Ärzteverband warnt vor Omikron-Welle: „Fehler“, nur auf Intensivstation zu schauen

Eine Intensivpflegerin versorgt auf der Intensivstation in Braunschweig einen an Covid-19 erkrankten Patienten. Durch die Omikron-Welle wird aber auch der Blick auf die Normalstation wichtig, sagt die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna.

Eine Intensivpflegerin versorgt auf der Intensivstation in Braunschweig einen an Covid-19 erkrankten Patienten. Durch die Omikron-Welle wird aber auch der Blick auf die Normalstation wichtig, sagt die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna.

Frau Johna, in der Corona-Pandemie haben Fachleute vor allem auf die Auslastung der Intensivstationen geschaut. Die Omikron-Variante sorgt nun für viele milde Verläufe. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?

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Die Belastung der Intensivstationen ist immer noch erheblich. Derzeit müssen etwa 3500 Covid-Patienten intensivmedizinisch behandelt werden. Die Omikron-Welle in Deutschland beginnt also auf einem hohen Niveau. Selbst wenn im Verhältnis zu den Infektionen prozentual weniger Patienten behandelt werden müssen, droht den Kliniken aufgrund der schnellen Ausbreitung durch viele Fälle erneut eine enorme Belastung. Wir werden insgesamt viel mehr Patienten in den Krankenhäusern haben.

Also auch auf den Normalstationen?

Ja, im Unterschied zur Delta-Variante werden wir durch Omikron auch eine größere Belastung auf den Normalstationen haben. Es wäre ein Fehler, bei der Omikron-Welle nur auf die Auslastung der Intensivstationen zu schauen. Wenn man nur die Intensivbettenbelegung als Maßstab für Corona-Maßnahmen heranziehen würde, wäre das zu kurz gegriffen und bei Omikron sogar trügerisch. Denn der Großteil der Fälle muss in den Notaufnahmen und auf den Normalstationen behandelt werden. Wir rechnen schon bald mit vielen Omikron-Patienten, die einen höheren Aufwand in den Krankenhäusern erfordern. Sie müssen isoliert werden, brauchen zum Teil Sauerstoff und das Personal muss Schutzkleidung anziehen. Es entsteht ein erheblicher zusätzlicher logistischer Aufwand.

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Susanne Johna, erste Vorsitzende des Marburger Bundes, hat davor gewarnt, bei der Omikron-Welle nur auf die Intensivstationen zu schauen.

Susanne Johna, erste Vorsitzende des Marburger Bundes, hat davor gewarnt, bei der Omikron-Welle nur auf die Intensivstationen zu schauen.

Wie wirkt sich das auf den Klinikalltag aus?

Wir werden sehr schnell erhebliche Einschränkungen bei planbaren Eingriffen im Krankenhaus vornehmen müssen, weil das Personal zur Betreuung der Covid-Patienten auf Normalstationen gebraucht wird. Die hohe Betreuungslast in den Kliniken wird weiter andauern. Wir werden erneut in großem Umfang ärztliches und pflegerisches Personal aus anderen Abteilungen schulen müssen, um Covid-Patienten fachgerecht zu betreuen. Dieses Personal fehlt dann in anderen Bereichen.

„Es ist also damit zu rechnen, dass die PCR-Testkapazitäten in Deutschland bald nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen.“

Susanne Johna,

erste Vorsitzende des Marburger Bundes

Das bedeutet, die Omikron-Welle muss stärker mit Maßnahmen bekämpft werden, obwohl die Intensivstationen nicht am Limit sind?

Genau, wir dürfen auf keinen Fall die Omikron-Welle ungebremst laufen lassen. Dies würde sonst eine überbordende Belastung für das Gesundheitswesen bedeuten. Außerdem ist jeder einzelne Covid-Patient durch die Corona-Infektion gefährdet: Wir wissen zwar, dass es voraussichtlich weniger schwere Fälle geben wird. Bei einer explosionsartig steigenden Anzahl von Infektionen kommt es dann aber trotzdem weiter zu schweren Covid-Erkrankungen, die einer Krankenhausbehandlung bedürfen. Außerdem wissen wir, dass selbst Patienten mit milden Symptomen langfristig Schäden an Organen davontragen können. Wir dürfen Omikron nicht unterschätzen.

