Cannabis legalisieren, aber wie? Was die Ampelregierung beachten muss

Cannabis ist die beliebteste illegale Substanz in Deutschland – bald sollen Fachgeschäfte sie verkaufen dürfen.

Cannabis ist die beliebteste illegale Substanz in Deutschland – bald sollen Fachgeschäfte sie verkaufen dürfen.

Auf dem Boden ist ein gelber Strich gezogen. Das ist die Grenze, die keiner überschreiten darf. Die eine Seite ist für die Lieferanten, die andere für die Mitarbeitenden, die deren Ware in steriler Schutzkleidung entgegennehmen. Nicht einmal die Chefs können das Rolltor öffnen, wenn das Lieferauto kommt. Nur die Wache darf das. Und nur eine Sache darf die gelbe Linie passieren: Cannabisblüten.

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Im bayerischen Leipheim findet sich eine der größten Produktionsstätten für medizinisches Cannabis in Europa: Bavaria Weed. Bis zu drei Tonnen Marihuana lagern hier; ein paar Wochen müssen die Pflanzen in Quarantäne, bis nachgewiesen ist, dass sie keimfrei sind. Erst dann werden sie verarbeitet. Und wieder gilt: Nur autorisierte Mitarbeitende haben Zutritt zum Produktionsraum mit den dicken Glasscheiben und mehrfach geschützten Türen. Sie tragen Hauben, Handschuhe, einen Mantel. In diesem Raum werden die Blüten über ein Band befördert und über einen Trichter aufs Milligramm genau in Dosen gepackt. Tausende Apotheken in Deutschland werden mit Marihuana aus Leipheim beliefert.

Thomas Hoffmann, Stefan Langer und David Surjo (von links) wollen mit Bavaria Weed künftig auch im Cannabisgenussmarkt aktiv werden.

Thomas Hoffmann, Stefan Langer und David Surjo (von links) wollen mit Bavaria Weed künftig auch im Cannabisgenussmarkt aktiv werden.

Grüne wollen erste Cannabisshops in anderthalb bis zwei Jahren

Dort herrscht jetzt Aufbruchstimmung. „Wenn die kontrollierte Abgabe kommt, müssen wir nur einen Knopf drücken“, sagt Firmengründer Stefan Langer. Schon bei der Gründung 2018 habe er darauf spekuliert, zeitnah auch den Freizeitmarkt bedienen zu dürfen. Langer hofft, dass es schon sehr zeitnah losgeht mit ersten Tests in Apotheken, vielleicht im Frühjahr.

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Wenn es nach dem Willen der Grünen in der Ampelkoalition geht, ist es spätestens in zwei Jahren so weit. Dann soll das erste lizenzierte Fachgeschäft in Deutschland eröffnen, in dem Cannabis als Genussmittel verkauft wird. Ähnlich einem Tabakgeschäft könnte das funktionieren, mit Beratung, Aufklärung und Verkauf. Denn: „Wir wollen wissen, was auf dem Markt ist, welche Inhaltsstoffe konsumiert werden“, sagt die Grünen-Bundestags­abgeordnete Linda Heitmann. Fünf Jahre arbeitete sie in der Hamburger Landesstelle für Suchtfragen, nun sitzt sie im Gesundheits­ausschuss und wird dort das Konzept zur Cannabisfreigabe beraten.

SPD, Grüne und FDP haben im Koalitionsvertrag festgehalten: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet.“ Nach vier Jahren soll eine Evaluation gesellschaftliche Auswirkungen untersuchen.

Uruguay, Kanada und einige Bundesstaaten der USA machen es vor, nun folgen Deutschland und Malta als Länder vier und fünf. Selbst in Portugal und den Niederlanden sind Konsum und Verkauf lediglich entkriminalisiert und geduldet, nicht legalisiert worden.

