Die späte klare Kante von Scholz
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Der Bundeskanzler Olaf Scholz.
© Quelle: IMAGO/Jens Schicke
Es ist eine bedenkliche Schuldzuweisung des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba. Putins Angriff auf sein Land hätte verhindert werden können, hätte Deutschland vorher nur Waffenlieferungen zugesichert, sagt Kuleba. Es klingt, als würde er Deutschland eine Mitschuld an dem Grauen geben, das Russland in der Ukraine jetzt anrichtet.
Nach dem diplomatischen Fauxpas, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Gegensatz zu vier osteuropäischen Staatsoberhäuptern in Kiew nicht willkommen zu heißen, ist das der nächste unkluge Vorwurf gegen Deutschland, das in den vergangenen Jahren mit Milliardenzahlungen der größte Geldgeber war – und es bleiben wird. Und der Ukraine unzweifelhaft helfen will.
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Im Krieg leidet auch die Diplomatie
In einem hat Kuleba aber völlig recht: In Zeiten des Krieges wird das diplomatische Protokoll oft nicht mit der sonst üblichen Sorgfalt behandelt. Denn eine Regierung, die sich seit sieben Wochen gegen einen barbarischen russischen Überfall stemmt, kann im Überlebenskampf nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und ihre Gefühle im Griff haben. Das sollten der gekränkte Bundespräsident, der zögerliche Bundeskanzler und der wutschäumende SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verinnerlichen.
Ukraine: Zentrum der Hafenstadt Mariupol massiv zerstört
Einige Menschen versuchen in der zerbombten Stadt Mariupol im Osten der Ukraine am Asowschen Meer, weiter zu überleben.
© Quelle: Reuters
Vor den Augen der Welt werden ukrainische Zivilisten, Frauen, Kinder, alte Menschen auf der Flucht durch russische Raketen getötet, Fahrradfahrer werden auf der Straße erschossen, geflüchtete Frauen berichten von Vergewaltigungen, Videokameras in Geschäften filmen Plünderungen von russischen Soldaten. Söhne, Väter, Ehemänner ziehen in den Kampf. Hunderttausende Mütter fliehen mit den Kindern ins Ausland. Dörfer werden plattgemacht, Städte eingekesselt, Wohnviertel zerschossen.
In einer solchen Situation ist es völlig nachvollziehbar, dass die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj vor allem anderen eines fordert: Waffen. Schwere Waffen.
Und Kuleba spricht noch in einer anderen Hinsicht eine bittere Wahrheit aus: Während Scholz nach einem Konsens in der Koalition – vor allem aber in seiner SPD – suchte und nach internationaler Abstimmung strebte, wurden in der Ukraine weiter Menschen getötet. Es wäre falsch zu behaupten, dass das Sterben aufhört, wenn deutsche Schützenpanzer geliefert werden. Aber die Ukrainer könnten sich besser verteidigen, wenn sie mehr Waffen bekommen, schweres Gerät würde ihre Kampfkraft, ihre Durchhaltefähigkeit und ihre Moral stärken.
Olaf Scholz hat mit seiner „Zeitenwendenrede“ kurz nach Kriegsbeginn eine große Rede gehalten. Er wirkte entschlossen und stark. Und hat dann Abgeordnete der eigenen Partei, der eigenen Koalition und viele Menschen in Deutschland, aber vor allem in der Ukraine enttäuscht, weil er mit Worten eine Erwartungshaltung geschaffen hat, für die er erst einmal keine Taten lieferte.
Die Unterscheidung zwischen defensiven Waffen – die liefert Deutschland – und offensiven, schweren Waffen – hier zögert Scholz – erscheint im Lichte der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine müßig. Putin dürfte jederzeit auch jede – defensive – Panzerfaust als Angriffswaffe definieren wollen. Und umgekehrt kann Selenskyj einen – offensiven – Panzer zur Defensivwaffe erklären, weil sein Land überfallen wird und er sich verteidigt – und Russland nicht angegriffen hat.
Am Karfreitagabend kam dann die Meldung, der Kanzler wolle zwei Milliarden Euro für Militärhilfen bereitstellen. Demnach soll das Geld für neues Militärgerät ausgegeben werden. Allein rund 400 Millionen Euro seien für die European Peace Facility vorgesehen, die Waffen für die Ukraine kauft, dazu Ausgaben für die Bundeswehr sowie für Lieferungen an die Ukraine und an Drittstaaten.
Das ist wieder klare Kante. Hätte Scholz früher klüger kommuniziert, wäre die Irritation nicht entstanden. Denn zur Führung, die er für sich reklamiert, gehört eben zu führen. Voranzugehen, den Menschen Sicherheit zu geben, die Koalition zu beruhigen. Das hat er schmerzlich vermissen lassen.