Atomenergie in Europa: Hier entstehen neue Kraftwerke
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Soll noch bis Jahresende laufen: das Atomkraftwerk Isar 2.
© Quelle: Armin Weigel/dpa
Brüssel. Die französische Regierung fackelte nicht lange: Das Europaparlament hatte gerade beschlossen, dass Investitionen in die Atomkraft in der EU ein grünes Öko-Siegel bekommen sollen, da ging sie schon an die Öffentlichkeit. Der Elektrizitätsgigant EDF, Betreiber der meisten Atomkraftwerke in Frankreich, werde komplett verstaatlicht, sagte die neue Regierungschefin Elisabeth Borne. Angesichts der Energiekrise, verursacht durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, will Frankreich auf den CO₂-freien Energieträger Atomkraft setzen.
Dazu brauchen Frankreich, aber auch die anderen Atomkraft-Staaten in der EU viele Milliarden Euro. Denn Dutzende der über 100 Meiler in der EU sind marode und müssen saniert werden. EU-Industriekommissar Thierry Breton schätzt, dass die bestehenden Reaktoren allein bis zum Jahr 2030 gut 50 Milliarden Euro verschlingen werden. Für eine neue Generation von Atomkraftwerken müssten bis 2050 dann etwa 500 Milliarden Euro fließen.
Atomkraft gilt jetzt als nachhaltig
Das Geld soll zumindest zum Teil aus der sogenannten Taxonomie kommen. Das ist eine Art Katalog, in dem Anleger ablesen sollen, welche Energieformen nachhaltig sind und den EU-Klimaplänen nutzen. Dass jetzt auch Atom und Gas auf der Liste stehen, hat für heftigen Streit in der EU gesorgt.
Befürworter der Taxonomie argumentieren, Atom und Gas seien für eine Übergangszeit wichtige Brückentechnologien, die Investitionen verdienten. Gegner weisen dieses Argument vehement zurück, sprechen von Etikettenschwindel und sagen, man klebe auch kein Öko-Siegel auf ein Ei aus der Legebatterie. Die Debatte spaltet die Europäische Union.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisiert das grüne EU-Label für Atomkraft und sagt: „Ich fand das immer falsch.“ Längere Laufzeiten seien nicht geeignet, die drohenden Energieengpässe kurzfristig zu lindern. Ende des Jahres sollen die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Die Debatte über längere Laufzeiten geht allerdings weiter.
Außer indirekter Kritik an Paris kann die Bundesregierung wenig ausrichten. Denn welchen Energiemix sie verwenden, das ist Sache der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten.
Außerdem ist die Ampel-Regierung in Berlin in den Augen der Freunde der Atomkraft in Europa wenig glaubwürdig. Denn die Aufnahme von klimaschädlichem Gas in die Taxonomie findet die Bundesregierung in Ordnung.
So steht das Ausland zur Kernenergie
Die Debatte um die Taxonomie hat nun auch den Streit um die Nutzung der Atomkraft wieder befeuert. In zahlreichen EU-Staaten wird wieder die Frage gestellt: „Wie hältst Du es mit der Atomenergie?“ Ein Überblick:
Frankreich: Das Land will die ehrgeizigen Klimaziele der EU mit Hilfe der Atomkraft erreichen. Schließlich ist Frankreich mit 56 Atomreaktoren der größte Kernkraftnutzer in der EU und bezieht fast 70 Prozent seines Stroms aus der Atomkraft. Mehr Atommeiler stehen nur in den USA. Dort sind es 93.
Zwar soll in Frankreich der Anteil der Kernkraft an der Stromproduktion perspektivisch auf 50 Prozent gesenkt werden. Doch das Zieldatum für diese Marke ist nicht mehr das Jahr 2025, sondern das Jahr 2035.
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Dabei hat Frankreich schon heute gewaltige Probleme mit seinen bestehenden Meilern. Die Hälfte liegt derzeit wegen Wartungsarbeiten und zahlreicher Pannen still.
Und die Atomkraft erweist sich zunehmend als geldfressende Energie. Der Bau des neuen Druckwasserreaktors in Flamanville in der Normandie hat inzwischen 19 Milliarden Euro verschlungen. Das ist sechs Mal mehr als geplant.
Dennoch sollen insgesamt 14 neue Atomreaktoren gebaut werden, die in etwa 15 Jahren ihren Betrieb aufnehmen sollen. So hat es Präsident Emmanuel Macron im Winter angekündigt.
Spanien will weiter an Atomkraft festhalten
Belgien und Spanien: In den beiden Ländern stehen jeweils sieben Atomreaktoren. In Belgien hat die Regierung auf die drohende Energieknappheit mit einer Verlängerung der Laufzeiten reagiert. Statt schon im Jahr 2025 sollen die Meiler erst im Jahr 2035 vom Netz gehen. Der Anteil der Atomkraft an der Stromproduktion in Belgien lag im Jahr 2021 bei über 50 Prozent.