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Cannabislegalisierung – lernen von Kanada

Die wichtigsten Ziele seien erreicht worden, seit die kontrollierte Abgabe im Oktober 2018 eingeführt wurde, sagt David Hammond von der School of Public Health Sciences in Waterloo, Kanada. „Wir waren erfolgreich darin, das Strafrechtssystem zu entlasten. Mehr als die Hälfte der Konsumenten ist auf den legalen, regulierten Markt gewechselt, was für die kurze Zeit ziemlich beeindruckend ist.“ Mehr als eine Milliarde Dollar an Steuern hat die Cannabislegalisierung dem kanadischen Staat bisher eingebracht.

Mehr als die Hälfte der Konsumenten ist auf den legalen, regulierten Markt gewechselt, was für die kurze Zeit ziemlich beeindruckend ist.

David Hammond,

School of Public Health Sciences in Waterloo, Kanada

Arne ist einer jener, die von der neuen Gesetzeslage direkt betroffen sind. Arne will auf den legalen Markt wechseln, sagt er. Er ist 20, Schüler und Musiker und raucht täglich Marihuana. „Ja, ich würde sagen, dass eine kleine Abhängigkeit besteht“, erzählt er. Mehrmals habe er versucht aufzuhören, doch dann habe er sich gestresst gefühlt. „Ich habe aktuell nicht den Wunsch aufzuhören.“ Das Kiffen mache ihn kreativer, sorgloser, reflektierter, selbstbewusster.

Mit 17 probierte Arne erstmals Cannabis – weil er eine Alternative zum Alkohol suchte. Riskant war das, im Nachhinein gesehen, nicht nur seines Alters wegen. Arne hat psychische Erkrankungen, die durch Cannabiskonsum verstärkt werden können. „Ich kommuniziere offen mit meiner Psychologin darüber“, sagt er. „Ich weiß, dass Cannabis Auswirkungen auf den Kopf hat.“ Konzentrations­störungen und Vergesslichkeit nähmen zu. „In der Jugend wird Marihuana verharmlost“, sagt Arne, „dabei kann einen das psychisch fertigmachen.“

Auch er hatte ihn schon, seinen „bad trip“, wie er ihn nennt. „Das war fast traumatisch“, sagt er. Er glaubt, dass er verunreinigtes Gras genommen hatte. Darin sieht er aktuell auch eine der größten Gefahren, vor allem im ländlichen Raum, wo das Angebot nicht so groß ist und Konsumentinnen und Konsumenten nehmen müssen, was der Dealer gerade verkauft.

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Große Herausforderung: Infrastruktur für flächendeckende Angebote ist zentral

Solche Erfahrungen spielen hinein in die Überlegungen der Koalition. Zentral für das Gelingen der Freigabe wird der Aufbau der Infrastruktur vom Anbau über Lieferketten bis hin zu den Fachgeschäften sein. In Kanada, sagt Hammond, sei man immer noch dabei, die Infrastruktur aufzubauen. Lieferprobleme wie in den ersten Monaten, als das legale Cannabis ausging, gibt es nicht mehr. Dafür wird es Jahre dauern, flächendeckend Angebote zu schaffen. In Ontario, der bevölkerungs­stärksten Provinz, habe es sechs Monate nach der Legalisierung noch kein Fachgeschäft gegeben – nun aber seien es mehr als 1000.

Beim Aufbau der Infrastruktur könnten viele Fehler gemacht werden, warnt Peter Raiser, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Es sei wichtig, dass „Unternehmen nicht das Ziel haben, neue Zielgruppen zu erschließen“. Werbemaßnahmen müssten unterbunden werden. Die Geschäfte dürften nicht zu nah an Schulen verortet werden. Und: Lebensmittel, die Cannabis enthalten, sollten verboten sein. Denn durch Produkte wie Eiscreme, Brotaufstriche oder Haschkekse würden eben neue Konsumenten angesprochen.

Letzteres ergibt für Janis Schneider von der Integrativen Drogenhilfe Frankfurt indes wenig Sinn. „Wir müssen die Substanz legalisieren, nicht nur ein oder zwei Konsumformen“, sagt er. Je mehr Regularien gälten, desto weniger attraktiv sei der legale Markt für Konsumentinnen und Konsumenten. Menschen sollen selbst über die Konsumform entscheiden können.“ Cannabiskonsum sei nicht risikofrei, aber gerade deshalb müsste durch Informationen in den Geschäften auf einen sicheren Konsum hingewirkt werden.

