Das Klimaschutzdebakel im Wahlkampf: Warum kann Deutschland nicht wie Harsdorf sein?

Die Gemeinde Harsdorf in Bayern.

Die Gemeinde Harsdorf in Bayern.

Berlin. Eigentlich sollte die Gemeinde Harsdorf für Klimaschützer eher schwieriges Gebiet sein. Sie liegt im fränkischen Hügelland zwischen Bayreuth und Kulmbach. Der Landkreis ist tiefschwarz, die CSU kann hier nicht verlieren. Knapp 1000 Menschen leben im Ort nahe der Autobahn 70. Politisch ist der Gemeinderat übersichtlich aufgestellt: Es gibt eine CSU-Liste (fünf Gemeinderäte), Freie Wähler (vier) und die SPD (drei). Grüne gibt es hier nicht. Günther Hübner, 65 Jahre alt, pensionierter IT-Experte, ist seit 13 Jahren Bürgermeister. Und in der CSU. Die meisten Harsdorfer pendeln, die Mehrheit nutzt dafür das Auto.

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Harsdorf ist also ein Ort wie Tausende andere in Deutschland. Ländlich geprägt, tief in der Provinz und dennoch nah an Städten. Keine „abgehängte Region“, sondern mittendrin. Und natürlich ein Ort für Eigenheimbesitzer mit automobiler Lebensweise, trotz Regionalbahnhof. Ist ausgerechnet Harsdorf ein Ort, der die Energiewende vorantreiben kann?

Überraschung: Ja.

Gemeinderat beschließt Klimaschutzerklärung einstimmig

Im Juni beschloss der Gemeinderat eine Klimaschutzerklärung, einstimmig. „Der Klimawandel ist wissenschaftlicher Konsens“, beginnt sie. „Er ist vom Menschen verursacht und gefährdet die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen.“ Dann wird es konkreter: „Der Klimawandel ist auch in Oberfranken messbar. Jeder von uns hat sicherlich noch die Sommer 2018 und 2019 im Kopf. Die Temperaturerhöhung in unserer Region ist größer als im globalen Durchschnitt. Die höheren Temperaturen und die veränderten Niederschlagsmuster bedrohen unsere über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft.“ Und schließlich: „Auch wenn Harsdorf nur eine sehr kleine Gemeinde ist, fällt uns eine Verantwortung zu.“

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Tatsächlich hat das Jahr 2021 den Klimawandel in bitterer Weise plastisch gemacht – nicht nur bei leidenschaftlichen Umweltschützern. Bei der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli starben nach derzeitigem Stand alleine in Deutschland mehr als 180 Menschen. Die Flut verursachte Sachschäden in Milliardenhöhe.

An der kanadischen Pazifikküste stiegen die Temperaturen Anfang Juli auf fast 50 Grad Celsius. Verheerende Waldbrände wüteten unter anderem in Sibirien und Griechenland. Und Deutschland diskutierte im Wahlkampf vor allem darüber, was Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet bei einem Besuch im Flutgebiet so witzig fand.

Klimadebatten im Fernsehen kreisten um Entscheidungen der Vergangenheit wie dem Braunkohlekompromiss. Und als nichts mehr half, ließ sich Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock in einem toten Wald im Harz filmen – wohl um die tief sitzende deutsche Angst vor dem Waldsterben hervorzurufen. Ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck bilanzierte missgelaunt: „Irgendwas war nicht richtig in diesem Wahlkampf.“

Klimaschutz war großes Wahlkampfthema

Der Klimaschutz war das große Thema des Wahlkampfes – und doch wollte keine Partei so richtig darüber reden, was daraus folgt.

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Dabei steht die nächste Bundesregierung vor einer Herkulesaufgabe. Nicht nur, weil die Herausforderungen der Klimakrise immens sind, sondern auch, weil der Wahlkampf eher dafür geeignet war, die Gräben zu vertiefen. Die zwischen den Parteien, und die zwischen Stadt und Land.

Beispielhaft hierfür ist der krachlederne Wahlkampfsatz von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt: „Wer der Meinung ist, sein Kreuz bei den Grünen zu machen, obwohl er vom Land stammt, der kann gleich seinen Autoschlüssel in die Wahlurne hinterherwerfen.“ Und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet sagte im „Mitteldeutschen Rundfunk“ schlicht: „In Berlin-Mitte steht kein Windrad.“ Das Land wird verspargelt, damit die Städter mit ihren E-Autos herumfahren können, so die Botschaft.

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Gegensätze zwischen Stadt und Land scheinen aufgehoben

Dabei sind die Menschen in manchen Gegenden offenbar schon weiter. Im fränkischen Harsdorf etwa scheinen die Gegensätze zwischen Stadt und Land und auch zwischen Autofahrern und Klimaschützern in diesem Katastrophensommer ein Stück weit aufgehoben. Die Klimaschutzerklärung soll erst der Anfang sein.

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Bürgermeister Hübner erklärt im Gemeindebrief, man habe die Erklärung nicht etwa deshalb verabschiedet, „weil wir uns wichtigmachen wollen, sondern weil wir zusammen mit Ihnen Veränderungen durchsetzen möchten, damit künftig eine gute dezentrale Stromversorgung zur Verfügung steht, und um Anpassungen im Gebäudebereich zu erreichen“.

