Die verrückte Sucht nach Schönheit

Lisa Herkner, Instagram Pofil "lisacouture", Protagonistin der Blickpunkt zu 26.10.2019

Lisa Herkner, Instagram Pofil "lisacouture", Protagonistin der Blickpunkt zu 26.10.2019

In dem Moment, als Lisa Herkner kapituliert, sitzt sie vor dem Laptop und guckt Youtube-Videos. Sie sieht Frauen, die erzählen, wie ihre Brustimplantate sie krank gemacht haben, und die damals 20-Jährige fühlt in sich hinein. Auch sie hat Implantate. Und plötzlich versteht sie: Das ist nicht normal. Diese Schmerzen im ganzen Körper, ständig dieses „fremde“ Gefühl, das etwas in ihrem Körper steckt. „Ich sah krank aus“, sagt sie heute. „Ich war blass, hatte Augenringe und Haarausfall. Ich war überhaupt nicht mehr ich selbst.“

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Lisa Herkner war 18 Jahre alt, als sie sich die Brust vergrößern ließ. Körbchengröße D. Warum? Sie stand vor dem Spiegel im Fitnessstudio, schaute sich an und verglich sich mit ihren Idolen von Facebook und Instagram. Vermeintlich makellose Mädchen mit Modelmaßen, mit glatter, gebräunter Haut, mit Kurven. „Ich wollte zu diesem Idealbild gehören, möglichst perfekt sein.“ So kurzfristig wie der Entschluss verlief auch die Operation, in einer Praxis auf dem Berliner Ku’damm. Man könne einen besonders günstigen Preis anbieten, hieß es dort, weil man so große Mengen an Implantaten einkaufe. Es ist das Discounterprinzip. „Ich war zu Beginn natürlich happy, merkte aber immer mehr, dass ein D-Körbchen überhaupt nicht zu meinem zierlichen Körper passte.“ Lisa Herkner ist 1,56 Meter groß. Am Ende war ihr Körper klüger als sie selbst. „Heute denke ich mir, du warst einfach nur blöd.“

Lisa Herkner hat ihre Leidensgeschichte bei Instagram öffentlich gemacht. Die Krankenpflegerin und Bloggerin hat als „lisacouture“ knapp 70.000 Instagram-Follower. Sie will anderen Mut machen – und sie warnen. Denn immer mehr junge Menschen wünschen sich Schönheitsoperationen. Nase verkleinern, Brüste vergrößern, Fett absaugen. Das Ziel ist, die digitale Ästhetik des Selfiebooms auch in der Realität zu erreichen. Manche Mädchen kommen schon mit bearbeiteten Selfies in die Praxen, berichten Ärzte. Es gibt sogar entsprechende Fotofilter namens Plastica oder Bad Botox, die Nutzerinnen so aussehen lassen, als hätten sie schon etwas machen lassen – inklusive der schwarzen Markierungen, die ein Schönheitschirurg vor einem Eingriff auf die Problemzonen zeichnet. Instagram hat in diesen Tagen entschieden, diese Effektfilter zu entfernen. Man wolle die „bestehenden Richtlinien zugunsten der psychischen Gesundheit der Nutzerinnen“ anpassen.

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Von einer zunehmenden Enttabuisierung ästhetischer Eingriffe spricht auch Maria Boyce. Sie ist Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie am Medical-One-Schönheitszentrum Stuttgart – eine von 18 Privatkliniken der Kette deutschlandweit. „Eine immer jüngere Klientel befasst sich mit Schönheit und Optimierung“, sagt Boyce. Gerade in sozialen Medien werde suggeriert, dass es fast normal sei, sich operieren zu lassen. Aber: „Eine OP kann lebenslange Narben bedeuten und bei Komplikationen einen langen, traumatisierenden Verlauf nehmen. Das ist eine beängstigende Entwicklung.“

