Schwere Kämpfe im Donbass

„Bachmut wird demnächst fallen“: Rückzug der ukrainischen Soldaten läuft

Zwei ukrainische Soldaten patrouillieren auf einer Straße in Bachmut.

Zwei ukrainische Soldaten patrouillieren auf einer Straße in Bachmut.

Artikel anhören • 5 Minuten

„Nein, es gibt keinen Massenabzug ukrainischer Truppen“, stellte Serhii Cherevatyi am Wochenende beim US-Fernsehsender CNN klar. Der Sprecher des östlichen Truppenverbands der ukrainischen Streitkräfte versicherte, die Kämpfe mit den Russen fänden eher am Stadtrand statt, die Stadt selbst werde aber weiter von ukrainischen Soldaten kontrolliert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigte am Montagabend in seiner täglichen Videobotschaft sogar: Es sei die einhellige Entscheidung getroffen worden, nicht zu weichen, sondern die Truppen zu verstärken.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die russischen Truppen versuchen schon seit Monaten, die schwer umkämpfte Stadt Bachmut mit ihren einst 70.000 Einwohnern einzunehmen. „Wenn nicht noch eine Überraschung passiert, wird Bachmut demnächst fallen“, ist sich Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer sicher. Er beobachtet die Entwicklungen an der Front genau und sagt im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Die Masse der ukrainischen Soldaten ist bereits aus der Stadt abgezogen worden.“ Die Russen kontrollierten jetzt alle Ausfallstraßen und es gebe eigentlich nur noch im Westen die Möglichkeit, sich über die Felder und Wiesen zurückzuziehen. „Der Rückzug hat bereits vor zwei Wochen begonnen.“ Zuerst habe die Ukraine schweres Gerät abgezogen, jetzt versuche sie, auch ihre Infanterie abzuziehen.

Ukrainischer Präsident Selenskyj will Bachmut nicht aufgeben

Selenskyj hat die Einigkeit der militärischen Führung in Kiew beim Kampf um die Stadt Bachmut im Osten des Landes bekräftigt.

+++Alle Entwicklungen zum Krieg im Liveblog+++

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Militärexperten des Institut for the Study of War (ISW) in Washington kommen zu einem ähnlichen Schluss. Demnach gebe es offenbar einen „begrenzten taktischen Rückzug aus Bachmut“ der ukrainischen Armee. Ob es sich um einen vollständigen Abzug handelt, sei noch unklar. Nach Angaben des Vizebürgermeisters von Bachmut, Oleksandr Marchenko, ziehen sich täglich fünf bis zehn ukrainische Soldaten zurück. Der Feind sprengt alles in die Luft, schlägt auf mehrstöckige Gebäude und den Wohnsektor ein. Es gibt Luftangriffe, Artilleriebeschuss und Mörserbeschuss“, sagte Marchenko CNN. Das ISW hält einen solchen „allmählichen“ Rückzug für plausibel.

Bei den Kämpfen um Bachmut setzt Russland auf die berüchtigte Söldnertruppe Wagner, die nach ukrainischen Berichten bereits schwere Verluste erlitten haben soll. Laut der Regierung in Kiew gebe es täglich bis zu 500 Verwundete und Tote auf russischer Seite. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht.

Die Verluste sind laut Militärexperte Reisner aber auch auf ukrainischer Seite sehr hoch. „Den Russen ist es gelungen, die Soldaten einer ukrainischen Reserveeinheit nach der anderen in Bachmut zu töten und zu verwunden.“ Diese letzten Wochen hätten die Offensivfähigkeit der Ukraine eingeschränkt. „Die russischen Truppen konnten durch den andauernden Druck in Bachmut die im Spätherbst letzten Jahres geplante Offensive der Ukraine im Raum Melitopol vorerst verhindern“, erklärt Reisner. Die Ukraine blute aus.

Ob die Eroberung von Bachmut für Russland ein Erfolg wird, hängt laut Reisner entscheidend davon ab, wie viele ukrainische Soldaten sie gefangen nehmen können. „Sonst haben sie nicht mehr als ein paar weitere Kilometer Land erobert.“ Schon jetzt ist klar, dass Russland die Einnahme von Bachmut für seine Propaganda ausnutzen und als großen Erfolg verbuchen werde. Für die russische Propaganda wäre es ein großer Triumph, wenn Hunderte ukrainische Soldaten gefangen genommen würden, so der österreichische Experte. Aber danach sehe es im Moment nicht aus. „Es gibt zwar ukrainische Kriegsgefangene in Bachmut, aber bei Weitem nicht Hunderte, mit denen die Russen rechnen.“

Zehn Kilometer vor Bachmut: „Es gibt Menschen, die nicht fliehen wollen“

In der Ukraine spricht Can Merey mit Bürgerinnen und Bürgern, die ihr Zuhause nicht verlassen wollen – obwohl die Kämpfe nur zehn Kilometer entfernt sind.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Militärexperten des ISW glauben nicht daran, dass den russischen Truppen die Eroberung von Bachmut gelingt, bevor die ukrainischen Streitkräfte abgezogen sind. „Das ISW geht davon aus, dass sich die ukrainischen Streitkräfte eher zurückziehen, als eingekreist zu werden.“ Die Experten warnten davor, dass die ukrainischen Versorgungswege abgeschnitten werden könnten. Armeesprecher Cherevatyi erklärte, dass die Verteidiger bisher noch Munition, Lebensmittel und Medikamente erhalten und Verwundete versorgen könnten.

Um Bachmut tobt inzwischen die längste und blutigste Schlacht seit Beginn des Krieges, die Stadt ist nahezu vollständig zerstört. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Wochenende, Kiews Streitkräfte befänden sich in einer „schmerzhaften und schwierigen“ Situation. Der Chef der russischen Wagner-Gruppe Jewgeni Prigoschin forderte in einem Video den ukrainischen Präsidenten auf, in Bachmut „seine Soldaten zu retten, die getötet würden, wenn sie sich nicht ergeben“.

Die ukrainischen Streitkräfte bereiten sich längst auf den Tag vor, an dem sie Bachmut aufgeben müssen. Nach ISW-Angaben haben sie mehrere wichtige Brücken im Raum Bachmut zerstört, um russische Vorstöße zu behindern. Außerdem beobachtet Oberst Reisner, dass eine kleinere Verteidigungslinie vier bis fünf Kilometer von Bachmut entfernt errichtet wurde. „Im Raum Tschassiw Jar versucht die ukrainische Armee nun, Verzögerungsstellungen zu errichten“, sagt er dem RND. Es gebe dort einen Kanal, über den die Russen mit Panzern nicht ohne Weiteres herüberkämen. „Die nächste große Verteidigungslinie verläuft etwa 20 Kilometer weiter westlich, von Slowjansk und Kramatorsk in Richtung Süden.“

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken