Das Mali-Dilemma der Bundeswehr – ein Überblick

Ein Soldat der Bundeswehr steht am Flughafen nahe des Stützpunktes in Gao im Norden Malis.

Ein Soldat der Bundeswehr steht am Flughafen nahe des Stützpunktes in Gao im Norden Malis.

Nach dem Abzug aus Afghanistan ist der Einsatz der Bundeswehr in Mali ihr mit Abstand größter – und auch ihr gefährlichster. Nun verlieren die deutschen Soldatinnen und Soldaten auch noch ihre wichtigste Rücken­deckung: Denn Frankreich, die tragende Militär­macht des internationalen Engagements, will sich aus dem westafrikanischen Land zurückziehen.

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Aus dem französischen Abzug folgt aber nicht automatisch auch der deutsche. Die internationalen Missionen, an denen die Bundes­republik beteiligt ist, sind vom französischen Abzug nicht betroffen. Aber die schon lange gärenden Zweifel am Mali-Einsatz werden vom „Adieu“ aus Paris schlagartig verstärkt. Denn spätestens seit dem Debakel in Afghanistan, wo die radikal­islamischen Taliban noch während des laufenden Nato-Abzugs die Macht übernahmen, steht die Frage im Raum: Wie soll dem Westen in Mali gelingen, was er in Afghanistan in zwanzig Jahren nicht schaffte?

Rund 1350 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind in Mali stationiert. Was Todes­opfer anging, kam die Bundeswehr bisher zwar glimpflich davon: Unter den 268 UN-Soldaten, die in Mali ihr Leben ließen, sind nur zwei Deutsche. Sie starben 2017 bei einem Helikopter­absturz aufgrund eines technischen Defekts. Aber oft genug war es knapp. Erst Anfang Dezember wurde ein Bundeswehr­camp nahe der Stadt Gao mit Steilfeuer angegriffen. Tote oder Verletzte gab es nicht, aber die Bundeswehr ist eindeutig in der Schusslinie.

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Das Parlaments­mandat für den Einsatz läuft Ende Mai aus. Bis spätestens dann muss der Bundestag eine Entscheidung treffen, ob die Bundeswehr raus soll aus Mali, oder ob es sich lohnt, weiterzumachen.

Zeit für einen Crashkurs: Wie kam es zum Einsatz in Mali? Was will die Bundeswehr dort? Und wie erfolg­versprechend ist dieses Engagement?

Wie kam es zum Mali-Einsatz?

Anfang 2012 überrannte eine Allianz aus Tuareg und Dschihadisten den Norden Malis. Es war ein reines Zweck­bündnis: Die Tuareg, Berbernomaden aus der Sahara, strebten nach Unabhängigkeit von der Zentral­macht, die Dschihadisten nach einem extremistischen Scharia­staat. In den geplünderten Arsenalen des 2011 gestürzten libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi hatten sie sich mit schweren Waffen ausgerüstet. Dadurch war das Kräfte­gleichgewicht zu ihren Gunsten gekippt.

Mitten in diesem Chaos meuterte das malische Militär in der südlichen Hauptstadt Bamako. Der seit 2002 regierende demokratisch gewählte Präsident Amadou Toumani Touré wurde gestürzt. Es folgte eine turbulente Phase mit wechselnden Regierungen. Eine derart geschwächte Zentral­macht konnte den Kämpfern im Norden nicht mehr viel entgegensetzen. Die drohten nun, nach Süden vorzudringen und ganz Mali zu erobern. Die Gefahr einer Macht­übernahme durch Extremisten zeichnete sich ab.

Daher griff Anfang 2013 die frühere Kolonial­macht Frankreich ein – auf Bitten der malischen Regierung und ausgestattet mit einem UN-Mandat. Französische Truppen drängten die Angreifer im Norden zurück und bewahrten so die Regierung vor dem Sturz.

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Frankreich setzte sich anschließend für ein multilaterales Engagement in Mali ein. So kamen mehrere internationale Einsätze zustande. Der wichtigste ist Minusma, eine UN-Friedens­mission, die das Land mit bewaffneten Truppen stabilisieren soll. Im Rahmen der EU-Mission EUTM werden die malischen Streit­kräfte ausgebildet. Außerdem sind in Mali Truppen der Afrikanischen Union und der sogenannten G-5-Sahel präsent. Zu letzteren gehören neben Mali noch Mauretanien, Burkina Faso, Niger und der Tschad.

Die Bundeswehr nimmt an Minusma und EUTM teil. Dazu muss man wissen: Frankreich hatte seinen Antiterroreinsatz in den Missionen „Barkhane“ und „Takuba“ zusätzlich auf die gesamte Sahelregion ausgeweitet – von Mauretanien im Westen bis zum Tschad im Osten. Nur diese regionalen Missionen hat Paris jüngst aufgekündigt. Minusma und EUTM sind davon erst einmal unberührt.

Was sind die Ziele des Bundeswehr­einsatzes in Mali?

Die Ziele des internationalen Engagements lassen sich in drei Aspekten zusammenfassen:

  1. Sicherheit: Der malische Staat und seine Streitkräfte sollen in die Lage versetzt werden, selbst die Gewalt im Land zu beenden und für Frieden zu sorgen.
  2. Terrorismus­bekämpfung: Sicherheit ist die Vorbedingung für wirtschaftliche Entwicklung, und beides zusammen soll dem Terrorismus den Nährboden entziehen.
  3. Demokratie: Eine gewählte Regierung, die alle Bevölkerungs­teile an wirtschaftlicher Entwicklung und politischen Entscheidungen teilhaben lässt, soll langfristig den Frieden in Mali garantieren.

Doch nach acht Jahren Einsatz ist das Resümee ernüchternd. Gemessen an den gesteckten Zielen wurde keines auch nur annähernd erreicht: Die Sicherheitslage ist desolat, der Terror breitet sich aus, die Demokratie scheint ferner denn je.

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Aber der Reihe nach.

Ziel 1: Sicherheit – Die Lage hat sich trotz Einsatz massiv verschlechtert

Obwohl internationale Truppen in Mali zu Tausenden präsent sind, hat die Gewalt im Land seit 2017 massiv zugenommen. Dschihadisten sind auf dem Vormarsch und beuten lokale Konflikte aus, die immer wieder zu Massakern an Zivilisten führen.

Frankreichs Militär hatte 2013 zwar islamistische Kämpfer aus den Städten im Norden vertrieben. Aber inzwischen sind die Radikalen aus dem Untergrund zurückgekehrt. Im Norden und im Zentrum Malis entstand die größte Vereinigung dschihadistischer Gruppen: die Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM), die der Al-Kaida die Treue schwört. Im Osten Malis, am Dreiländereck mit Burkina Faso und Niger, gründete sich ein Ableger des IS, der „Islamische Staat in der Großsahara“ (ISGS). Die beiden Terror­verbände kämpfen nicht nur gegen den Staat und diverse Milizen, sondern bekriegen sich auch untereinander.

Für einen Friedens­prozess sind die Dschihadisten nach Ansicht vieler Beobachter mittlerweile unentbehrlich. Die malische Regierung verkündete im Oktober 2021, Verhandlungen mit der JNIM aufnehmen zu wollen, nur um kurz darauf wieder zurück­zurudern. Denn Frankreich sperrt sich strikt gegen Gespräche mit Dschihadisten. Wenn aber die französischen Truppen weg sind und keine Rücksicht mehr auf Befindlichkeiten in Paris mehr genommen werden muss, dürfte sich für die Machthaber in Bamako ein neuer Anreiz bieten, mit den Extremisten zu reden.

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Ziel 2: Terrorismus­bekämpfung – Der malische Staat nährt den Dschihadismus

Nach der Logik des internationalen Einsatzes soll der malische Staat für Sicherheit sorgen, um den Dschihadisten den Nähr­boden zu entziehen. Tatsächlich aber passiert oft das genaue Gegenteil. Zeigen lässt sich das am Beispiel der Konflikte zwischen den Volksgruppen der Dogon und der Fulbe in der Region um Mopti.

