Cum-ex-Skandal: Ist auch der Bundeskanzler verwickelt?
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Hamburg: Blick auf den Eingang der Warburgbank
© Quelle: Daniel Bockwoldt/dpa
In die Cum-ex-Steueraffäre um die Hamburger Warburg Bank kommt wieder Bewegung. Neue Berichte um den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs sollen offenlegen, dass in dessen Schließfach bei der Hamburger Sparkasse ein Geldbetrag in Höhe von 200.000 Euro entdeckt worden sein soll. Das wirft auch Schatten auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Cum-ex-Geschäft – dieser Begriff taucht in den vergangenen Jahren mit erstaunlicher Zuverlässigkeit immer wieder auf. Doch was bedeutet „Cum-ex“ und wie funktionieren Cum-ex-Geschäfte? Das RND gibt einen Überblick.
Wie funktionierten die Cum-ex-Geschäfte?
Es geht um die Kapitalertragssteuer, die Investoren zahlen müssen, wenn sie die jährlichen Ausschüttungen von Aktiengesellschaften überwiesen bekommen. Bei den Cum-ex-Deals mussten sich insgesamt drei Banken absprechen. Die Geldhäuser kauften und verkauften untereinander Aktien, und zwar um den Tag der Hauptversammlungen herum – das ist der Stichtag für die Auszahlung der Dividenden.
Bei den Deals wurden Aktien mit einem Anspruch auf Dividenden („cum“) und ohne diesen („ex“) so hin- und hergeschoben, dass der Eindruck erzeugt wurde, dass die Kapitalertragssteuer zweimal gezahlt wurde und dadurch ein Anspruch auf eine Rückerstattung durch das Finanzamt entstanden war. Tatsächlich wurden aber überhaupt keine Steuern gezahlt. Seit 2012 sind derartige Geschäfte verboten und werden als Straftat verfolgt.
Welche Rolle spielen Kahrs und Scholz in dem aktuellen Fall?
Mittels von Banken vollgezogenen Cum-ex-Geschäften entgingen dem Fiskus – dem Staat als Eigentümer des Staatsvermögens – zwischen 2001 und 2011 Steuereinnahmen von geschätzt 10 Milliarden Euro. Welche Rolle der SPD-Politiker Johannes Kahrs dabei gespielt haben soll, ist Gegenstand der Ermittlungen, die wegen des Verdachts der Begünstigung geführt werden. Kahrs war von 1998 bis 2020 Mitglied des Bundestages und eine Größe in der Hamburger SPD. In der Hansestadt residiert die Privatbank M. M. Warburg, die sich über Cum-Ex-Geschäfte Steuererstattungen in Millionenhöhe ergaunert hat.
Diese Gelder forderte die Finanzbehörde Hamburgs wieder zurück, was das Geldinstitut in den Jahren 2016 und 2017 zu verhindern versuchte. Tagebucheintragungen des damaligen Chefs der Warburg-Bank, Christian Olearius, bestätigen, dass es darüber mit Kahrs mehrfache Gespräche gegeben hatte. Olearius revanchierte sich später, als Privatbankier, mit Spenden an die Hamburger SPD. Allein der Kreisverband Mitte von Johannes Kahrs soll mit rund 38.000 Euro bedacht worden sein.
Olaf Scholz, der heutige Bundeskanzler, war damals Bürgermeister von Hamburg. Scholz räumte ein, der Bankchef habe mehrfach bei ihm um Verständnis für die rechtliche Position der Bank geworben. Vorwürfe, er habe Einfluss auf die Entscheidung der Finanzbehörde ausgeübt, bestreitet Scholz allerdings vehement.
BGH: Schaden beläuft sich auf 50 Milliarden Euro
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte vor etwa zwei Wochen, im Rahmen des Cum-ex-Skandals, die Strafbarkeit der Betrügereien mit Dividendenzahlungen bestätigt. Dieser Vorgang sei letztendlich, so argumentierten die Richterinnen und Richter, Steuerhinterziehung mit Vorsatz. Banken, Anwälte und wohlhabende Investoren hätten damit den Staat um viele Milliarden Euro geprellt. Insgesamt könnte es sich um 50 Milliarden Euro handeln.
Warum hat sich der Bundesgerichtshof mit dem Fall befasst?
Im März 2020 hatte das Landgericht Bonn zwei Ex-Börsenhändler aus London zu Haftstrafen auf Bewährung wegen Steuerhinterziehung und der Beihilfe dazu verurteilt. Zudem musste einer der Anklagten 14 Millionen Euro zurückzahlen. Die in den Skandal verwickelte Privatbank M.M. Warburg wurde sogar dazu verdonnert, 176 Millionen Euro an den Fiskus zu überweisen. Die Beteiligten hatten dagegen Revision eingelegt. Diese wurde nun in allen Punkten vom BGH zurückgewiesen. Das Urteil ist damit endgültig rechtskräftig. Es ist das erste seiner Art im Cum-ex-Skandal.
Welche Bedeutung hat die Entscheidung des BGH?
Bei den Geschäften handelt sich um Steuerhinterziehung und zwar in einer besonders schwerwiegenden Form, das konnte nun klargestellt werden. Die beteiligten Banken und Investoren hatten hingegen immer wieder darauf verwiesen, dass lediglich ein Schlupfloch in den Gesetzen ausgenutzt werde. Das Gericht wies dies mit klaren Worten zurück. Bei Cum-ex sei es nur um „den blanken Griff in die Kasse gegangen, in die alle Steuerzahler normalerweise einzahlen“.
Gibt es noch weitere Verfahren?
Das ist derzeit unklar. Die Finanzwendeaktivisten sprechen von 87 Fallkomplexen mit mehr als 1000 Beschuldigten, die allein von der federführenden Staatsanwaltschaft Köln bearbeitet werden. Der Schaden wird allein bei diesen Cum-ex-Fällen auf rund 10 Milliarden Euro geschätzt. Bei einer weiteren Variante, Cum-Cum genannt, sollen laut der Rechercheplattform Correctiv europaweit die Steuerzahler um weitere 55 Milliarden Euro geprellt worden sein. Davon allein 30 Milliarden Euro in Deutschland.
Wie groß ist das Netzwerk der Betrüger?
Laut Finanzwende sind Wirtschaftsprüfende, zahlreiche Anwältinnen und Anwälte, Universitätsprofessorinnen und -professoren und auch der Bundesverband deutscher Banken, wo im Sommer 2020 eine Razzia durchgeführt wurde, in die Machenschaften verwickelt. Die Initiative wirft insbesondere der Landesregierung von NRW vor, nicht genug Ermittlerinnen und Ermittler bei Steuerfahndung, Polizei und Staatsanwaltschaften zur Verfügung zu stellen, um die große Zahl der höchst komplexen Fälle zu bearbeiten. Zudem stünden sie einer großen Übermacht von hochkarätigen und besser bezahlten Anwältinnen und Anwälten gegenüber.
RND/sz
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