Die Debatte der Woche

Brauchen wir ein Werbeverbot für Süßigkeiten?

Immer mehr Kinder haben Diabetes und Übergewicht – kann ein Werbeverbot helfen?

Immer mehr Kinder haben Diabetes und Übergewicht – kann ein Werbeverbot helfen?

Freiwillig wird das nichts

Ein Pro, von Daniela Vates

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ach, das bisschen Werbung, was ist da schon dabei? Diese zehn, 15 Sekunden im Fernsehen oder im Netz: Ein Regenschauer stört das Tischtennisspiel einer glücklichen Familie, schnell rein ins Haus – da ist es nicht nur trocken, es gibt auch Chips! Auf einem Sofa, auch wieder sehr gemütlich, ist für die Tochter Papa-Zeit angesagt beim Überraschungs-Ei-Knacken samt Rangelei um die leckere Schokolade. Ein Fußballstar verschießt im Training einen Ball – was gibt es da Besseres, als strahlend in einen Schokoriegel zu beißen. Und dann sind da noch naschende Influencer und diese strahlenden Werbemütter, die in ihrer unendlichen Fürsorge leckere Snacks in Kinderrunden werfen, worauf nicht mehr gespielt, sondern gefuttert wird.

Konzerne fahren Imagekampagne

Gemütlichkeit, Gemeinsamkeit, Glück, Harmonie, Coolness, Frustkompensation, das sind die Botschaften dieser Werbespots. Und sie schmecken süß und salzig, sie knuspern sich mal eben weg. Auch beim Sport. Leistung und Gesundheit sind also auch noch drin. Und klar, die gesunde Milch in der Schokolade, mit viel Sorgfalt immer wieder inszeniert. Da lässt sich über den Zucker schon mal schweigen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Was ist da schon dabei? Ziemlich viel. Es muss zwar nicht sein, dass Kinder, die solche Werbespots sehen, sofort die Küche nach Schokoriegeln durchforsten, den Eltern den Apfel aus der Hand schlagen, sich vor dem Süßigkeitenregal im Laden schreiend auf den Boden werfen oder das Taschengeld am nächsten Kiosk in Gummibärchen anlegen.

Aber die Wahrscheinlichkeit wächst. Kinder können weniger als Erwachsene zwischen Werbung und Wirklichkeit unterscheiden. Die Coolness, der Spaß, die Begeisterung von Youtube-Stars, Zeichentrick- oder Fußballhelden – all das wirkt für sie real, die entsprechenden Snacks bekommen ein positives Image. Und wenn sich der Käse von der Fertigpizza zieht, kommt der Appetit dazu. Werbung funktioniert so, sie gräbt sich ins Unbewusste und fängt dort an zu drängeln. Auch Erwachsenen fällt es oft schwer, sich bewusst zu machen, dass man fürs Gesunde-Vitamine-Naschen besser nicht in die Bonbontüte greift. Für Kinder gilt das umso mehr.

Unbezahlbar

Unser Newsletter begleitet Sie mit wertvollen Tipps und Hintergründen durch Energiekrise und Inflation – immer mittwochs.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Werbung fördert schlechte Gewohnheiten

Bei Spielzeug kann der Werbungsglauben zu einem langen Wunschzettel und Quengeleien führen. Aber die enthalten immerhin weder Zucker noch Salz oder Fett. Bei Süßigkeiten, Softdrinks, Chips und Pizza gibt es davon dagegen in rauen Mengen. Wer einen Schokoriegel isst, ist nicht morgen krank. Aber wer regelmäßig zugreift, hat einen Risikofaktor mehr. Übergewicht, Diabetes, andere chronische Krankheiten hängen auch mit Ernährungsgewohnheiten zusammen. Und die entwickeln sich früh. Werbung beeinflusst Lernprozesse – und Studien zufolge auch kurzfristige Verhaltensweisen: Kinder, die Snackwerbespots gesehen hatten, aßen bei der folgenden Zwischenmahlzeit deutlich mehr.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert seit Jahren, eine Reduzierung der Werbemaßnahmen für ungesunde Lebensmittel. Die EU hat immerhin 2018 aufgefordert, Werbung in Kindersendungen zu unterlassen. Der wissenschaftliche Beirat des Landwirtschaftsministeriums empfahl 2020, also noch unter der damaligen CDU-Ressortchefin Julia Klöckner, Werbung für „nicht und wenig gesundheitsfördernde Lebensmittel“ einzuschränken, wenn nicht gar zu verbieten.

