Deutsch-russisches Verhältnis: Scholz muss reden
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/FAKGDHF5CNG2FKQH72AO4R7Q2I.jpg)
Olaf Scholz bei der Kabinettsitzung der Bundesregierung am Mittwoch.
© Quelle: imago images/Bildgehege
Berlin. Die eine bohrende Frage ist beantwortet. Wo Olaf Scholz ist, kann man seit dem Start seiner Reise- und Gesprächsdiplomatie in Washington zu Wochenbeginn beobachten. Bis er am nächsten Dienstag in Moskau eintrifft, gibt es täglich Informationen über die deutschen Bemühungen um Deeskalation im Ukraine-Konflikt mit Russland.
Der Bundeskanzler ist zwei Monate nach Amtsübernahme im Bemühen um eine Friedenslösung auf der internationalen Bühne angekommen.
Die Klärung der anderen Frage ist schwieriger. Olaf Scholz hat es mit seinen Ausweichmanövern so weit getrieben, dass viele Bürgerinnen und Bürger zwar inzwischen auf Knopfdruck sagen können, was sich hinter Nord Stream 2 verbirgt, aber rätseln müssen, warum der Kanzler es partout nicht in den Mund nehmen will. Er vermittelt zwar den Eindruck, dass das Milliardenprojekt Nord Stream 2 im Falle eines Angriffs von Russland auf die Ukraine zu den Sanktionen gehören wird. Aber er sagt es nicht.
Nord Stream 2: Synonym für Verwerfungen und Beziehungen
Diese russisch-deutsche Ostsee-Gaspipeline war von Anfang an umstritten. Die USA und die EU-Kommission haben jahrelang gewarnt, Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas werde damit gefährlich groß. Und zwar von einem Staat, der nichts mit westlichen Werten zu tun haben will, wo Journalisten ermordet und Oppositionelle vergiftet werden und Freiheit für die Menschen als Bedrohung empfunden wird.
Die Grünen beklagten mangelnden Klimaschutz, und die Ukraine fürchtete um Einnahmen für Durchleitungsrechte über ihr Staatsgebiet, wenn das Gas aus Russland an der Ukraine vorbei nach Deutschland transportiert wird.
Angela Merkel handelte schließlich kurz vor Ende ihrer Amtszeit mit US-Präsident Joe Biden noch aus, dass die USA ihren Widerstand gegen Nord Stream 2 aufgeben und Deutschland dafür Sanktionen gegen die Pipeline im Fall der Fälle zusichert. Warum also sagt Scholz das nicht?
Nord Stream 2 ist ein Synonym für internationale Verwerfungen, Streit in der SPD, gnadenlosen russischen Gaslobbyismus von Altkanzler und Ex-SPD-Chef Schröder. Aber Nord Stream 2 steht auch – man darf es nicht vergessen – für zuverlässige deutsch-russische Wirtschaftsbeziehungen. Ob Kalter Krieg oder Rauswurf Moskaus aus der G8-Gruppe der führenden Wirtschaftsnationen wegen der Annexion der Krim – Russland hat immer Gas geliefert. Und es gab auch einmal so etwas wie deutsch-russische Freundschaft.
Das Thema ist komplex – Scholz muss es erklären
Vielleicht will Olaf Scholz der klaren Kante von Biden („Nord Stream 2 wird es bei einer russischen Invasion in die Ukraine nicht mehr geben“) nicht wortwörtlich folgen, weil er letzte Türen zu Russland offenhalten will. Aber dann müssten die Menschen von ihm auch erfahren, welchen Wert ein gutes Verhältnis mit Russland für Deutschland, Europa und die Welt hat – vielmehr hätte. Er müsste an die Bruchstellen zurückgehen, wann und warum das zu Schröders Zeiten gut funktionierende und unter Merkel respektierte deutsch-russische Verhältnis zu zerfallen begann.
Wie bei so vielen anderen hochkomplexen Themen ist Erklärung nötig. Gibt es für die Bundesregierung das Versprechen der Nato, sich nicht nach Osten auszudehnen oder nicht? Schriftlich ist das nicht fixiert worden, aber der russische Präsident Wladimir Putin behauptet es immer wieder. War es ein Fehler nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts mit Russland kein neues Militärbündnis zu gründen?
Was Deutschland nicht gebrauchen kann, sind Schröders russlandtreuen Querschüsse. Er zwingt seine SPD damit, sich von ihm zu distanzieren, was dann wiederum immer auch nach Distanz zu Moskau aussieht. Der von der russischen Energiewirtschaft wahrscheinlich üppig bezahlte Schröder sollte schweigen. Und Scholz sollte reden.