Osteuropa setzt weiter auf Atomkraft – und auf kleine Kernkraftwerke aus den USA
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Dampfwolken steigen über dem Kraftwerk Belchatow in Polen auf.
© Quelle: Czarek Sokolowski/AP/dpa
Die deutsche Debatte über den Atomausstieg ist östlich der Oder kein Thema. In fast allen mittel- und osteuropäischen Staaten werden in den nächsten Jahren neue Reaktorblöcke gebaut. Die bestehenden Atomkraftwerke in der Region stammen noch aus der Sowjetzeit und werden nach und nach durch neue ersetzt. Länder wie Polen, die mit ihrer Kohleverstromung extreme Probleme bei den CO₂-Emissionen haben, wollen ihre Kohlekraftwerke durch neue Atomanlagen und erneuerbare Energien ersetzen.
„Wir wollen auf die hier vorhandenen Ressourcen setzen, auf die erneuerbaren Energien und auf die Kernenergie“, sagte kürzlich der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki. Die Energiesysteme ehemaliger Ostblockstaaten sind durch ihre Infrastruktur stark auf Versorgungsstabilität ausgerichtet. Gerade Polen als größtes und bevölkerungsreichstes Land der Region produziert die Energie traditionell in sehr großen Kraftwerken. Das polnische Kohlekraftwerk Bełchatów ist mit einer Gesamtleistung von über fünf Gigawatt das größte Kraftwerk Europas. Die mittel- und osteuropäischen Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch die Leitungsnetzstrukturen sind darauf ausgerichtet, dass große Energiemengen zentral und ohne große Schwankungen bereitgestellt werden.
Auf der anderen Seite sind diese Systeme besonders anfällig für den Ausfall von Rohstoffen wie Kohle und Gas. Gerade in Hinblick auf die russische Invasion in die Ukraine und die daraus resultierenden Folgen für die Gasversorgung aus Russland wird nicht nur in Polen, sondern auch in den anderen Ländern verstärkt auf die Unabhängigkeit von Rohstoffimporten gesetzt.
„Nach der russischen Aggression gegen die Ukraine müssen wir Entscheidungen für eine stabile Stromversorgung für die polnischen Bürger und die polnischen Unternehmen treffen. Kernkraftwerke sind das Sicherheitsnetz unseres Energiesystems“, betonte Morawiecki.
Russische Kernkrafttechnologie nur noch in Ungarn und Belarus
Die russische Kernkrafttechnologie wird aktuell nur noch in Belarus und Ungarn nachgefragt. Der russische Konzern Rosatom stellte 2019 das neue belarussische Atomkraftwerk in Astrawez fertig und arbeitet derzeit an dem zweiten Reaktor im ungarischen Paks. In allen anderen Staaten konkurrieren der französische Energieversorger EdF, das US-Unternehmen Westinghouse und der Nuklearentwickler Korea Hydro and Nuclear Power (KHNP) miteinander. Dabei gibt es eine Vielzahl an Ausschreibungen.
Allein Polen plant den Bau von sechs neuen Reaktoren. Tschechien, Rumänien und Kroatien wollen gemeinsam mit Slowenien in einen zweiten Reaktor Krsko investieren. Die Ukraine sieht einen Neubau von neun zusätzlichen Reaktoren vor. Während sich die meisten Projekte noch in der Ausschreibungsphase befinden, hat sich Polen bei zwei Reaktoren und die Ukraine bereits für eine Zusammenarbeit mit Westinghouse entschieden. Zwei weitere Reaktoren werden in Polen von der koreanischen KHNP gebaut werden.
Westinghouse hat mittlerweile ein spezielles Servicecenter im südpolnischen Krakow eröffnet, um die Angebote in der Region besser koordinieren zu können und regionale technologische Synergien zu nutzen. Darüber hinaus bieten die US-Amerikaner eine Finanzierungsoption über die Eximbank für ihre Kernkrafttechnologie an. Ausgehend vom Süden Polens wird damit ein Kernkrafttechnologiecluster aufgebaut, der diesen Wirtschaftszweig fest in das Industriegefüge der betreffenden Länder einbindet. In Polen soll ein Großteil der nötigen Bestandteile der Reaktoren gebaut werden, die anschließend zwischen der Ostsee, dem Schwarzen Meer und der Adria verbaut werden.
US-amerikanische SMRs sind gefragt
Die US-Amerikaner haben für die Mittel- und Osteuropäer sowohl die konventionellen AP1000-Reaktoren als auch den modernen Small Modular Reactor (SMR) im Angebot. Dabei handelt es sich um deutlich kleinere Anlagen mit einer Leistung von 300 Megawatt, die schneller und kostengünstiger angeboten werden können. In Tschechien wurde eine erste geologische Untersuchung für einen geplanten SMR am Standort des Kernkraftwerks Temelín abgeschlossen. In Rumänien, das ebenfalls US-amerikanische SMRs gekauft hat, wird wohl schon 2029 die erste Anlage dieser Art in Mittelosteuropa in Betrieb gehen.
Estland, das mit der Schieferölverstromung die höchsten Emissionen in der EU hat, überlegt seit Jahren, das Energiesystem auf die emissionsfreie Kernkraft umzustellen. Im Jahr 2019 wurde dazu eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, die ergab, dass der Einsatz von Small Modular Reactoren besonders sinnvoll ist. Das US-amerikanische Unternehmen Nuscale Power unterzeichnete Ende August dieses Jahres eine entsprechende Absichtserklärung, die es Estland ermöglichen soll, ab 2031 Energie mithilfe eines VOYGR-SMR-Kraftwerks zu gewinnen.