Die Fulbe sind mehrheitlich Viehzüchter und Muslime, die Dogon überwiegend Hirsebauern und Anhänger traditioneller afrikanischer Religionen. Wieder­kehrende Dürren machten den Fulbe schwer zu schaffen und dezimierten ihre Weidegründe. Die Regierung in Bamako scherte sich wenig darum. Als der Druck einer wachsenden Bevölkerung die Dogon dazu trieb, Acker­flächen in den Weide­gebieten der Fulbe zu erschließen, verschärften sich die Konflikte um die Land­nutzung.

Diese Konflikte nutzten die Dschihadisten. Sie töteten Führungs­figuren der Dogon, deren afrikanische Religion sie als unislamisch brand­marken. Dazu konnten sie, mit dem Islam als Mobilisierungs­kraft, wütende junge Fulbe-Männer rekrutieren. Die Dogon wiederum gründeten Milizen zur Selbst­verteidigung, griffen dann aber wahllos Fulbe an, die sie pauschal als Dschihadisten stigmatisierten.

Auf diese Dogon-Milizen stützt sich der malische Staat in seinem „Antiterrorkampf“. Dadurch wurde er mehrfach zum Mittäter bei Massakern an Fulbe. Das trieb die Fulbe erst recht den Dschihadisten zu – schon allein, um sich zu schützen.

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Ziel 3: Demokratie – Der Einsatz stützt ein korruptes und autoritäres Regime

Auch die Hoffnungen auf eine Rückkehr zur Demokratie haben sich zerschlagen. Nach zwei Militärputschen binnen eines Jahres, zuerst im August 2020 und dann noch mal im Mai 2021, scheint sie ferner denn je. Angesichts einer durchweg korrupten Elite und einem weitverbreiteten Misstrauen gegen den Staat hatten Teile der Bevölkerung die Macht­übernahme durch das Militär sogar begrüßt. In der Hauptstadt Bamako gingen die Menschen 2020 nicht gegen, sondern für den Putsch auf die Straße. Beim zweiten Mal war die Euphorie für das Militär allerdings weit geringer.

Ein Termin für Wahlen war eigentlich für Ende Februar 2022 angesetzt. Den hat die regierende Junta aber verschoben – um bis zu fünf Jahre. Wegen der Verzögerung des Demokratisierungs­prozesses haben die EU und die west­afrikanische Staaten­gemeinschaft Ecowas bereits Sanktionen gegen Mali verhängt. Davon zeigte sich die dortige Regierung aber unbeeindruckt.

Und auch sonst lässt sie sich kaum die Agenda diktieren. In der gegenwärtigen Lage hat sie sich ganz gut eingerichtet. Den Westen sieht die malische Regierung eher als Ressourcen­lieferant und als Garant der eigenen Macht. Unterstützung nimmt sie, von wo sie eben kommt. Dazu passt auch, dass sie russische Söldner der berüchtigten Gruppe Wagner angeheuert haben soll. Und Russland fragt bekanntlich nicht nach Menschen­rechten und Demokratie.

Das Mali-Dilemma

Der Einsatz der internationalen Gemeinschaft in Mali muss daher auf ganzer Linie als gescheitert gelten. Soll die Bundeswehr – sollen die internationalen Truppen – nun also raus aus Mali, um nicht die Fehler aus Afghanistan zu wiederholen?

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Ganz so einfach ist es nicht. Natürlich kann man auf die Erfahrungen in Afghanistan schauen. Aber welche Lehre zieht man daraus? Denn eigentlich lehrt der Einsatz am Hindukusch ja zweierlei: Einerseits ist es in zwanzig Jahren nicht gelungen, dem radikalen Islamismus den Boden abzugraben, und erst recht wurde aus Afghanistan keine Demokratie. Andererseits aber hat der überstürzte Abzug zur Macht­übernahme der Taliban geführt – mit allen traurigen Folgen für die Menschen dort und mit noch unabsehbaren Folgen für die übrige Welt.

Dieses Dilemma spiegelt sich jetzt in der Entscheidung über Mali: Bleibt man dort, verstrickt man sich vielleicht für lange Zeit in einem Einsatz mit unerreichbaren Zielen, hält eine korrupte Elite an der Macht und riskiert dafür Leib und Leben der Soldatinnen und Soldaten. Zieht man aber ab, drohen Staats­zerfall und Chaos oder eine Macht­übernahme durch radikale Islamisten – möglicherweise auch beides zugleich.

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