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Geplant ist, dass sich Personal kritischer Infrastruktur bei einer eigenen Infektion nach einigen Tagen freitesten kann. Halten Sie das für sinnvoll?

Es ist wichtig, dass die Quarantäne- und Isolationsregeln für das Klinikpersonal angepasst werden und dass eine Verkürzung an einen negativen Test gebunden ist. Man muss aber dabei berücksichtigen, dass ein PCR-Testergebnis aus dem Labor derzeit selbst in Kliniken oft erst nach etwa 48 Stunden vorliegt. Wenn Sie Klinikpersonal nach fünf Tagen testen, kann es also erst nach sieben Tagen aus der Isolation entlassen werden und zurück zur Arbeit.

„Wenn wir Engpässe bei den PCR-Kapazitäten bekommen, sind zwei Antigentests zur Verkürzung von Isolation und Quarantäne sicher gerechtfertigt.“

Susanne Johna,

erste Vorsitzende des Marburger Bundes

Die Omikron-Variante wird auch zu mehr Infektionen bei Beschäftigten in den Laboren führen. Es ist also damit zu rechnen, dass die PCR-Testkapazitäten in Deutschland bald nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen. Dies sehen wir leider schon jetzt in anderen Ländern. Wir brauchen deshalb einen Plan B, um die Quarantäne- und Isolationsregeln zu verkürzen. Möglich wären zwei Antigentests in Folge, mit denen man sich freitesten kann.

Würde das auch in sensiblen Bereichen genügen, wie im Krankenhaus?

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Idealerweise sollten wir im Krankenhaus mit PCR-Tests arbeiten. Aber wenn wir das Ergebnis erst nach vier Tagen haben, ist ein PCR-Test für den Klinikalltag nicht mehr sinnvoll. Wir müssen dann auch in Kliniken Antigentests verwenden. Denn die Versorgung der Patienten steht an erster Stelle. Wenn wir Engpässe bei den PCR-Kapazitäten bekommen, sind zwei Antigentests zur Verkürzung von Isolation und Quarantäne sicher gerechtfertigt.

Die Labore haben in den vergangenen Monaten ihre Kapazitäten weiter ausgebaut. Nicht nur wegen PCR-Tests, sondern auch zur Sequenzierung der Proben – also um neue Varianten zu erkennen. Rund 5 Prozent aller Tests werden sequenziert. Reicht das?

Wir brauchen mehr Sequenzierungen, um über neue Varianten besser Bescheid zu wissen. Eine Anhebung der Sequenzierungsquote in Deutschland halte ich für sinnvoll. Die Labore arbeiten unter einem hohen Druck und zu Beginn der Pandemie wurden noch viel weniger Proben sequenziert. Es hat sich also schon einiges getan. Andere Länder sequenzieren aber deutlich mehr. Deswegen müssen wir uns immer wieder auf Daten aus England verlassen. Auch wenn in einigen Tagen Omikron die dominierende Variante in Deutschland ist, wird die Analyse der Corona-Varianten wichtig bleiben. Denn wir werden weiterhin analysieren müssen, ob sich neue Varianten ausbreiten.

