Experte erklärt Ursachen

Fehler im System: Warum italienische Regierungen oft scheitern

Mario Draghi, Ministerpräsident von Italien, winkt am Ende seiner Rede im Parlament.

Mario Draghi, Ministerpräsident von Italien, winkt am Ende seiner Rede im Parlament.

Die Regierung von Mario Draghi in Italien ist gescheitert. Der Ministerpräsident reichte am Donnerstag erneut ein Rücktrittsgesuch bei Staatspräsident Sergio Mattarella ein – und dieser nahm es an. Hintergrund sind unüberbrückbare Differenzen zwischen den Koalitionspartnern, die im Januar vergangenen Jahres als eine Regierung der nationalen Einheit angetreten waren.

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Es ist nicht die erste italienische Regierung, die auseinanderbricht – die Italienerinnen und Italiener hätten sich beinahe schon daran gewöhnt, sagte der in Palermo lebende und arbeitende Politikwissenschaftler Roman Maruhn im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Es sei immer die Frage, wem gegenüber man sich politisch verantwortlich fühlt. Viele Parteien in Italien schauten nicht nach dem Wohl der Bevölkerung, sondern nach eigenen Interessen.

Italienische Bevölkerung nicht im Blick

Das gelte etwa für die Lega oder auch die bislang oppositionellen Fratelli d‘Italia. „Diese Parteien fühlen sich in erster Linie ihrem politischen Klientel gegenüber verantwortlich. Das ist definitiv nicht deckungsgleich mit Italien und den italienischen Bürgern“, so der Politikwissenschaftler. Denn es handele sich um ein Klientel, das in der Regel keinen guten Überblick über die gesamte Lage des Landes und die internationale Position Italiens hätten. „Das sorgt dafür, dass sich im Parteiensystem insgesamt starke Feindbilder aufbauen und Schwierigkeiten entstehen, politische Bündnispartner über die ideologischen Grenzen hinweg zu finden“, so Maruhn.

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Außerdem mangele es an Bindung – zwischen der Wählerschaft, den Parteimitgliedern und ihren Parteien selbst, betonte der Politikwissenschaftler. Es werde zwar auch auf Umfragen geschaut, erklärte er – aber eher zu aktuellen Fragen. „Es geht nicht darum, dass Wähler sich wirklich kontinuierlich über Jahre oder Jahrzehnte hinweg in einem politischen Lager aufgehoben fühlen. Das ist ein Problem, das wir in Italien haben.“

Darüber hinaus sei die italienische Politik sehr stark auf einzelne Personen ausgerichtet, sagte Maruhn. „Es ist verheerend, dass nicht Parteien ihren Chef und ihren Spitzenkandidaten wählen. Stattdessen suchen sich Persönlichkeiten eine Partei, übernehmen sie und machen sie zu ihrem persönlichen Wahlverein.“ Insgesamt habe sich das politische System so entwickelt, dass Parteien völlig unabhängig von den wesentlichen gesellschaftlichen Interessengruppen agieren würden, erklärte der Politikwissenschaftler. „Sie regieren an den Notwendigkeiten, vor denen das Land eigentlich steht, vorbei.“

Maruhn: Neuwahlen im Herbst

Hinzu käme, dass es in Italien lange Zeit gar nicht üblich war, Koalitionsverhandlungen zu führen, um eine Regierung zu bilden, so Maruhn. Das habe sich aber zuletzt geändert – nach den Wahlen 2018, als sich die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega zusammensetzten und am Ende sogar eine Regierung gebildet hätten. „Das war eine ziemliche Neuerung, dass es eben auch so geht.“

Präsident Mattarella löste bereits das Parlament auf und setzte Neuwahlen an - für den 25. September. Laut Politikwissenschaftler Maruhn ist es keine Überraschung, dass nicht erst im März 2023 - ganz regulär - gewählt wird: „Es geht schon wegen demokratischer Fragen nicht, dass man nun sechs, sieben Monate mit einer Regierung arbeitet, die keine klar nachweisbaren politischen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern hat.“

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Ministerpräsident Draghi tritt zurück

Italiens Regierungschef Mario Draghi hat am Donnerstag seinen Rücktritt bei Staatspräsident Sergio Mattarella eingereicht. Das weitere Vorgehen ist nun unklar.

Es werde nun spannend, wie der Wahlkampf ablaufen wird, so der Politikwissenschaftler. „Das ist ein Novum für Italien – wie man es überhaupt schafft, in so kurzer Zeit seine Wähler zu mobilisieren.“ Und es habe sich noch etwas geändert: Früher sei es in Italien üblich gewesen, dass die Parteien bereits vor der Wahl gesagt hätten, wie die Regierung aussehen wird. Nun werde die Wahl zunächst abgewartet, erklärte Maruhn. Es sei aber offen, was die neue Regierung dann am Ende leisten könne.

Italiens Staatschef Sergio Mattarella hatte den Rücktritt von Draghi am Donnerstag angenommen. Der Quirinalspalast in Rom teilte mit, die Regierung bleibe für die Abwicklung der laufenden Geschäfte aber noch im Amt. Zuvor reichte der Ex-Chef der Europäischen Zentralbank wie schon eine Woche vorher sein Rücktrittsgesuch erneut bei dem 80 Jahre alten Oberhaupt der Italienischen Republik ein.

Regierungskrise gefährdet EU und Euro

Italien rutscht damit immer weiter ins politische Chaos. Am Donnerstagvormittag reagierten die Märkte auf die drohende politische Instabilität in der drittgrößten Volkswirtschaft der EU mit einer Abwärtsbewegung. Die Börse in Mailand stand zwischenzeitlich mit 2 Prozent im Minus.

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Der Risikoaufschlag für zehnjährige italienische Staatsanleihen im Verhältnis zu deutschen Staatsanleihen stieg deutlich an. Das hoch verschuldete Italien könnte damit zu einer Gefahr für die EU und den Euro werden, der unter Druck geraten könnte.

„Draghi war definitiv die letzte Hoffnung“

Politikwissenschaftler Maruhn warnte, es sei durchaus möglich, dass sich die Situation Italiens bis zur Wahl weiter verschlechtern könne. „Wir dürfen nicht vergessen: Italien hat eine unglaublich große Staatsverschuldung“, betonte er. „Wenn sich eines Tages die Frage stellt, ob Italien seine Staatsschulden bedienen kann oder nicht, haben wir ein Problem, das wesentlich größer ist als das Problem, das wir damals mit Griechenland hatten.“

Deswegen brauche das Land nun eine politische Führung, die extrem glaubwürdig gegenüber den Finanzmärkten und den politischen Partnern sei, so Maruhn. „Und da war Draghi definitiv die letzte Hoffnung und eine gute Wahl.“ Es sei stark zu bezweifeln, dass eine neu gewählte Regierung diese Position übernehmen könne, erklärte der Politikwissenschaftler.

Mit Material der dpa

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