Ob er in den legalen Sektor wechselt, weiß denn auch zum Beispiel Reinhard noch nicht. Der 52-Jährige konsumiert täglich Cannabis. Über seine Frau fand er den Einstieg. Als Schmerzpatientin bekam sie Cannabis verschrieben. Die Ärztin habe das Paar ermutigt, verschiedene Sorten auszuprobieren, um herauszufinden, welche Wirkung am besten sei. Reinhard stellte fest: Die Schlafqualität nimmt mit dem Cannabiskonsum zu.

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Es ist eine Frage von Aufwand und Nutzen, ob es sich für mich lohnt, umzusteigen.

Reinhard (52),

Cannabiskonsument

Seither pflanzt er selbst an, er will sich dem Risiko nicht aussetzen, von Dealern schlechten Stoff zu bekommen. In seinem Badezimmer stehen ein Zelt, eine Lampe, ein Filter und eine Lüftungsanlage, damit seine kleine Plantage nicht durch ihren typischen Duft auffliegt.

„Es ist eine Frage von Aufwand und Nutzen, ob es sich für mich lohnt, umzusteigen“, sagt Reinhard. Entscheidend sei der Preis. Zudem dürfe es keine bürokratischen Hürden geben mit Kundenregistrierung oder Suchtberatung beim Einkauf. Das sieht auch Janis Schneider von der Drogenhilfe so: Heute sei die Beratung von Hilfsangeboten geprägt, sie müsse sich hin zur Konsumberatung entwickeln.

Wären Preis und Infrastruktur akzeptabel, „würde ich es mit Sicherheit nutzen. Wie häufig hängt es von den Rahmenbedingungen ab“, meint Reinhard. Er hofft vor allem auf eines: dass nach dem ersten Schritt der Freigabe auch der Eigenanbau entkriminalisiert wird. Und dass generell ein entspannterer Umgang in der Cannabisdiskussion möglich ist.

Psychiater warnen vor Cannabis Use Disorder

Die Entwicklung gefällt aber schon jetzt nicht allen. In einer Studie warnt eine Forschergruppe rund um die Psychiaterin Eva Hoch vom Klinikum der Universität München davor, dass es zu mehr Fällen der Cannabis Use Disorder, einem pro­ble­ma­ti­schen Konsum, kommen könnte. Wo Cannabis einfacher, sicherer und legal zu erwerben sei, würde der Konsum steigen, wie man in Kanada und den USA sehen konnte. Das wiederum könne zu mehr Suchtproblemen und einem Anstieg von psychischen Krankheiten wie Psychosen führen. Wer in jungen Jahren viel Cannabis konsumiere, könne Entwicklungsstörungen bekommen und neige eher dazu, die Schule abzubrechen.

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Kanada hat bislang keine Hinweise, dass diese Entwicklung zwingend sei. Gesundheitsexperte Hammond stellt jedoch klar, dass verlässliche Aussagen erst in Jahren getroffen werden können. Ersten Studien zufolge nahm der Konsum im ersten Jahr zu, nun hat er sich stabilisiert. Fälle mit problematischen Folgen sind hingegen nicht häufiger geworden. Auch Grünen-Abgeordnete Heitmann sagt: „Die Suchtgefahr ist die gleiche, ob legal oder illegal. Im legalen Bereich kann man aber aufklären.“

Für Bavaria Weed sind die Rahmenbedingungen noch zweitrangig. Hier wird aktuell an der Wirk­optimierung gearbeitet. Während sich bislang in der Wissenschaft auf die Substanzen CBD und THC konzentriert wurde, untersucht Bavaria Weed nun die im Cannabis enthaltenen Terpene, die für verschiedene Effekte sorgen. Diese sekundären Pflanzenstoffe können für verschiedene Wirkweisen sorgen, je nachdem, welche in einer Cannabissorte und durch die Anbauumgebung vorherrschend seien.