Wenn Agrarminister Cem Özdemir dem nun folgt und Werbung verbieten will, die Kinder bis 14 Jahren erreicht, ist das nicht radikal, sondern sinnvoll.

Krankheiten sind teuer

Denn die freiwilligen Regeln der Branche haben offenkundig nicht allzu viel gebracht: Über 85 Prozent der 283 bei Kindern in Fernsehsendern beworbenen Produkte waren 2021 laut einer Studie der Stiftung Kindergesundheit und des Verbraucherschutzverbandes foodwatch ungesunde Lebensmittel. Das ist nicht verwunderlich, die Gewinnmargen sind ganz sehenswert.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Fehlen werden Spots und Plakate demnach vor allem denen, die mit Snacks und Süßkram Milliarden verdienen. Aber ernährungsbedingte Krankheiten kosten Milliarden – und diese Rechnung übernimmt die Allgemeinheit. Klar, die Werbung ist da nicht alleine schuld. Es braucht auch noch einiges anderes, wie bessere Kita- und Schul-Verpflegung, mehr Sportangebote, Aufklärung und gesunde Lebensmittel auch wenig Geld. Aber wenn da nicht ständig Chips- und Keks-Clips dazwischenfunken, hilft das schon.

Das Leben und wir

Der Ratgeber für Gesundheit, Wohlbefinden und die ganze Familie - jeden zweiten Donnerstag.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Das Interesse der Gemeinschaft überwiegt – und davor steht sogar noch der Kinderschutz.

Und ja, da darf es auch mal ein Verbot sein. Die Forderung nach einem Verbot von Verboten, die es nicht nur in dieser Debatte gibt, ist ohnehin kurios. Denn Regeln schränken nicht kollektiv Freiheit und Selbstbestimmung ein, sie eröffnen sie in anderer Form. Und in diesem Fall fördert ein Werbeverbot sogar die von Verbotsgegnern geforderte Wettbewerbsgleichheit, zwischen PR-Rennern und Produkten mit wenig Werbeerfahrung – also zwischen Bonbons und Karotten.

Schokolade schmeckt auch ohne Werbung

Ein Contra von Dirk Schmaler

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Cem Özdemir kann sehr gut sehr ernsthaft wirken. Dann schaut der Grünen-Politiker streng über seine Brille, hebt den Zeigefinger und spricht mit einer noch knarzigeren Stimme als eh schon. Er sei nun wirklich „alles andere als ein Verbotsfanatiker“, sagte er in diesen Tagen in ebenjenem Gestus in die Mikrofone in Berlin. Aber bei Kindern, fügte er schneidig hinzu, da höre der Spaß für ihn auf. „Auch der Werbespaß!“ Da habe er als Ernährungsminister „eine Schutzverpflichtung“. So!

Özdemir, jener Minister, der an anderer Stelle wie kein zweiter in der Bundesregierung für die Legalisierung von Cannabis eintritt, will die Reklame für ungesundes Essen weitgehend verbieten. Zum Schutz der Kinder, die immer häufiger unter Übergewicht leiden. Alles, was zu viel Zucker, Salz oder Fett enthält, soll weder im Fernehen, noch im Netz oder in Zeitungen und Zeitschriften beworben werden dürfen. Zumindest nicht vor 23 Uhr. Für die Gesundheit unserer Kinder sei das kein zu hoher Preis.

Verbot ist nicht geeignetes Mittel

Die Frage aber lautet: Ist es wirklich die Werbung, die unseren Kindern einredet, dass sie gern Schokolade essen? Dass sie ohne entsprechende Aufklärung Chips und Gummibärchen schmackhafter finden als getrocknete Datteln und Linsen-Knusper-Puffs? Oder anders herum: Ist ein Werbeverbot - ein gehöriger Einschnitt in die Freiheit der Werbetreibenden - das geeignete Mittel, um die Ernährungsgewohnheiten der Kinder zu verändern? Daran darf man große Zweifel haben.