Günther Hübner (CSU) ist seit 13 Jahren Bürgermeister von Harsdorf.

Günther Hübner (CSU) ist seit 13 Jahren Bürgermeister von Harsdorf.

Im Gespräch erzählt der Bürgermeister zum Beispiel vom Windrad, das seit 20 Jahren direkt neben dem Autobahndreieck steht und nun das Ende des Förderzeitraums erreicht. Wie viele im Ort hat sich auch Hübner finanziell daran beteiligt, als er noch nicht Bürgermeister war. Die Anlage dürfe nicht vom Netz genommen werden, das wäre „volkswirtschaftlich wie auch ökologisch Unsinn“, steht in der Erklärung.

Harsdorf will weitere Windräder errichten

Und Harsdorf will zwei weitere Windräder auf einem Höhenzug errichten. Der Regionalplan der Bezirksregierung steht dem entgegen, er sieht Windvorrangflächen erst ab drei Windrädern vor. Es sind vor Ort oft die kleinteiligen Regeln und Verordnungen, die es dem Klimaschutz schwer machen.

Hier in Oberfranken kämpfte Enoch Freiherr zu Guttenberg, der 2018 verstorbene Vater des Ex-CSU-Politikers Karl-Theodor, jahrelang gegen den „Windkraft-Wahn“ und die „Verspargelung“ der Kulturlandschaft. Bürgermeister Hübner sieht das pragmatischer. Ja, die großen Windparks, an denen er auf der Autobahn 9 Richtung Leipzig und Berlin vorbeifährt, findet er auch nicht schön. „Aber es ist doch keine Verspargelung der Landschaft, wenn hier und dort mal zwei, drei Windräder stehen.“

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Und auch die bayerische 10-H-Regel, nach der neue Windräder das Zehnfache ihrer Höhe von der nächsten Wohnbebauung entfernt sind, sehen die Harsdorfer skeptisch. „Trotz des geringen Abstands zur Wohnbebauung erfreut sich die Anlage einer hohen Akzeptanz“, steht über das alte Windrad in der Klimaerklärung.

Praktisch, keine Ideologie

„Dezentrale Stromversorgung wird in der Zukunft immer wichtiger“, sagt Hübner. „Wir brauchen gesicherte Netze. Es kommen ja ständig neue Verbraucher hinzu.“ Damit meint er unter anderem die E-Autos, von denen es auch in Harsdorf immer mehr gibt. Die Pendelentfernungen nach Bayreuth und Kulmbach sind nicht groß, im Carport können die Autos nachts geladen werden – das ist eben praktisch, dahinter steckt keine Ideologie.

Auch Stefan Holzheu besitzt ein E-Auto. Die zehn Kilometer zu seiner Arbeit fährt er aber meist mit dem Rad. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Ökologie und Umweltforschung, hat zu Infraschall und Auswirkungen von Windkraft geforscht. Vor Kurzem erhielt er den Sepp-Daxenberger-Preis der bayerischen Grünen, weil er nachgewiesen hat, dass die Berechnung der Infraschallbelastung durch Windkraftanlagen fehlerhaft und viel zu hoch ist. Mögliche Gesundheitsschäden durch Schallbelastung im nicht hörbaren Spektrum galten lange als Hauptargument von Windkraftgegnern.

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Holzheu spendet für gemeindliche Solaranlage

Das Preisgeld spendete Holzheu für die erste gemeindliche Solaranlage in Harsdorf, die auf dem Dach des neuen Feuerwehrhauses entstehen soll. Im Gemeinderat sitzt er als Parteiloser für die SPD-Liste. „Klimaschutz ist extrem mühsame Basisarbeit“, sagt er. „Und da hilft so eine einstimmig verabschiedete Klimaschutzerklärung.“

Viele Menschen, auch in Harsdorf, hätten Angst vor den Veränderungen. Die Erklärung helfe, das Thema anders anzugehen: „Unsere Gemeinde verpflichtet sich damit, die Punkte in den Blick zu nehmen, die sie beeinflussen kann. Wir brauchen Energie, wir haben geeignete Standorte für Windenergieanlagen, also setzen wir uns dafür ein, dass diese genutzt werden.“

Holzheu und Hübner werden ihre Stimmen bei der Bundestagswahl vermutlich unterschiedlichen Parteien geben. Was den Wahlkampf angeht, sind sich die beiden jedoch einig: Die Chance, pragmatisch über Klimaschutz zu sprechen, haben alle Parteien vertan. „Der Wahlkampf wurde von Nebensächlichkeiten geprägt, nicht von Inhalten“, sagt Hübner.

Auf die Klimastreiks von Fridays for Future schaut der CSU-Senior mit Verständnis, aber auch Skepsis: „Die Jugend fordert eine Vollbremsung. Das ist verständlich. Aber eine Vollbremsung können wir uns nicht leisten. Wir müssen der Jugend aber mit konkreten Maßnahmen zeigen, dass etwas vorangeht.“ Vielleicht steht beim nächsten Klimastreik ein neuer Slogan auf den Transparenten: „Schafft zwei, drei, viele Harsdorfs“, könnte er lauten.

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