Atomausstieg: Verfassungsgericht gibt Vattenfall-Klage statt
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Ein Vattenfall-Logo vor einem Abgasturm eines Heizkraftwerkes in Berlin.
© Quelle: Daniel Naupold/dpa
Karlsruhe. Der finanzielle Ausgleich für bestimmte Kraftwerksbetreiber wegen des beschleunigten Atomausstiegs nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima muss noch einmal komplett neu geregelt werden.
Die Gesetzesänderung von 2018 sei unzureichend und außerdem wegen formaler Mängel nie in Kraft getreten, entschied das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage des Energiekonzerns Vattenfall. Der Gesetzgeber ist damit “weiterhin zur alsbaldigen Neuregelung verpflichtet”, wie das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe am Donnerstag mitteilte. (Az. 1 BvR 1550/19)
Wegen des Reaktorunglücks im japanischen Fukushima hatte die Bundesregierung 2011 für die 17 deutschen Kernkraftwerke eine nur wenige Monate zuvor beschlossene Laufzeit-Verlängerung zurückgenommen. Bis spätestens Ende 2022 müssen alle Meiler zu festen Terminen vom Netz gegangen sein. Dann ist Schluss mit der Atomkraft.
Bundesverfassungsgericht 2016: Energiekonzernen steht Ausgleich zu
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2016 nach Klagen von Eon, RWE und Vattenfall geurteilt, dass die Gesetzesnovelle, die diese Kehrtwende besiegelte, zwar im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar war. Den Energiekonzernen steht für sinnlos gewordene Investitionen und verfallene Produktionsrechte aber ein angemessener Ausgleich zu.
Davon profitiert unter anderem Vattenfall. Der schwedische Konzern hatte wegen der 2011 festgelegten festen Abschalttermine keine Möglichkeit mehr, seinen beiden deutschen Kraftwerken Krümmel und Brunsbüttel ursprünglich einmal zugeteilte Strommengen noch konzernintern zu produzieren. Dafür soll der Konzern 2023 eine Ausgleichszahlung in Millionenhöhe verlangen können. Die genaue Summe wird sich laut Bundesumweltministerium erst dann bestimmen lassen.
Die gesetzlichen Regelungen dazu sind in Teilen aber “unzumutbar”, wie es in der Karlsruher Entscheidung heißt. Außerdem wurde das Inkrafttreten von der Zustimmung der EU-Kommission abhängig gemacht. Diese sei allerdings nie förmlich erteilt worden.
Wegen des Atomausstiegs ist auch noch eine Klage von Vattenfall beim internationalen Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) in Washington anhängig. Hier geht es um Forderungen von mehreren Milliarden Euro wegen der dauerhaften Stilllegung von Krümmel und Brunsbüttel.
So reagieren Vattenfall und RWE
Vattenfall hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über seine Klage begrüßt. Die Gesetzesänderung aus dem Jahr 2018 sei den Vorgaben des Gerichts nicht einmal ansatzweise gerecht geworden und habe stattdessen die massiven Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Versorgern nochmals verschärft, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit.
Der Essener Energiekonzern RWE sieht seinen Anspruch auf Entschädigungen für die vorzeitige Abschaltung seiner Atomkraftwerke indes durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestärkt. “Nach erster Einschätzung wird sich unsere Rechtsposition definitiv nicht verschlechtern”, sagte RWE-Finanzvorstand Markus Krebber am Donnerstag. Die Entscheidung müsse aber noch genau geprüft werden.
RWE erwarte als Entschädigung für nicht mehr nutzbare Reststrommengen seiner Atomkraftwerke ungefähr einen “mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag”, sagte Krebber. “Daran hat sich auch heute nichts geändert.” Bisher sei kein Geld geflossen. Das sei erst nach dem Atomausstieg vorgesehen.
Schulze verspricht rasche Neuregelung
Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat nach dem Verfassungsurteil zugesagt, rasch für eine neue Regelung zu sorgen. “Wir werden das Urteil gründlich analysieren und zügig eine Gesetzesregelung auf den Weg bringen, die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes gerecht wird”, sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag.
“Die Bundesregierung respektiert selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts”, ergänzte Schulze. Klar sei, dass das Urteil nicht den Atomausstieg bis 2022 an sich betreffe. “Es geht um einen Randbereich: Regelungen für gewisse etwaige Ausgleichsansprüche der AKW-Betreiber.”
RND/dpa