Kinder, die Medien nutzen, so hat es Özdemir erläutert, sähen täglich im Schnitt 15 Reklamen für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt. Das mag stimmen. Allerdings dürften diese Kinder in den wenigsten Familien für den Wocheneinkauf zuständig sein. Es entscheiden in der Regel die Eltern, was in den Einkaufswagen und somit auf den Tisch kommt. Sie kaufen die salzigen Snacks, die Weingummis, die süßen Brotaufstriche und die fettigen Fertiggerichte für sich und ihre Liebsten. Wenn ein Werbeverbot also überhaupt einen Effekt haben soll, dann müsste es auf die Eltern zielen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das Stream-Team

Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix & Co. – jeden Monat neu.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Soziale Ungleichheit geht durch den Magen

Soziale Herkunft, Bildungsgrad, Milieu, all das spielt bei der Ernährung der Kinder eine große Rolle. Auf den Spielplätzen der Republik kann man schon anhand der Brotdosen der Kinder ziemlich genau erkennen, in welcher Art von Wohnviertel man sich gerade befindet. Auf manchen essen die Kinder geschnittenes Obst und getrocknete Früchte und trinken Wasser. Auf anderen gibt es Schokoriegel und Capri-Sun. Soziale Ungleichheit geht auch durch den Magen. Ein Werbeverbot wird daran kaum etwas ändern.

Schokolade benötigt weder ein werbliches Freiheitsversprechen, wie es die alten Zigarettenwerbungen gaben, noch muss sie heitere Geselligkeit verkörpern, wie es all die Bierreklamen heute noch vor jeder Sportschau tun (die übrigens auch gern von Kindern geschaut wird, weshalb dort ein Alkoholwerbeverbot sehr viel naheliegender wäre). Die ungesunde Verführung liegt im wohligen Geschmack. Zucker, Salz und Fett besorgen so ihre Werbung per Gaumen selbst. Die Reklame lenkt da höchstens die Aufmerksamkeit von einer Chipsmarke zur anderen.

Essstörung

Können Diäten zu Magersucht, Bulimie oder Binge-Eating führen? Experten und Expertinnen sehen zumindest einen Zusammenhang zwischen Hungerphasen und den Erkrankungen.

Spaß am Essen ist wertvoll

Mit markigen Verbotsforderungen kommt man deshalb in der Sache nicht weiter. Wer wirklich etwas tun will gegen Übergewicht und ungesunde Ernährung, der kommt – neben Sportförderung – nicht um die Mühen der guten, alten Kindererziehung herum. Es muss darum gehen, Kinder einen maßvollen Umgang etwa mit Süßigkeiten zu lehren, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Essen und Trinken eben nicht nur schmackhaft sein sollte, sondern bestenfalls auch gesund. Gerade in Kitas und Grundschulen lernen die Kinder heute schon ziemlich gut, wie wichtig ausgewogene Ernährung ist. Es ist an den Eltern, diese wichtige Arbeit aufzunehmen. Sonst ist sie für die Katz.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das heißt übrigens nicht, dass Eltern nun jeden Lolli verteufeln müssen. Spaß am Essen ist ein Wert an sich. Auch das fördert die Gesundheit. Kein Kind wird dick allein durch ein Dessert nach abwechslungsreichem Essen. Niemand wird krank durch eine gelegentliche Limonade oder ein Stück Schokolade. Wenn allerdings Süßigkeiten Mahlzeiten ersetzen und die Limonade im Haushalt das Mittel gegen Durst ist, dann stimmt etwas grundsätzlich nicht. Und, ja, dann steigt auch das Gesundheitsrisiko erheblich.

Es war der Schweizer Arzt Paracelsus, der vor mehr als 500 Jahren darauf aufmerksam machte, dass Gesundes und Ungesundes nah beieinanderliegen. Er schrieb: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht‘s, dass ein Ding kein Gift sei.“ Wenn Eltern und Kinder das beherzigen, wäre schon sehr viel gewonnen.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken