Betreuung von Kindern in Pflegefamilien im roten Bereich
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Szene aus dem Rostocker „Polizeiruf“ mit den Schauspielern Jack Owen Berglund (v.l.), Junis Marlon, Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner.
© Quelle: Christine Schroeder/NDR/ARD/dpa
Berlin. Mehr als sieben Millionen Zuschauer sahen am Sonntag den Rostocker „Polizeiruf 110“. Der neue Fall der Ermittler mit dem Titel „Kindeswohl“ hatte es in sich: Es ging um den Mord an einem privaten Kinderheimbetreiber und die Unterbringung deutscher Pflegekinder in EU-Staaten wie beispielsweise Polen.
Die verblüffende Information im Abspann: 850 Kinder und Jugendliche aus Deutschland sollen gegenwärtig in Pflegefamilien im Ausland untergebracht sein.
Stimmt das?
Das Bundesfamilienministerium bestätigt diese Zahl. „Knapp weniger als 900 Kinder und Jugendliche halten sich gegenwärtig bei Pflegefamilien im Ausland auf“, sagte ein Sprecher dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „2017 wurden 690 erzieherische Hilfen im Ausland durchgeführt. In 218 Fällen wurde im Jahr 2017 eine erzieherische Hilfe begonnen, die im Ausland durchgeführt wurde.“
Wie viele Kinder befinden sich in Pflegefamilien?
Insgesamt, so der Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien (Pfad), sind derzeit knapp 90.000 Kinder in Pflegefamilien untergebracht - Tendenz steigend. Die Zahl der Pflegekinder wachse pro Jahr um rund 2 bis 3 Prozent, so Pfad-Referentin Carmen Thiele gegenüber dem RND.
Wann werden Kinder in Pflegefamilien gegeben?
Familienrichter können Eltern aus Fürsorgegründen für die Kinder ganz oder teilweise die elterliche Sorge entziehen. Dies geschah 2017, aus dem Jahr stammen die aktuellsten Zahlen, bundesweit in insgesamt 16.500 Fällen, besonders häufig in Nordrhein-Westfalen (4200 Fälle) und in Bayern (1800).
Die Kinder werden dann in die Obhut kommunaler Jugendämter gegeben, die wiederum mit Trägervereinen zusammenarbeiten, die sich in eigenen Einrichtungen oder über Pflegeeltern um die Kinder kümmern.
Sind deutsche Kinder bei Pflegefamilien im Ausland normal?
Grundsätzlich sind Hilfen zur Erziehung im Inland zu erbringen, sagt der Sprecher des Familienministeriums. „Die intensivpädagogischen Erziehungshilfen im Ausland bilden eine Ausnahme im Regelhilfesystem der Jugendhilfe und werden gewährt und durchgeführt, um einer besonderen Krisensituation, in der sich der junge Mensch befindet, zu begegnen. Sie können in besonders gelagerten Fällen eine sinnvolle und notwendige Hilfe sein, um Jugendliche in besonderen Lebenslagen pädagogisch zu erreichen.“
Gibt es auch noch andere Gründe?
Ja, sagt Carmen Thiele vom Bundesverband der Pflege- und Adoptiveltern. „Unter den knapp 900 Fällen sind auch Pflegefamilien, die aus Job-Gründen samt Pflegekind ins benachbarte EU-Land wechseln.“ Das betrifft zumeist Frankreich, Luxemburg, Belgien, die Niederlande, Polen, Österreich und Tschechien. „Wenn das zuständige Jugendamt gut erreichbar ist, kann das sehr sinnvoll sein“, so Thiele.
Und wie läuft das?
Deutsche Gerichte können Kinder nach einem Konsultationsverfahren im EU-Ausland unterbringen, heißt es in einem Merkblatt des Bundesamts für Justiz. Die zuständigen Stellen im Ausland müssen dem zustimmen. Das gilt auch für gewährte Leistungen der Jugendhilfe (zum Beispiel als Hilfe zur Erziehung). Diese Verfahren können auch – bis auf drei Staaten – nachgeholt werden, wenn sich das Kind bereits im Ausland befindet.
Welche Voraussetzungen gibt es?
Die in Deutschland geltende Qualifikation der Betreuer muss vertraglich sichergestellt werden. Die Träger müssen Gewähr dafür bieten, dass sie die Rechtsvorschriften des Aufenthaltslandes einhalten und mit den Behörden des Aufenthaltslandes sowie den deutschen Vertretungen im Ausland zusammenarbeiten.
Was ist kritisch an der Auslands-Praxis?
In der Realität habe es Fälle, bei denen wie im Polizeiruf geschildert mit ins Ausland abgeschobenen Problem-Jugendlichen von privaten Trägern Geld verdient wird, nur vereinzelt gegeben, so Pfad-Referentin Thiele. „Doch die Gefahr steigt durch die wachsende Zahl von Pflegekindern und der Personalnot in den kontrollierenden Jugendämtern“, erklärt die Expertin.
Gesetzlich ist es vorgeschrieben, dass einmal im Monat Kontakt zwischen Vormund – Jugendämtern, Trägervereinen oder Einzelpersonen – und dem Kind oder Jugendlichen stattfindet. „Überall wird händeringend nach Fachleuten gesucht, die kontrollieren können“, so Thiele. „Personell wird da schon lange im roten Bereich gearbeitet.“
Sind Änderungen geplant?
Die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen im Ausland ist auch Thema der Reform des Sozialgesetzbuches (SGB VIII), die derzeit in Vorbereitung ist. Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart, die Kinder- und Jugendhilfe auf der Basis des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) weiterzuentwickeln und dabei den Kinderschutz und die Unterstützung von Familien zu verbessern.
Im Vorfeld der geplanten Gesetzesinitiative ist ein Dialog mit Akteuren aus Wissenschaft und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Behindertenhilfe und den Ländern und Kommunen gestartet worden.
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Von Thoralf Cleven/RND