Neue Chance für abgelehnte Asylbewerber: Wer jetzt bleiben könnte
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Abgelehnte Asylbewerber sollen künftig länger in Deutschland bleiben dürfen.
© Quelle: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbil
Berlin. Die Bundesregierung hat am Mittwoch ein Paket von Reformen zur Migration beschlossen, das im Haus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erarbeitet worden ist. Im Mittelpunkt steht das neue Chancen-Aufenthaltsrecht, das mehr Menschen die Möglichkeit eröffnen soll, einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland zu erlangen. Das Gesetz muss noch vom Bundestag beschlossen werden, die Union lehnt es ab. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat wichtige Fragen und Antworten zusammengestellt.
Was ist unter Chancen-Aufenthaltsrecht zu verstehen?
Migranten, die sich schon lange in Deutschland aufhalten, bisher aber als Asylbewerber abgelehnt und hierzulande nur geduldet sind, sollen über das Chancen-Aufenthaltsrecht die Möglichkeit bekommen, doch noch für immer bleiben zu dürfen. Das soll für Ausländer gelten, die zum Stichtag 1. Januar 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland gelebt haben und bestimmte Bedingungen erfüllen.
Wie viele Menschen betrifft das?
Nach Angaben der Beauftragten der Bundesregierung für Migration und Flüchtlinge, Reem Alabali-Radovan, betrifft das rund 135.000 Menschen, die seit fünf Jahren oder länger mit einer Duldung in Deutschland leben. Sie sollen ein einjähriges befristetes Chancen-Aufenthaltsrecht bekommen und in dieser Zeit die Voraussetzungen für ein Bleiberecht erwerben, etwa durch Nachweis einer Erwerbstätigkeit, Erwerb von Deutschkenntnissen und Klärung ihrer Identität.
Wieso kommt es überhaupt zum Status der Duldung?
Ausländer, die in der Bundesrepublik den Status der Duldung besitzen, sind als Asylbewerber bereits abgelehnt worden und müssten das Land eigentlich freiwillig verlassen oder könnten abgeschoben werden. Gründe, die dem entgegenstehen, können folgende sein: Der Asylbewerber hat keine Dokumente, die seine Herkunft zweifelsfrei nachweisen (Identitätsklärung), er ist krank, oder ihm drohen im Herkunftsland Verfolgung und Tod, oder es ist ein Gerichtsverfahren gegen ihn anhängig.
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Wer wird vom Chancen-Aufenthalt ausgeschlossen?
Straftäter sollen grundsätzlich vom Chancen-Aufenthalt ausgeschlossen werden, wobei dies nicht für Geldstrafen in einer bestimmten Höhe gilt. Zudem sieht die Reform eine Verlängerung der Abschiebehaft für bestimmte Straftäter von drei auf maximal sechs Monate vor. Die Verlängerung soll Behörden mehr Zeit geben, die Abschiebung vorzubereiten, fehlende Papiere zu beschaffen und einen Platz im Flugzeug zu organisieren.
Was ändert sich in Sachen Integration?
Mit dem Reformpaket der Ampelregierung wird der Zugang zu Integrationskursen für alle Migranten erleichtert. Bisher galt dies nur für Asylbewerber mit „guter Bleibeperspektive“. Wer nicht in diese Kategorie fiel, war mehr oder minder zum „Herumsitzen und Nichtstun“ (Alabali-Radovan) gezwungen. Künftig stehen allen Asylsuchenden unabhängig von ihrem Herkunftsland Integrationskurse zu, damit sie schnell Deutsch lernen und sich mit ihrem Gastland vertraut machen können.
Was ändert sich für Jugendliche?
Als gut integriert geltende Jugendliche und Heranwachsende sollen künftig schon nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland sowie bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 25a des Aufenthaltsgesetzes bekommen können, die sie bei der Ausländerbehörde beantragen müssen.
Was bedeutet das für Fachkräfte?
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in Deutschland sieht das neue Gesetz auch Verbesserungen in diesem Bereich vor. So wird unter anderem der Familiennachzug für Eheleute und minderjährige Kinder von Fachkräften und IT-Spezialisten erleichtert. Bei Erteilung eines Visums verzichten die deutschen Behörden beispielsweise auf den Nachweis deutscher Sprachkenntnisse vor der Einreise.
Wie sieht die Ampel das Paket?
Aus Sicht der Ampelkoalition ist das der erste Schritt in Richtung „Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird“, wie es im Koalitionsvertrag vom November 2021 heißt. Staatsministerin Reem Alabali-Radovan sieht jetzt „mehr Menschlichkeit statt Misstrauen im Aufenthaltsrecht“. Noch in diesem Jahr will die Koalition ein zweites Migrationspaket auf den Weg bringen, unter anderem mit einer „Chancenkarte“ für Arbeitsmigration.
Was sagen Hilfsorganisationen?
Mehrere Hilfsorganisationen kritisieren das Gesetz als unzureichend. Es greife nur einen kleinen Teil der angekündigten Verbesserungen auf, kritisiert etwa Joshua Hofert, Vorstand der Kinderhilfsorganisation Terre des hommes. Menschen eine Chance zu geben, die bislang keinen sicheren Status haben, sei richtig. „Diese Regelungen müssen aber so gestaltet sein, dass nicht von vornherein ganze Personengruppen herausfallen, darunter auch viele Minderjährige. Die Praxis der langjährigen Duldungen und unsicheren Aufenthalte muss ein Ende haben, dafür braucht es großzügige Bleiberechtsregelungen“, sagte Hofert.
Wie ist die Position der Union?
Die Union hält den Gesetzentwurf für „gefährlich“, weil er einen „massiven Anreiz für weitere illegale Migration nach Deutschland schafft“, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dem RND schon im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses sagte. Nach seinen Worten setzt die Bundesregierung damit weitere „Anreize für ungeordnete, ungesteuerte und kaum begrenzte Zuwanderung.“ Ausländern, denen es gelinge, den Behörden jahrelang auf der Nase herumzutanzen, die Rechtsordnung zu missachten und die Mitwirkung etwa bei der Identitätsklärung zu verweigern, würden jetzt auch noch belohnt, sagte Herrmann.
Was sagt die Linke?
Für die Linke kommt das Gesetz zu spät. „Seit Monaten gibt es Berichte über Abschiebungen, bei denen die betroffenen Personen nach den geplanten Regelungen Anspruch auf ein Chancen-Aufenthaltsrecht gehabt hätten“, sagte die fluchtpolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion, Clara Bünger, dem RND. „Es scheint fast, als wollten die Bundesländer diese Menschen schnell noch loswerden, solange das möglich ist, und die Bundesregierung hat offensichtlich kein Interesse daran, dies zu verhindern.“ Es sei auch eine „riesige Enttäuschung für Tausende Familien, dass die Erleichterungen beim Ehegattennachzug auf Fachkräfte beschränkt bleiben“.