Merkel zu Russland-Politik: „Werde mich nicht entschuldigen“
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Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Interview im Berliner Ensemble.
© Quelle: Fabian Sommer/dpa
Ein halbes Jahr war Angela Merkel nach ihrem Ausscheiden aus Amt und Kanzleramt abgetaucht – jetzt stellte sie sich im Berliner Ensemble den Fragen des Spiegel-Journalisten Alexander Osang. Und schon auf die Eingangsfrage des Autors, wie es ihr denn gehe, widmete sie sich dem Thema, das derzeit alle beschäftigt – Russlands Überfall auf die Ukraine. Deutschlands Probleme im Umgang mit diesem Konflikt – nicht wenige machen auch das politische Erbe der Alt-Kanzlerin indirekt dafür mitverantwortlich. „Mit dem 24. Februar ist eine Zäsur entstanden und die beschäftigt mich natürlich auch sehr“, sagte Merkel. „Ich bleibe ein politischer Mensch und deshalb bin ich in diesen Tagen wie andere Menschen auch sehr bedrückt.“
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Angesprochen, ob sich Angela Merkel mit Blick auf den Krieg in Russland selbst etwas vorzuwerfen habe, ob es vielleicht Versäumnisse gab, räumt die Alt-Kanzlerin eine langwierige Entfremdung zum russischen Präsident ein, die bereits 2007 beim berühmten Treffen in Sotschi – „das Treffen mit dem Hund“, wie sie sagt – spürbar war. „Da hat er öffentlich gesagt der Zerfall der Sowjetunion, war für ihn der schlimmste Umstand des 20. Jahrhundert – für mich war das der glücklichste Moment. Da war bereits ein großer Dissens.“
Merkel zu Russland-Politik: „Muss mir nicht vorwerfen, zu wenig getan zu haben“
In einem Interview in Berlin zur aktuellen Lage weist die Altkanzlerin Angela Merkel die Vorwürfe gegen ihre Russland-Politik ab.
© Quelle: Reuters
„Keine Rechtfertigung für brutalen Überfall“
Merkel glaubt, „der Kalte Krieg wurde nie beendet.“ Sie teile nicht die Meinung von Herrn Putin, „es ist aber nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu errichten, die das (den Krieg) hätte verhindern können“. Und fügt hinzu, es gebe aber „keine Rechtfertigung für diesen brutalen, das Völkerrecht missachtenden Überfall“.
Und dann erinnert die Alt-Kanzlerin an eine Sache, die ihr „immer noch schwer im Magen liegt“, wie sie betont: Bei einem Treffen Putins mit dem neu gewählten US-Präsidenten Joe Biden im Juni 2021 habe sie versucht, „von europäischer Seite mit Macron in einen Dialog mit Putin zu kommen“, weil zu diesem Zeitpunkt eine relative Sprachlosigkeit zwischen Brüssel und Moskau herrschte, auch bedingt durch die Pandemie. „Darüber gab es in der EU aber keine Einigung“, sagt sie heute mit enttäuschtem Unterton. Da hätte man Putin vielleicht noch stoppen können. Doch in Frankreich standen Wahlen an. Und sie war bereits auf dem Absprung. Merkel: „Jeder ahnte, dass du bald weg bist. Jahre davor hätte ich das noch durchgeboxt.“
Merkel: „Was wäre gewesen, wenn sich 2014 niemand gekümmert hätte?“
Auf die Frage, ob sie Putin für wahnsinnig halte, sagt Merkel, „es lohnt sich natürlich, genauer hinzuhören. Er hat eine Grenzüberschreitung nach der anderen veranlasst.“ Auf eigene Versäumnisse angesprochen sagt sie, „Wir hätten die Sanktionen härter angehen sollen.“ Die Union sei aber die einzige Partei gewesen, die das Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigung ins Wahlprogramm geschrieben hatte. Das sei die einzige Sprache, die er verstehe.
„Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: ‚Das war falsch‘ – und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen“, sagte Merkel über deutsche Reaktionen nach der Okkupation der Krim 2014. „Was wäre gewesen, wenn sich 2014 niemand gekümmert und Putin einfach weitergemacht hätte? Das will ich gar nicht wissen.“ Nun sei es die Aufgabe der Politik, sicherzustellen, dass das beendet werde. Die Ukraine sei eine „geopolitische Geisel“, mit der Putin den Westen schädigen wolle. „Nach dem Vorfall auf der Krim mussten wir jedes halbe Jahr darüber diskutieren, ob wir die Sanktionen verlängern. Viele haben gesagt, macht die doch weicher.“
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