Streit um Atomkraft: zu viel Parteipolitik nach „Schema F“
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Angesichts der Energiekrise wird in Deutschland über eine mögliche Laufzeitverlängerung von drei Atomkraftwerken diskutiert.
© Quelle: Getty Images
Der Besuch von Markus Söder und Friedrich Merz im bayerischen Atomkraftwerk Isar 2 kommt nicht überraschend. Der CSU-Vorsitzende und der CDU-Chef wollten sich nicht etwa informieren. Das könnten sie auch ohne Pressekonferenz, Kameras und Medienrummel. Sie wollen in der Auseinandersetzung um verlängerte Laufzeiten für die drei verbliebenen deutschen Atommeiler öffentlichkeitswirksam einen Punkt machen. Tatsächlich ist das Thema komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Das macht es anfällig für Populismus.
Da gibt es zunächst die sachliche Seite, die Kanzler Olaf Scholz soeben richtig beschrieben hat. Zwar seien die drei letzten Atomkraftwerke ausschließlich relevant für die Stromproduktion und nur für einen kleinen Teil davon, sagte er. Trotzdem könne eine Laufzeitverlängerung Sinn machen. Schließlich seien die erneuerbaren Energien in Deutschland noch nicht auf dem nötigen Stand.
Mit anderen Worten: Es geht im Kern um einen Randaspekt der infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine entstandenen Energiekrise. Das belegt eine Zahl: Weniger als 10 Prozent der deutschen Erdgasimporte werden derzeit zur Verstromung verwendet. Überdies können die drei Atomkraftwerke maximal bis zum Frühjahr 2023 laufen, weil es an Brennstäben fehlt. Auch fehlt es an erforderlichen Sicherheitsüberprüfungen.
Vernünftige Menschen könnten über all das nun in Ruhe reden – und würden dabei vielleicht zu dem Ergebnis kommen, dass ein Streckbetrieb sinnvoll wäre und womöglich gar die vorbeugende Bestellung neuer Brennstäbe für den Notfall. Und sei es nur zur Beruhigung der Öffentlichkeit nach der in Zeiten allseitiger Knappheit nicht ganz abwegigen Devise: Was man hat, das hat man.
Vernünftige Argumente fehlen auf allen Seiten
Wichtige deutsche Politiker können das Prädikat „vernünftig“ allerdings nicht für sich in Anspruch nehmen. Vielmehr wird im Lichte zunehmend existenzieller Probleme oft unverändert Parteipolitik nach Schema F gemacht – als lebten die Beteiligten in einer anderen Welt und hätten es nicht anders gelernt. Das gilt auch für Aussagen aus der Union, wonach Fracking in Niedersachsen eine gute Sache wäre, oder die Forderung, Energie zu sparen, zynisch.
Umgekehrt machen die Grünen ebenfalls Parteipolitik – bloß reaktiv und weniger demagogisch. Sie wollen unter keinen Umständen, dass ihr Allerheiligstes, der Atomausstieg, angetastet wird, obwohl die Lage grundlegend anders ist als zu jener Zeit, als er beschlossen wurde. Denn weder gab es seinerzeit Putins Krieg – noch einen radikalisierten Klimawandel, der sich in Waldbränden und Wassermangel manifestiert. Atommeiler länger laufen zu lassen, ist vor diesem Hintergrund jedenfalls nachvollziehbarer als Kohlekraftwerke. Deren Schaden ist evident. Bei der Atomenergie geht es überwiegend um theoretische Risiken.
Das Gefährliche an der Atomdebatte ist indes etwas anderes. Je intensiver die Debatte geführt wird, desto mehr droht sie den Gedanken an die Notwendigkeit des Energiesparens zu verdrängen. Hier jedoch liegt das größte Potenzial, der Krise zu begegnen, sowohl der Energie- als auch der Klimakrise, die sich vor unser aller Augen in diesem Sommer zur Katastrophe auswächst. Jeder kann zum eigenen Nutzen beitragen. Ferner verdrängt die Atomdebatte den Gedanken an die Notwendigkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Die umweltfreundliche Energiewende ist schließlich möglich; die technischen Voraussetzungen liegen vor. Sie müsste nur entschlossen vollzogen werden.
Weder die Energie- noch die Klimakrise lassen uns viel Zeit. Und die Lehre ist hier wie dort ähnlich. Sie lautet: Wir müssen umkehren, so lange wir es noch können.