„Es besteht die Gefahr, dass viele Menschen ihre Corona-Infektion gar nicht als solche wahrnehmen und lediglich von einer Erkältung ausgehen. Geruchs- und Geschmacksstörungen treten bei einer Omikron-Infektion gar nicht mehr auf, aber dies wissen viele Infizierte nicht.“

Susanne Johna,

erste Vorsitzende des Marburger Bundes

Gerade jetzt in dieser Umschwungsituation, in der etwa die Hälfte der positiv Getesteten Delta und die andere Hälfte Omikron habt, ist die Sequenzierung für uns sehr wichtig. Das Ergebnis einer solchen Sequenzierung liegt uns in den Kliniken aber leider erst nach etwa einer Woche vor, das Ergebnis einer sogenannten variantenspezifischen PCR-Untersuchung erst nach etwa vier Tagen, sodass wir davon abhängige medizinische Entscheidungen erst sehr spät treffen können.

Was heißt das konkret für Ihre Arbeit im Krankenhaus?

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Ein Beispiel: Eine monoklonale Antikörpertherapie kann einen schweren Verlauf bei Covid-Patienten mit Vorerkrankungen mildern – aber nur bei den bisherigen Varianten. Denn die bisher eingesetzten Medikamente funktionieren nicht bei der Omikron-Variante. Wir müssen also lange auf ein Testergebnis warten, obwohl wir doch wissen, dass nur ein früher Beginn der Antikörpertherapie vor schweren Verläufen schützt. Die Übergangssituation von Delta zu Omikron ist daher sehr schwierig für uns Ärztinnen und Ärzte. Die EMA hat zwar ein neues Antikörpermedikament zugelassen, das gegen die Omikron-Variante wirkt. Aber wir warten in Deutschland bisher vergeblich darauf.

Lassen Sie uns über die milderen Omikron-Verläufe sprechen. Die Symptome sind oft andere als bei Delta, zum Beispiel kein Geschmacks- und Geruchsverlust. Stattdessen haben Erkrankte meist Erkältungssymptome wie Gliederschmerzen und Schnupfen. Fallen viele Corona-Infektionen gar nicht auf?

Ja, davon müssen wir ausgehen. Es besteht die Gefahr, dass viele Menschen ihre Corona-Infektion gar nicht als solche wahrnehmen und lediglich von einer Erkältung ausgehen. Geruchs- und Geschmacksstörungen treten bei einer Omikron-Infektion gar nicht mehr auf, aber dies wissen viele Infizierte nicht. Es ist weiterhin sehr wichtig, sich auch bei ganz leichten Symptomen mit einem Antigentest auf das Coronavirus zu testen. Leider gibt es auch Hemmungen, sich zu testen, aus Angst, bei einem positiven Ergebnis in Quarantäne zu müssen.

Aber die allermeisten Menschen wollen doch ihre Mitmenschen und ihre Familie schützen. Gerade deshalb ist es so wichtig, sich bei Symptomen zu testen. Wer einen Schnupfen hat, hustet oder sich unwohl fühlt, sollte sich vorsorglich testen und isolieren und im Zweifelsfall am zweiten Tag erneut einen Antigentest machen.

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Viele Menschen vertrauen auf den hohen Schutz der Booster-Impfung. Aber die Ersten wurden bereits Anfang Oktober in Deutschland geboostert. Sind also Ausnahmen für Geboosterte überhaupt noch sinnvoll?

Wir müssen die Ausnahmen für Geboosterte zumindest überdenken. Denn wir wissen, dass etwa drei Monate nach der Booster-Impfung der Antikörperschutz wieder abnimmt. Jetzt stellt sich die Frage: Wie gehen wir damit um, dass demnach viele schon bald eine vierte Impfung bräuchten? Können wir Ausnahmen bei Quarantäne und Isolierung für die sehr früh Geboosterten dauerhaft zulassen? Und wie lange ist das vertretbar, wenn sich die Omikron-spezifische Impfung noch weiter hinauszögert? Wir brauchen dringend Antworten und Daten aus der Wissenschaft.

Gleichzeitig sehen wir jetzt in ersten Studien aus Israel, dass nach einem zweiten Booster die Antikörper zwar erneut steigen, aber doch weniger stark, als man gehofft hatte. Deshalb bin ich vorsichtig, zu viel Hoffnung auf eine vierte Impfung zu setzen.

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