Nach Machtwort des Kanzlers

Von Richtlinien, Kompetenz und Stil – wie Scholz seine Ampel zum Flackern bringt

„Die Ampel steht“, sagte der vermutlich künftige Kanzler Olaf Scholz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP.

Viele verschiedene Richtungen bei der Ampel – nun hat der Kanzler entschieden.

Berlin. Die Koalitions­fraktionen müssen sich am Dienstag erst einmal schütteln. Der sonst so auf Ausgleich bedachte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat ein Machtwort gesprochen. Vielmehr: Er hat es geschrieben. Auf Papier mit Briefkopf „Bundesrepublik Deutschland“ und „Der Bundeskanzler“ und besiegelt mit seiner Richtlinien­kompetenz nach der Geschäfts­ordnung der Bundesregierung. Wochenlang hatten Politiker und Medien gefragt, welche Haltung eigentlich der Kanzler in dem Atomstreit der Ampel einnehme, er müsse doch eine Lösung finden. Hat er nun getan. Aber die Atomdebatte ist nicht zu Ende. Und die über den Zustand der Koalition beginnt wieder neu.

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Der größere Teil der Ampelparteien wurde von der Entscheidung des Bundeskanzlers am Montagabend überrascht. Wirtschafts­­minister Robert Habeck (Grüne) und Finanz­minister Christian Lindner (FDP) hingegen haben wohl gewusst, was kommt. Jedenfalls ungefähr. Denn darüber, wann ihnen klar war, dass Scholz nicht einfach nur eine Entscheidung fällt, sondern diese mit der Richtlinien­­kompetenz absichert, gibt es unterschiedliche Lesarten. Die einen glauben, den beiden Ministern sei das Ausmaß klar gewesen, die anderen sagen, sie hätten erst am Montag erfahren, dass er das schwerste Schwert der Kompromissfindung ziehen würde.

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Manche sind über die Wirkung erschrocken

Bereits am Rande des Grünen-Parteitags in Bonn war zu hören gewesen, den Konflikt könne nun nur noch der Kanzler lösen. Der müsse „jetzt auch mal sagen, was er will“. Aber von Richtlinien­kompetenz war da noch nicht die Rede.

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An vielen Stellen in den drei Parteien heißt es am Dienstag, dass Scholz’ Vorgehen „Wumms gemacht hat“. Manche sind über die Wirkung erschrocken. Im August hatte Scholz selbst in seiner ersten Sommer­presse­konferenz auf eine Frage zu seiner Richtlinien­kompetenz gesagt: „Es ist gut, dass ich sie habe, aber natürlich nicht in der Form, dass ich jemandem einen Brief schreibe und bitte: ‚Herr Minister, machen Sie das Folgende.‘ Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Regierung die wichtigen Entscheidungen trifft, die uns in die Lage versetzen, auf diese Krise zu reagieren.“

In dem Brief von Scholz steht nun: „Ich bitte darum, im Rahmen der Geschäfts­verteilung die entsprechenden Regelungs­vorschläge dem Kabinett nun zeitnah vorzulegen, über die dann der Gesetzgeber entscheidet.“ Die grüne Fraktions­geschäftsführerin Irene Mihalic klagt: „In der Vergangenheit war nicht klar, wie sich der Kanzler in der Atomfrage eigentlich positioniert.“ Jetzt spreche er plötzlich ein Machtwort. „Das zeugt nicht von großer Führungsstärke. Das muss künftig anders werden“, sagt sie dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND).

Wie SPD, FDP und Grüne reagieren

Bei der SPD geben sie sich nach außen zufrieden mit dem Bundeskanzler. Er sei doch oft mit seiner früheren Bemerkung aufgezogen worden, wer bei ihm Führung bestelle, bekomme sie auch. Nun mache er genau das und es werde geklagt, dass man sich das in dieser Härte nicht habe vorstellen können. Jetzt sei klar, heißt es bei der SPD, dass alle drei letzten Atommeiler bis Mitte April 2023 laufen – und der Atomausstieg damit endgültig besiegelt sei.

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In der FDP-Fraktions­sitzung nimmt man Scholz’ Entschluss hin, der ihre Forderung nach einem Weiterbetrieb der Kern­kraft­werke bis 2024 und der Anschaffung neuer Brennstäbe einkassiert hat. Parteichef Christian Lindner will einen zufriedenen Eindruck vermitteln. Doch bei den Grünen herrscht Unruhe.

Noch am Montagabend kommt es zu Krisen­gesprächen. Bei ihnen gibt es aber offenkundig ein Spiel mit verteilten Rollen – sodass manche mutmaßen, das Machtwort des Kanzlers könne mit den Parteioberen abgesprochen gewesen sein. Die grünen Kabinetts­mitglieder signalisieren schnell Zustimmung. Hier wie dort wurde nach Bekanntwerden des Briefes schließlich auffällig ähnlich – wie bei der SPD – stets aufs Neue betont, dass der Atomausstieg zum 15. April 2023 nun endgültig besiegelt sei. Es klingt wie eine Warnung an die FDP, dass sie das Fass nicht wieder aufmachen solle.

Entscheidung im AKW-Streit: Scholz für Mittelweg zwischen Grünen und FDP
ARCHIV - 11.09.2022, Bayern, Essenbach: Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2. Die verbleibenden drei deutschen Atomkraftwerke sollen maximal bis zum 15. April 2023 weiterlaufen können. Das hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) entschieden. (zu dpa "Scholz spricht Machtwort: Drei AKW sollen länger laufen können") Foto: Armin Weigel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Erstmals macht Olaf Scholz damit seit Antritt der Ampel­koalition von seiner Richtlinien­kompetenz Gebrauch.

Gesetzentwurf wird am Mittwoch verhandelt

Die Grünen-Bundestagsfraktion ist aufgescheucht, weil es nun darum geht, das Machtwort in ein Gesetz zu gießen. Und Abgeordnete sind bekanntlich frei und lassen sich ungern herumkommandieren. So unterstreicht Fraktions­chefin Britta Haßelmann, die Fraktion sei durch die Kanzler­entscheidung „nicht gebunden; das Parlament insgesamt auch nicht“ – wenngleich sie empfehle, dem zu folgen. Sie stellt zugleich offen infrage, ob der Verweis auf die Richtlinien­kompetenz „das richtige Stilmittel“ sei. Davon könne man sicherlich nicht oft Gebrauch machen.

Aus der Fraktion verlautet, es werde „auf jeden Fall einige Neinstimmen geben“. Das wiederum bringt die SPD auf die Palme. Erst manövrierten die Grünen gemeinsam mit der FDP die Ampel in diese Sackgasse und seien dann nicht in der Lage, den Kanzler beim Wendemanöver zu unterstützen, heißt es.

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Der neue Gesetzentwurf wurde vom grünengeführten Umweltministerium bereits vorgelegt und mit Habecks Wirtschaftsministerium abgestimmt und soll an diesem Mittwoch im Kabinett behandelt werden. Die Bundesregierung geht davon aus, dass auch die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bis Ende November zu erreichen ist.

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Kein Einsatz neuer Brennstäbe

Der Zeitplan ist aus Regierungssicht ausreichend für die AKW-Betreiber, weil sie im Gegensatz zum ursprünglichen Kaltreserve­plan nun schon wissen, dass sie die Kraftwerke weiterlaufen lassen beziehungsweise für den Streckbetrieb ab Januar vorbereiten können. Grundsätzlich sieht der Gesetzentwurf vor, dass für den weiteren Betrieb nur die in der Anlage noch vorhandenen Brenn­elemente zu nutzen sind und der Einsatz neuer Brennstäbe nicht zulässig ist.

Zu den notwendigen Vorbereitungen zählt, dass im bayrischen AKW Isar 2 noch im Oktober eine Ventilleckage repariert werden soll und dass im niedersächsischen AKW Emsland im Januar die Brennelemente im Reaktorkern ausgetauscht werden müssen. Grund: Die derzeit eingesetzten Brennstäbe sind bereits so ausgezehrt, dass sie schon im Streckbetrieb genutzt werden und bis Ende dieses Jahres erschöpft sind. Da das Kraftwerk nun bis 15. April laufen darf und zusätzliche Einnahmen generiert, lohnt es sich für den Betreiber, die verbrauchten Brennelemente gegen Restbestände auszutauschen, die im Kraftwerk noch vorhanden sind. Dadurch könne die Leistung des AKW noch einmal leicht erhöht werden, wenn auch nicht auf einen Volllast­betrieb.

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Offiziell keine Verhandlungen mit Scholz

Die Verlängerung für das AKW Emsland macht es zugleich unnötig, die vom Wirtschafts­ministerium ursprünglich als Notreserve eingeplanten „Power-Barges“ vor der niedersächsischen Nordseeküste anzufordern. Diese zusätzlichen Ölkraftwerke in Form von Kraftwerks­schiffen dürften nun eher in Frankreich zum Einsatz kommen, wo für den Winter mit einem deutlich größeren Strommangel gerechnet wird.

Offiziell hat es Grünen zufolge übrigens keine Verhandlungen mit Scholz gegeben, die in das Ergebnis vom Montagabend gemündet seien. Vielmehr, sagt Haßelmann, sei man „konfrontiert mit einer Entscheidung des Bundeskanzlers“. Scholz’ Vorgängerin Angela Merkel (CDU) hat in 16 Jahren nie ihre Richtlinienkompetenz genutzt. Und der frühere SPD-Chef Franz Müntefering hatte 2005 erklärt: „Wer das macht in einer Koalition, der weiß, dass die Koalition zu Ende ist.“ In der SPD sagen sie heute: Das waren andere Zeiten.

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