Kommentar

Alle naiv? Ein Plädoyer für die Friedensbewegung

Fahne mit einer Friedenstaube.

Fahne mit einer Friedenstaube.

Berlin. Ja, die Slogans der Ostermärsche an den zurückliegenden Feiertagen wirkten wie aus der Zeit gefallen. „Frieden schaffen ohne Waffen“, „Abrüstung – jetzt!“, „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ oder „Schwerter zu Pflugscharen“ – es sind Forderungen, die angesichts des brutalen Angriffskriegs Russlands in der Ukraine so fern jeglicher Erfüllbarkeit sind, dass es schon wehtut.

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Aber falsch? Nein, falsch sind diese Wünsche vom friedlichen Zusammenleben gewiss nicht.

Der Friedensbewegung mit ihren Forderungen ein Dilemma zu attestieren, weil die doch auch gegen den Krieg Russlands ist, oder sie als naiv zu bezeichnen, ist wohlfeil. Haben nicht die meisten von uns daran geglaubt, dass gute Beziehungen zu einem Land wie Russland gut für die Nachbarschaft in Europa sind? Gab es nennenswerte Proteste gegen die zunehmende Abhängigkeit von russischen Energielieferungen? Oder ist die Bundeswehr und damit unsere Sicherheit nicht auch von denen politisch im Stich gelassen worden, die heute alles besser wissen?

Erbitterter Widerstand: Russland stellt ukrainischen Kämpfern in Mariupol neues Ultimatum

Ein russisches Spezialkommando versucht nach Angaben der Separatisten das Gelände von Asowstal Industrial in Mariupol zu stürmen.

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Lambsdorff ist respektlos

Protestforscher werfen der Friedensbewegung von heute vor, keine Antworten auf den Krieg in der Ukraine zu liefern. Hallo?! Seit wann werden denn von Demonstranten und Protestierenden, die ihrem Unmut Ausdruck verleihen, Konzepte zur Beendigung von Kriegen vorausgesetzt?

Politiker wie FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff diskreditieren die Ostermarschierer in einer Art Pawlowschem Reflex: „Die Leute, die solche Märsche organisieren, sind eigentlich keine Pazifisten, sondern die fünfte Kolonne Putins.“ Ehrlich? Sind wir beim gegenseitigen Respekt schon wieder so weit unten angelangt?

Grünen-Bundesminister Robert Habeck hat wenigstens noch den Mut – muss man heute ja schon sagen – vom Pazifismus als „fernem Traum“ im Moment zu sprechen. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnt vor einem „Pazifismus auf Kosten anderer“. Und der Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Universität Potsdam fordert sogar, „wir müssen raus aus unserem strukturellen Pazifismus“.

Pazifismus ad acta legen?

Den Pazifismus – also die Grundhaltung, Kriege abzulehnen, die Konfliktlösungen mit Waffen zu verneinen und nach Bedingungen für dauerhaften Frieden zu streben – einfach ad acta legen? Wenn das jetzt die Lösung sein soll – ich bin dagegen!

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Wir alle haben uns so sehr an die Normalität gewöhnt, im Frieden zu leben, dass unsere Antworten auf den Krieg in der Ukraine nur langsam oder bruchstückhaft kommen. Einen Angriffskrieg in Europa haben nur sehr wenige vor drei Monaten für möglich gehalten.

Dass Journalisten oder selbst ernannte Experten nun plötzlich so leicht mit Begriffen wie „schwere Waffen“ jonglieren, ist daher irritierend. Aber es passt in eine Zeit, in der nur geliefert werden muss – dann tritt schon das gewünschte Ergebnis ohne eigene Anstrengung irgendwie ein.

Verkehrte Welt

Zur verkehrten Welt passen die Warnungen ehemaliger Militärs wie des früheren Brigadegenerals Erich Vad, durch Waffenlieferungen an die Ukraine einen Dritten Weltkrieg zu provozieren und gleichzeitigen Forderungen ausgerechnet aus den Reihen der Grünen, eben jene schweren Waffen so schnell wie möglich der ukrainischen Seite zur Verfügung zu stellen.

Dahinter stehen unangenehme Fragen, die Friedensaktivisten stellen, die jedoch niemand so recht beantworten kann. Zum Beispiel: Werden Waffen diesen Krieg beenden?

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Andererseits gilt: Wie sollen die Ukrainer ihrem Selbstverteidigungsrecht gegen eine hochgerüstete russische Armee ohne Waffennachschub nachkommen?

Werden Waffen diesen Krieg beenden?

Es sind die Positionen, die nicht allein das Dilemma Friedensbewegter ist, sondern den Zwiespalt widerspiegeln, in dem sich die deutsche Gesellschaft aktuell befindet und in dem politische Entscheidungen getroffen werden müssen.

Brandts Frage

Wer also die Friedensbewegten belächelt, der möge sich selbst fragen, welche seiner alten Gewissheiten heute im Angesicht des Krieges noch tragen. Vielleicht helfen dabei ein paar Gedanken, die Willy Brandt (SPD) am 3. November 1981 in einer Rede zum 100-jährigen Bestehen des Dietz-Verlags aussprach:

„Ich identifiziere mich mit denen, die ein Gefühl existenzieller Bedrohung haben: Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts. (...) Der Gegensatz zwischen Friedenssehnsucht und Friedenspolitik (...) ist etwas künstlich; manchmal wird er auch arrogant formuliert. Die eigentliche Frage ist, wie in früheren Zeiten, aber heute mit unendlich viel mehr Brisanz: Welche Friedenspolitik wollen wir?“

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Antrag zu deutschen Waffenlieferungen: Unionsfraktion will Druck auf Scholz aufbauen

Die Unionsfraktion hat Bundeskanzler Olaf Scholz gedroht, im Bundestag mit einem Antrag zu deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine Druck zu machen.

Der frühere Bundeskanzler sagte diese Worte übrigens am Vorabend der Genfer Abrüstungsverhandlungen zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion, die als Folge des damals zwei Jahre zurückliegenden Nato-Doppelbeschlusses galten – die Proteste dagegen waren der Höhepunkt der westdeutschen Friedensbewegung seit Jahrzehnten gewesen.

Scholz unter Generalverdacht

Welche Friedenspolitik wollen wir heute? Die der Bundeswehr versprochenen 100 Milliarden Euro sind eine deutliche Ansage der Bundesregierung. Brandts Amtsnachfolger Olaf Scholz (SPD), der derzeit wegen seiner Bedachtsamkeit unter den Generalverdacht des Nichtstuns gestellt wird, sieht eine „Zeitenwende“. Sie verheißt nichts Gutes.

Das länger bestehen bleibende Misstrauen zwischen den EU- sowie Nato-Staaten und Russland mit seinen Verbündeten wird künftig wenig Raum für Pazifismus lassen.

Das länger bestehen bleibende Misstrauen zwischen den EU- sowie Nato-Staaten und Russland mit seinen Verbündeten wird künftig wenig Raum für Pazifismus lassen. Es ist also einfach, Friedensbewegte zu belächeln oder zu diskreditieren. Doch die Ideen, wie Völker möglichst ohne Krieg Konflikte lösen könnten, müssen weiterverfolgt werden.

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Selbst wenn sie im Moment nicht opportun erscheinen.

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