Spanien: Der beschädigte Rechtsstaat
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Spanien: Haupteingang des spanischen Parlaments Congreso de los Diputados.
© Quelle: picture alliance / Daniel Kalker
„Irgendwas muss getan werden“, sagte ein ratloser Didier Reynders, EU-Justizkommissar, vor ein paar Wochen am Ende eines längeren Interviews mit der Madrider Zeitung „El Mundo“. Wenn es keine Fortschritte in der Sache gebe, „werden wir alle Instrumente nutzen“.
Neuwahl des Justizrates seit Jahren blockiert
Die Sache, um die es geht, ist die seit Jahren blockierte Neuwahl des spanischen Justizrates, dem obersten Selbstverwaltungsorgan der Judikative. Welche rechtlichen oder finanziellen Instrumente die EU-Kommission nutzen wird, um Spanien bei der Rückkehr zum Rechtsstaat auf die Sprünge zu helfen, steht dahin, aber die Botschaft beginnt im Lande durchzusickern: „Was die Unabhängigkeit der Justiz angeht, sind wir sichere Kandidaten für den Club der hoch verdächtigen Länder, gemeinsam mit Ungarn und Polen“, schrieb am Freitag ein Kolumnist, Ignacio Varela, in der Netzzeitung „El Confidencial“.
Der 21-köpfige „Allgemeine Rat der Judikative“ (CGPJ) hat nach seiner Selbstbeschreibung die Aufgabe, „die Unabhängigkeit der Richter bei der Ausübung ihrer juristischen Funktion gegenüber allen zu garantieren“. Gegenüber allen, das heißt vornehmlich: gegenüber politischer Einflussnahme.
Rat wird vom Parlament gewählt
Der Justizrat selbst wird aber – mit Dreifünftelmehrheit – vom Parlament gewählt, und bei dieser Wahl nehmen die Parteien Einfluss, wie sie können. Durchaus mit gutem Gewissen: denn die Parlamentarier sind schließlich die „Repräsentanten der Souveränität des Volkes“. So steht es im 2013 zu Zeiten der konservativen Rajoy-Regierung reformierten Justizrat-Gesetz. Das ist deswegen bemerkenswert, weil die konservative Volkspartei (PP), die seit 2018 in der Opposition sitzt, heute stoisch die Erneuerung des Justizrates blockiert – unter anderem mit dem Argument, dass das ganze Wahlverfahren reformiert gehöre, um die Unabhängigkeit des Gremiums zu gewährleisten.
Whatsapp-Nachricht ließ geplante politische Einflussnahme vermuten
Der Ärger begann vor vier Jahren mit Ignacio Cosidó. Der damalige PP-Senator und frühere Chef der spanischen Polizei verschickte am 17. November 2018 eine Whatsapp-Nachricht an seine Fraktionskollegen, in der er ihnen die gerade mit den Sozialisten erreichte Einigung über die Zusammensetzung des neuen Justizrates schmackhaft machte.
Präsident sollte der als konservativ geltende Richter Manuel Marchena werden. Damit wäre Marchena auch automatisch Präsident des Tribunal Supremo – des Obersten Gerichtshofes – geworden, wo er die „zweite Kammer von hinten kontrollieren“ könnte, schrieb Cosidó in seiner Nachricht. Die zweite Kammer des Tribunal Supremo ist für Strafsachen zuständig, also potenziell auch für große politische Korruptionsverfahren, von denen die PP besonders viele über sich ergehen lassen musste.
Weil Manuel Marchena nicht im Rufe stehen wollte, ein williges Instrument der PP zu sein, legte er seine Kandidatur nieder. Seitdem haben sich PP und Sozialisten auf keine neue Justizrat-Liste mehr einigen können, weswegen der alte Rat weiter amtiert, allerdings mit eingeschränkten Funktionen.
Die im Laufe der Jahre freigewordenen Richterstellen am Tribunal Supremo – mittlerweile 19 – darf er nicht mehr neu besetzen, wie es eigentlich seine Aufgabe wäre. Das haben die regierenden Sozialisten aus Ärger über die PP-Blockade beschlossen. Zwei Stellen am Verfassungsgericht soll der Justizrat aber nun doch besetzen, weil das der Sánchez-Regierung entgegenkäme. Alles geschieht am Rande der Rechtsstaatlichkeit. Irgendwas muss getan werden.
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