Die belgischen Meiler aus den 70-er und 80er Jahren stehen nahe der Grenze zu Deutschland. Weil immer wieder Mängel festgestellt wurden, hat etwa die Stadt Aachen die Stilllegung des Reaktor Tihange bei Lüttich gefordert.
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Spanien dagegen will trotz drohender Energiekrise am vereinbarten Ausstieg aus der Atomkraft festhalten. Die Reaktoren, in denen zuletzt ungefähr 20 Prozent des spanischen Stroms erzeugt wurden, sollen zwischen 2027 und 2035 vom Netz gehen.
Schwedens Atomausstieg wurde nie umgesetzt
Schweden und Tschechien: Dort sind jeweils sechs Reaktoren in Betrieb. Schweden hat zwar schon in den 80er Jahren den Atomausstieg bis zum Jahr 2010 beschlossen. Doch das wurde nie umgesetzt. Inzwischen gibt es Überlegungen, an den alten Kraftwerksstandorten neue Reaktoren zu bauen. Die Finanzierung ist allerdings völlig offen, denn Schweden will die Atomkraft nicht mehr mit staatlichem Geld subventionieren. Zuletzt bezog das skandinavische Land etwa 30 Prozent seines Stroms aus Atomkraft.
Tschechien, das etwa 35 Prozent seines Stroms der Kernenergie verdankt, will – wie andere EU-Staaten auch – die Energiewende mit der Atomkraft schaffen. Der neue Premierminister Petr Fiala kündigte den Bau eines neuen Reaktors an. Möglicherweise kommen zwei weitere Meiler dazu. Dafür will das Land den Kohleausstieg auf 2033 vorziehen.
Ungarn will neue Reaktorblöcke bauen
Finnland, Slowakei, Ungarn: Dort stehen jeweils vier Atomkraftwerke. In Finnland, das ein Fünftel seines Strombedarfs aus der Kernkraft deckt, finden sogar die Grünen, dass Atomenergie eine notwendige Übergangstechnologie auf dem Weg zur Klimaneutralität ist. Entsprechend gering ist der Widerstand gegen Pläne, zwei weitere Reaktoren zu bauen.
In der Slowakei decken Atommeiler mehr als 50 Prozent des Strombedarfs pro Jahr. Neue Reaktorblöcke sind in Planung. Das Land will damit seine Abhängigkeit von der Kohle verringern.
In Ungarn sollen in den nächsten Jahren zwei zusätzliche Reaktorblöcke in der Stadt Paks an der Donau entstehen. Das Land deckte zuletzt gut 47 Prozent des Strombedarfs mit Atomkraft.
Mini-AKW in Rumänien geplant
Rumänien und Bulgarien: Dort werden jeweils zwei Atomreaktoren zur Stromerzeugung verwendet. In Bulgarien, das 41 Prozent seines Stroms atomar herstellt, wird seit Jahren ein neues Werk geplant. Zuletzt sollte dazu ein russischer Reaktor mit US-amerikanischer Technologie entstehen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dürfte diese Pläne jedoch zunichte gemacht haben.
In Rumänien liegt der Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung bei zirka 20 Prozent. Das Land plant den Bau eines sogenannten modularen Atomreaktors. Das ist ein Mini-AKW. Die rumänische Regierung arbeitet dabei mit den USA zusammen, die 14 Milliarden für eine Entwicklungsstudie zur Verfügung stellen wollen. Das US-Unternehmen Nuscale hat die Technik für das Mini-AKW entwickelt.
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Zeitenwende im Energiebereich: Der Staat übernimmt
Im Rekordtempo wird derzeit die Liberalisierung der Energiemärkte rückabgewickelt. Dazu gibt es leider keine Alternative, kommentiert Andreas Niesmann. Denn während Deutschland und andere Europäer fröhlich auf den Markt setzten, blieben in Russland, am Golf und in Asien die Regierungen am Ruder.
Slowenien und Niederlande: In beiden Ländern steht jeweils ein Atomkraftwerk. Slowenien hat nach bisherigem Stand keine Neubaupläne. In den Niederlanden spielt der Anteil des Atomstroms mit 3,5 Prozent nur eine kleine Rolle im Energiemix. Dennoch will das Nachbarland zwei neue Kraftwerke bauen.
Polen: Das östliche Nachbarland Deutschlands hat noch kein Atomkraftwerk, ist aber in hohem Maße von der Kohle abhängig. Es will als letztes Land in der EU im Jahr 2049 aus der Kohle aussteigen. Damit das gelingt, plant Polen den Bau von insgesamt sechs Atomreaktoren. Der erste Meiler soll 2033 in Betrieb, die anderen sollen in den Jahren bis 2040 folgen.
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