Beauftragter für Antidiskriminierung Franke: Wir brauchen mehr Klagemöglichkeiten
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© Quelle: Ingo Heine
Berlin. Herr Franke, die Koalitionsverhandlungen laufen. Es gibt eine eigene Arbeitsgruppe zu Gleichstellung. Was müsste herauskommen, um die Gleichbehandlung in Deutschland zu stärken?
Eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist dringend notwendig. Das Gesetz ist jetzt 16 Jahre alt, und es zeigt sich schon länger: Der gesetzliche Schutz vor Diskriminierung muss verbessert werden. Eine künftige Regierung sollte unbedingt die Frist verlängern, innerhalb derer rechtliche Ansprüche wegen Diskriminierung geltend gemacht werden können. Bisher sind dafür zwei Monate vorgesehen. Sechs Monate wären sinnvoll. Die große Koalition hatte das so besprochen, aber nicht umgesetzt.
Was würde eine Fristverlängerung bringen?
Die Betroffenen hätten dann mehr Zeit, sich nach einer Diskriminierung beraten zu lassen. Manchmal muss man das diskriminierende Erlebnis auch erst verarbeiten, um zu einem Entschluss zu kommen – zum Beispiel bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz durch Vorgesetzte.
Haben Sie weitere Forderungen an die nächste Regierung?
Sinnvoll wäre es auch, mehr Schlichtungsverfahren zu ermöglichen, mit denen Diskriminierungsfälle geklärt werden könnten, ohne dass ein Gerichtsverfahren nötig wird. Wir fordern außerdem die Einführung eines Verbandsklagerechts. Bisher bleibt alles an der Einzelperson hängen: Wer diskriminiert wurde, muss sein Recht selber vor Gericht durchsetzen. Ein Verbandsklagerecht könnte die Betroffenen finanziell wie organisatorisch entlasten. Eine gute Idee wäre es auch, der Antidiskriminierungsstelle ein Klagerecht zu geben. Gerade in Fällen von übergeordneter Bedeutung wäre es sehr sinnvoll, wenn eine bundesweit tätige Stelle ein Klagerecht hätte. Das würde zum Beispiel einen Eingriff bei gleichheitswidrigen Tarifvorschriften für die Bezahlung von Frauen und Männern ermöglichen.
Jeder sollte in Deutschland in seiner Nähe eine Beratungsstelle finden können.
Bernhard Franke
In der letzten Wahlperiode war der Posten des Antidiskriminierungsbeauftragten nur kommissarisch besetzt – durch Sie. Hat das gereicht?
In der neuen Legislaturperiode muss es sehr rasch und reibungslos gelingen, die Leitung der Antidiskriminierungsstelle regulär zu besetzen. Nur dann ist das Amt wirkmächtig. Es ist ein Armutszeugnis für die bisherige Bundesregierung, dass sie das nicht geschafft hat. Um eine solche Hängepartie in Zukunft zu verhindern, sollte die künftige Leitung vom Bundestag gewählt und nicht nur vom Kabinett abgesegnet werden. Auch das würde die Bedeutung und das Ansehen erhöhen.
Reicht es, was in Deutschland für die Antidiskriminierungsarbeit zur Verfügung steht?
In der Fläche brauchen wir ein größeres Beratungsangebot. Jeder sollte in Deutschland in seiner Nähe eine Beratungsstelle finden können, deren Existenz auf Dauer gesichert sein soll. Dazu sollte es ein Bund-Länder-Programm geben.
2020 gab es insgesamt rund 6400 Beratungsanfragen bei Ihrer Stelle. Wie hat sich das in diesem Jahr entwickelt?
Im Zusammenhang mit Corona gibt es die Debatte, ob es diskriminierend ist, wenn Geimpfte mehr Möglichkeiten bekommen als Nichtgeimpfte. Was sagen Sie?
Der Impfstatus ist kein Diskriminierungsmerkmal nach dem Gleichbehandlungsgesetz. Ein Ladenbesitzer kann also seine Maßnahmen an den Impfstatus knüpfen. Es kann sich aber in bestimmten Fällen um eine mittelbare Diskriminierung handeln, wenn etwa Schwangere oder Vorerkrankte, die sich nicht impfen lassen können, betroffen sind. Da müssen dann die Gerichte entscheiden.
Hinweis: In einer früheren Fassung war die Zahl der Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle mit 64.000 angegeben. Tatsächlich waren es 6400. Wir haben die Zahl korrigiert.