„Du bist o.k., genauso, wie du bist“

Auch deshalb will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Werbung für Schönheits-OPs, die sich speziell an Minderjährige richtet, verbieten lassen. „Das Signal unserer Gesellschaft an junge Menschen muss sein: Du bist o.k., genauso, wie du bist“, hatte der CDU-Politiker vergangene Woche dem „Tagesspiegel“ gesagt. Zu oft vermittle Werbung für Schönheits-OPs falsche Botschaften und setze Jugendliche unter Druck. Bisher ist Werbung für Schönheits-OPs in Deutschland nur verboten, wenn sie sich „ausschließlich oder überwiegend“ an Kinder unter 14 Jahren richtet. Generell ist sie untersagt, wenn sie Vorher-nachher-Vergleiche solcher Eingriffe zeigt. In der Praxis wird Spahns Forderung wohl auf einen kompletten Werbestopp hinauslaufen. Schließlich kann Werbung kaum so gezielt gesteuert werden, dass sie nicht doch Minderjährige im Internet erreicht. Im Zweifel könnte das die Anbieter teuer zu stehen kommen. Es drohen hohe Strafen und Schmerzensgeldforderungen, wenn eine Operation misslingt.

Das Werbeverbot geht vielen aber nicht weit genug. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), Lukas Prantl, sagt: „Man muss viel weitsichtiger regulieren.“ Der Verband fordert schon lange eine rechtliche Regelung, die Patienten vor Behandlungen durch nicht qualifizierte Ärzte schützt. Eine Facharztausbildung solle für Schönheitschirurgen endlich verpflichtend sein, genauso die Mitgliedschaft in einem Fachverband. „Gesellschaften wie die DGPRÄC sichern die Qualität der Branche“, sagt Prantl, „Mitglieder unterliegen einem Verhaltenskodex, wir haben einen Ethikrat und geben Empfehlungen zum seriösen Gebrauch von sozialen Medien heraus.“

Soziale Medien werden auf perfide Art und Weise als Werbeplattform für Schönheitskliniken genutzt. Influencer-Sternchen, C-Prominente und Ex-Bachelor-Kandidatinnen nehmen ihre Follower buchstäblich mit in die Praxis, berichten in Videos von ihren Eingriffen – und bekommen dafür dicke Rabatte von den Ärzten. So erreicht die Werbung genau die Zielgruppe, die Jens Spahn besser schützen will. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert schon seit Jahren ein generelles Verbot von Schönheitsoperationen für Minderjährige. Dem gegenüber steht aber das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht, erklärt der Berliner Rechtsanwalt Jürgen Rodegra, der sich unter anderem auf Arzthaftungsrecht spezialisiert hat. „Ein generelles Verbot würde über das Ziel hinausschießen“, meint er und weist auf den großen Graubereich von sinnvollen, aber nicht notwendigen Eingriffen hin, wie zum Beispiel Ohrenanlegen. Außerdem seien die Auflagen bei Operationen von Minderjährigen sehr hoch. Weil sie mit unter 18 Jahren nicht voll geschäftsfähig sind, müssen Ärzte auch Eltern umfassend aufklären und einwilligen lassen.

Theoretisch darf jeder Urologe eine Nase richten

Die Altersstruktur der Patienten wird nicht statistisch erfasst. Fest steht: Die Zahl der Schönheits-OPs ist in Deutschland 2018 auf ein Rekordhoch gestiegen. 77.485 Operationen registrierte die Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen in einer offiziellen Ärztebefragung, 9 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei Männern hat sich die Zahl verdoppelt. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein, denn solche Eingriffe darf jeder zugelassene Arzt durchführen – ohne Facharztausbildung. Theoretisch darf auch ein Urologe eine Nase richten. Anfang 2011 erlaubte das Bundesverfassungsgericht sogar einem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen, eine Brustvergrößerung durchzuführen. Dazu kommen Heilpraktiker und Kosmetiker, die Behandlungen mit Botox und Hyaluron praktisch in der Mittagspause anbieten. Mit dem Nervengift Botox werden Falten reduziert, Hyaluron ist eine Säure, die das Bindegewebe straffen kann. Auch Schönheitsoperationen, die Deutsche aus Kostengründen im Ausland machen lassen, werden nirgendwo erfasst.

