Baerbock in Griechenland: „Unsere Werte dürfen nicht im Mittelmeer untergehen“
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Außenministerin Annalena Baerbock besucht das Lager Schisto für Geflüchtete, während Panagiotis Mitarachi, Minister für Migration und Asyl, mit ihr spricht.
© Quelle: Annette Riedl/dpa
Athen. Unter Bäumen in Schatten stehen zwei Tische mit weißem Tischtuch. Zusammenschieben, bedeutet Annalena Baerbock. Sonst könne man sich doch nicht verstehen. Sie packt an einer Ecke an. Dann kommen die Kinder und die Frauen. Rund 730 Menschen leben im Lager Schisto für Geflüchtete in den Hügeln zwischen Athen und Piräus, Afghanen und Afghaninnen, Syrer und Syrerinnen vor allem, aber auch Iraker und Irakerinnen und Iraner und Iranerinnen. Gut 300 davon sind Kinder.
Zehn Mädchen und Jungen nehmen Platz an Baerbocks Tisch, es gibt etwas Gerangel um die Eisteedosen. „Wie alt bist du?“, fragt Baerbock einen Jungen auf Englisch. Zehn Jahre, der Junge zeigt verstärkend seine Finger. Zehn Ministerfinger gehen nach oben. „Wie lange bist Du schon da?“, fragt Baerbock ein Mädchen. Es zuckt mit den Schultern. Sie könne sich nicht erinnern. Bevor sie in Schisto ankommen, waren die meisten Geflüchteten bereits in anderen Lagern, da kann Zeit vergehen.
Die Ministerin spricht mit den Frauen am Tisch über deren Erfahrungen. Feministisch hat sie ihre Außenpolitik genannt. So kann das aussehen: Die Männer stehen am Rand und sehen zu.
Griechenlands Migrationsminister hat einen Ruf zu reparieren
Einen Rundgang durch das Camp hat Baerbock da bereits hinter sich. Container sind dort übereinandergestapelt. Jede Einheit habe eine eigene Dusche, sagt der griechische Migrationsminister Panagiotis Mitarachi. Und Solarpanels gebe es auch. „Hier lebt man würdevoll“, sagt der Minister und zeigt nach rechts. Vor einem Container blüht Oleander in Töpfen. An einer Stange rankt sich eine Pflanze nach oben. „Schauen Sie, ein Garten. Sehr hübsch“, sagt der Minister zu Baerbock.
Er hat einen Ruf zu reparieren. Der der griechischen Lager für Geflüchtete ist nicht besonders gut: überfüllt, schlechte Versorgung. Das Lager in Moria auf der Insel Lesbos, zeitweise das größte in Europa, wurde zum Symbol des Elends. Inzwischen ist es abgebrannt. „Moria war nicht das Problem“, sagt der griechische Mitarachi. „Das Problem war das Camp um Moria herum.“ Die illegalen Ansiedlungen, weil mehr und immer mehr gekommen seien. Und dann redet er sich in Rage. Über die mangelnde Solidarität in der EU zum Beispiel. 160.000 Menschen hätten die fünf Mittelmeerstaaten in den vergangenen Monaten aufgenommen. Gerade mal 8000 seien von anderen EU-Ländern übernommen worden.
Zwei Millionen Geflüchtete brauchen permanente neue Heimat
Die meisten Umsiedlungen seien aus afrikanischen Ländern, dem Nahen Osten, Nordafrika und der Türkei nötig.
© Quelle: dpa
Und außerdem werde mit unterschiedlichem Maß gemessen: Geflüchtete aus der Ukraine könnten sich in Europa frei bewegen, wer aus Afghanistan und Syrien komme, dem werde ein Land als Aufenthaltsort zugewiesen. Ungerecht sei das, er werde es in der EU thematisieren
Zwischen Flüchtendenlager und Frontex
Dort aber ist gerade ein anderes Thema hochgekocht. Die EU‑Antibetrugsagentur Olaf hat einem Bericht des „Spiegel“ zufolge festgehalten, wie sehr die EU-Grenzschutzagentur Frontex die griechischen Sicherheitskräfte dabei unterstützt hat, Geflüchtete an der Landung in Griechenland zu hindern. Bei den so genannten Pushbacks wurden Boote mit Migranten und Migrantinnen ins Meer zurückgedrängt. Frontex-Chef Fabrice Leggeri ist deswegen bereits zurückgetreten.
Er kenne den Bericht nicht, sagt Mitarachi. Aber die EU habe das Recht, ihre Grenzen zu sichern. Und im Übrigen könne die Türkei auch mehr tun, um Geflüchtete daran zu hindern, sich auf gefährliche Bootsreisen Richtung EU zu begeben.
Jede Grenze muss auch eine Tür haben.
Annalena Baerbock, Außenministerin
Baerbock bricht auf. Sie hat den passenden Termin: bei Frontex in Athen. Es sei richtig und wichtig, dass die EU ihre Außengrenzen schütze, damit auf die Binnengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten weiter verzichtet werden könne, sagt sie anschließend. Und es sei klar, dass Griechenland dabei mehr Unterstützung brauche. Auch Deutschland habe sich da in den vergangenen Jahren „unsolidarisch, naiv und verantwortungslos“ verhalten – „mein Land“, sagt sie und meint eine andere Bundesregierung.
Was nun über die Pushbacks berichtet werde, müsse aufgeklärt werden, jeder einzelne Fall. Menschenrechte dürften bei der Grenzsicherung nicht ignoriert werden. „Wenn wir da wegschauen, gehen unsere Werte im Mittelmeer unter“, sagt Baerbock. „Jede Grenze muss auch eine Tür haben.“ Und sie zählt auf, was getan werden müsse: Die Verteilung der Geflüchteten in der EU müsse neu geregelt und eine europäische Seenotrettung etabliert werden. „Rettung und Hilfe in Notfällen ist eine staatliche Aufgabe“, verkündet Baerbock.
Und dann kommt noch eine Frage zur Fußball-EM.
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