ärzte unter hohem Renditedruck stehen oder es eine Monopolisierung durch große MVZ‑Strukturen oder ‑Ketten gibt.

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Besteht das Problem schon?

In einigen Regionen, so zum Beispiel in Oberbayern, haben Patienten bereits jetzt kaum Alternativen zu großen MVZ oder Ketten, die von Investoren betrieben werden. Dieser Wildwuchs bereitet uns große Sorge. Hier muss gegen­gesteuert werden.

Aber wie?

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Wir schlagen eine Reihe von Gesetzes­änderungen vor, um Fehl­entwicklungen und Missbrauch zu verhindern. Künftig sollten nur noch fachübergreifende Versorgungs­zentren zugelassen werden. Außerdem sollte der Marktanteil der von Finanzinvestoren betriebenen MVZ in der Regel auf 10 Prozent begrenzt werden. Schließlich schlagen wir vor, dass an allen MVZ‑Standorten auf dem Praxisschild beziehungsweise im Internet­auftritt angegeben werden muss, wer der Träger ist. Die Patienten haben ein Anrecht, zu erfahren, wie die Besitz­verhältnisse tatsächlich sind. Die Bundes­ärzte­kammer hat konkrete Gesetzes­vorschläge ausgearbeitet und diese Bund und Ländern zur Verfügung gestellt. Der Minister seinerseits hat angekündigt, in den nächsten Monaten tätig zu werden, um Fehl­entwicklungen einzudämmen. Ich hoffe sehr, dass er unsere Vorarbeiten berücksichtigt.

Wahrscheinlich im Frühjahr steht im Bundestag die Entscheidung über die Neuregelung der Sterbehilfe an. Welchen der drei Gesetzentwürfe würden Sie sich wünschen?

Für uns als Ärzteschaft muss die Suizid­prävention im Vordergrund stehen, was in keinem der Gesetzentwürfe ausreichend berücksichtigt ist. Wir gehen davon aus, dass die übergroße Mehrheit der Suizidwünsche auf psychische Krankheiten, Lebens­krisen oder soziale Isolation im Alter zurückgeht. Diesen Menschen müssen und können wir durch Beratung und Behandlung helfen. Nur ein verschwindend kleiner Anteil der Betroffenen befindet sich in einer Situation, in der ein Suizid­wunsch nachvollziehbar erscheint, etwa wegen einer schlimmen unheilbaren Krankheit. Ich warne aber vor zu hohen Erwartungen an eine Neuregelung.

Warum?

Man könnte davon ausgehen, dass mit der Einführung der gesetzlich geregelten assistierten Selbsttötung die Zahl der Suizide, bei denen sich Menschen vor einen Zug werfen oder von einer Brücke stürzen, zurückgeht. Zahlen aus den Niederlanden zeigen aber, dass das nicht der Fall ist, im Gegenteil. Es würde zu mehr Suiziden kommen. Auch das macht klar, dass wir vor allem mehr für die Prävention tun müssen.

Was sollte konkret geschehen?

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Nötig sind sehr nieder­schwellige Angebote, um Menschen in Not rasch helfen zu können. Ein wichtiger Schritt wäre die Einrichtung einer nationalen Telefon- oder Video­anlauf­stelle, die bundesweit unter einer einheitlichen Nummer oder einem Link rund um die Uhr erreichbar ist. Das sollte Bestandteil eines nationalen Präventions­programms werden.

Nach einem Vorschlag des Apothekerverbands sollen bald auch Apotheken gegen Corona impfen dürfen. Dadurch könnte die Impfkampagne noch schneller umgesetzt werden. (Themenbild, Symbolbild) Köln, 28.04.2021

Wie es zur Medikamentenknappheit kommen konnte – und welchen Ausweg es gibt

In vielen Regionen Deutschlands sind aktuell diverse Arzneimittel knapp, darunter Fiebersäfte und Antibiotika für Kinder. Wir erklären, wie es dazu kommen konnte und welche Lösungsvorschläge auf dem Tisch liegen.

Auch mit dem Thema Triage wird sich der Bundestag wohl erneut beschäftigen müssen, weil Behinderten­verbände auch gegen die vom Parlament beschlossene Neuregelung klagen wollen. Die Ärzte sind ebenfalls unzufrieden. Käme Ihnen also eine Klage recht?

Tatsächlich sind wir auch an einer Neufassung interessiert, allerdings mit anderer Zielrichtung. Das Gesetz wurde zu hastig verabschiedet und nicht ausreichend öffentlich diskutiert. Dadurch sind nicht unerhebliche Miss­verständnisse entstanden. Wir plädieren nach wie vor dafür, die sogenannte Ex‑Post-Triage zu erlauben. Dabei geht es nicht darum, einen Menschen aus einem Intensivbett hinaus zu verlegen, der noch Überlebens­chancen hat. Aber es kann passieren, dass die Behandlung irgendwann nicht mehr erfolg­versprechend ist und das ursprüngliche Therapieziel unerreichbar wird. Dann muss es in einer Triagesituation möglich sein, das Bett für einen Menschen mit einer größeren Überlebens­wahrscheinlichkeit zu nutzen. Es gilt, so viele Menschen wie möglich zu retten.

Behindertenverbände lehnen die Ex‑Post-Triage entschieden ab und plädieren dafür, bei neu eingelieferten Patienten den Zufall entscheiden zu lassen.

Nur durch ein abgewogenes Handeln der Mediziner kann die maximale Zahl von Menschen­leben gerettet werden. Den Zufall entscheiden zu lassen wäre dagegen eine Art Gottesurteil und damit finsteres Mittelalter.

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