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Kritik an medial verbreiteten Schönheitsidealen gibt es seit Jahren. Instagram und Youtube wirken wie Brandbeschleuniger, die die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschleiern. Attraktivität ist eine der wichtigsten Währungen im sozialen Miteinander geworden. Es gibt Mädchen, die nur noch im Gehen essen, weil sie glauben, damit mehr Kalorien zu verbrauchen. Es gibt junge Frauen, die sich stündlich aufs Gramm genau wiegen und die in einschlägigen Netzforen Fotos von skelettartigen Anorexiepatientinnen feiern – und die darum wetteifern, wer die meisten Münzen auf seinem Schlüsselbein balancieren kann – die sogenannte „Collarbone Challenge“. Millionen dokumentieren stolz ihren „Thigh Gap“ – die Lücke zwischen ihren im Stand geschlossenen Beinen – oder ihre „Bikini Bridge“ – die herausstehenden Hüftknochen, die die Bikinihose so anheben, dass sie eine Brücke zwischen Unterleib und Höschen bildet.

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Der Druck, optisch mithalten zu müssen, treibt Jugendliche nicht nur zunehmend in die Hände der Körperperfektionisten, sondern auch in die psychosomatischen Kliniken. Die Opfer des Booms landen bei Prof. Burkard Jäger, Ambulanzchef der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er behandelt Patienten mit Essstörungen und krankhafter Körperwahrnehmung. „Das Phänomen hat in den letzten Jahren tatsächlich eine neue Dimension erreicht“, sagt er. Das liege vor allem an der Ausbreitung der sozialen Medien. „Schon Kindergartenmädchen im fünften oder sechsten Lebensjahr machen heute Diäten“, sagt Jäger. Von Störungen beim Körperbild betroffen seien vor allem junge Mädchen mit ungünstigen Sozialisationsbedingungen und mangelhaftem Selbstwertgefühl. „Jeder braucht Anerkennung, aber man kann diese Anerkennung auch durch bestimmte Fähigkeiten erreichen, etwa durch Sport oder ein Musikinstrument. Aber wenn ich nur die Optik habe, um mir Anerkennung zu verschaffen, wird es eng.“

Soziale Medien machen „süchtiger als Zigaretten“, hat eine britische Studie ergeben. Denn sie füllen eine Lücke. Sie täuschen mit verführerischen Äußerlichkeiten Zugehörigkeit vor und machen ihre Nutzer millionenfach zu Selfiesoziopathen im Sog des Selbst. „Wir sind die Stars unserer eigenen Filme“, schreibt US-Autor Jonathan Franzen. Schönheitswahn, Körperkult und Ernährungsobsession haben ihre Wurzeln auch in der „transzendentalen Obdachlosigkeit“, wie der ungarische Philosoph Georg Lukács schrieb. Die zersplitterte Gesellschaft der Postmoderne sehnt sich nach Sinn und Sinnlichkeit, zur Not halt simuliert. Erst allmählich zeigen sich die dunklen Folgen dieses globalen Trends. Die Children’s Society in England hat ermittelt, dass die größte Sorge im Leben von Sechs- bis Zehnjährigen nicht Liebe, Familie, Schule und Freunde sind, sondern das eigene Aussehen.

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Zwei Jahre nach ihrer Brustvergrößerung kam bei Lisa Herkner die große Reue. Nochmal zwei Jahre nahm sie sich daraufhin Zeit, bis sie sich erneut operieren und die Implantate entfernen ließ. Auf ihrem Instagram-Kanal posiert sie weiterhin, mal im Bikini am Strand, mal selbstironisch mit Grimassen im Gesicht oder Luftballons als Brüsten. Gegen Schönheits-OPs grundsätzlich hat sie nichts, „es soll jeder tun, was er möchte“, sagt die 23-Jährige. „Alles, was ich mache, mache ich für mich.“ Ob sie noch einmal etwas machen lassen würde? „Ich habe Hyaluron in den Lippen.“

RND

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