Das heißt: Für bestimmte Leiden könnte man spezielle Cannabissorten züchten, etwa solche, die fokussierend wirken, für Menschen, die unter Konzentrations­schwierigkeiten leiden. Oder solche, die beruhigend wirken, etwa für Menschen, die Schlafstörungen haben. Ist die perfekte Pflanze für ein Leiden gefunden, könnte sie geklont werden, um immer die gleiche Wirkung zu erzielen.

„Wir wollen die positiven Effekte besser verstehen“, sagt CEO David Surjo. Aktuell findet eine Patientenbefragung statt, 2022 soll eine Registerstudie erfolgen. Das Ziel: Ärztinnen und Ärzte sollen eine Art Katalog haben, um bei Beschwerden gezielt eine Sorte Cannabis verschreiben zu können. „Jetzt ist das eher ein Ausprobieren“, weiß Surjo. So gibt es Apotheken, etwa die Lux-99-Apotheke in Köln, die Testpakete für neue Patientinnen und Patienten zusammenstellen – damit diese die für sich beste Therapieform finden. „Man weiß, dass es unterschiedliche Wirkungen durch die Terpene gibt. Aber es wurde nie richtig wissenschaftlich untersucht.“

Das ist auch für Reinhard ein wichtiger Punkt: „Die Möglichkeit, sauberes Gras kaufen zu können und mehr Sorten zu probieren, um zu sehen, was schmeckt und was wirkt, ist ein Vorteil.“ Die Rauschwirkung habe für ihn nie im Fokus gestanden. „Cannabis macht das Leben etwas erträglicher“, sagt er.

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Björn Heimühle, Leiter Lager/Logistik bei Bavaria Weed, an der Rationierungsmaschine.

Björn Heimühle, Leiter Lager/Logistik bei Bavaria Weed, an der Rationierungsmaschine.

Noch sind viele Fragen zu klären. Etwa, wer anbauen darf und wie Qualitätsstandards in Lieferketten eingehalten werden können. Oder wer wie viel an wen verkaufen darf. Oder wie regulierend man bei Suchtverhalten, das in den Fachgeschäften auffällt, eingreifen will. Und man müsse über das Alter reden. Im Koalitionsvertrag ist die Abgabe für Volljährige vorgesehen. DHS-Chef Raiser hält 18 für realistisch, vernünftig hingegen wäre 21, sagt er. Und Marion Friers, stellvertretende Geschäftsführerin der Integrativen Drogenhilfe Frankfurt, stellt die Frage, ob man nicht die vulnerabelste Konsumentengruppe von allen, die Jugendlichen, ausschließt, wenn das Mindestalter auf 18 gesetzt wird.

Friers spricht generell von „Kompetenz im Konsum“. Beratungen in Fachgeschäften zu Gebrauch, Auswirkungen und Inhaltsstoffen sollen aufklären. Der bisherige Weg der Prohibition in der Drogenpolitik „hat uns ins Nirwana geführt. Das ist auf allen Ebenen gescheitert“, sagt sie. Ähnliches fordert Raiser: „Regulierung bei der Legalisierung. Es ist wichtig, die Präventions- und Behandlungsangebote auszubauen.“ Das Ziel müsse sein, möglichst wenig Schaden anzurichten, sowohl gesundheitlich als auch sozial. Die Strafverfolgung sei eines der größten Probleme – und sie wirke weniger präventiv als vielmehr als Verstärker bei Suchtproblematiken.

Den Schüler Arne macht das alles trotzdem nachdenklich: Er freue sich, sagt Arne, wenn Cannabis legalisiert werde, schon weil es dann keinen Ärger mehr mit der Polizei gebe. „Ich freue mich, aber ich habe auch Angst. Vielleicht ist das nicht gut für mich.“ Manchmal sei er zu Pausen gezwungen, weil einfach kein Gras da sei. Mit Fachgeschäften ändere sich das. „Dann ist es immer da und immer verfügbar. Es wird schwieriger, dann aufzuhören.“

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