Drei Wochen Straßenblockaden in Berlin: Was haben die Aktionen bisher gebracht?
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Klimaaktivisten der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ sitzen auf der Fahrbahn der Autobahn 100 vor der Ausfahrt Beusselstraße, um gegen Lebensmittelverschwendung zu protestieren. Die Proteste an Zufahrten zu Autobahnen hatten vorvergangene Woche begonnen.
© Quelle: Carsten Koall/dpa
Berlin. 6 Uhr morgens an einem Kiosk im Berliner Stadtteil Charlottenburg: Ein paar Leute unterschiedlichsten Alters treffen sich. Sie haben Rucksäcke dabei, tragen der Jahreszeit entsprechend dicke Jacken, wärmen sich an Thermosflaschen und plaudern ein wenig. Passanten dürften sie wohl kaum auffallen. Doch was sie vorhaben wird Aufmerksamkeit erregen – so zumindest ihr Plan. An diesem Freitag, dem 11. Februar, wird er nicht gelingen.
Letzte Generation: „Wir machen das nicht zum Spaß“
Die sieben Frauen und Männer sind Klimaktivistinnen und -aktivisten der „Letzten Generation“. Seit drei Wochen blockiert die Gruppe immer wieder die meistbefahrene Autobahn Deutschlands: die Berliner Stadtautobahn. Ihr Motto: „Essen retten, Leben retten“. Ihr Ziel: Die Bundesregierung soll ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung verabschieden, das Supermärkte verpflichten würde, noch genießbares Essen zu spenden.
Um 6.50 Uhr bekommt Aktivistin Lea Bonasera das Startsignal per Telefon. Zum ersten Mal wollen die Aktivisten und Aktivistinnen nicht nur eine Ausfahrt blockieren, sondern direkt auf die Autobahn. „Das bedeutet Aufregung, Stress. Wir machen das nicht zum Spaß, wir wissen uns nicht anders zu helfen“, sagt die 24-Jährige, die im vergangenen Spätsommer schon beim Hungerstreik vor dem Reichstag dabei war.
Bonasera und ihr Mitstreiter Henning Jeschke erzwangen durch den Hungerstreik ein Gespräch mit Olaf Scholz. Im Dezember traf der neu gewählte Bundeskanzler die Aktivistinnen und Aktivisten. Nach dem Termin sagte Jeschke: „Wenn jetzt nicht bis Ende des Jahres etwas passiert, werden wir Deutschland zum Stillstand bringen.“
Zum Stillstand gebracht haben sie bisher nur Teile des Berliner Berufsverkehrs, aber der Aufschrei ist bereits groß.
So sagte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) dem „Tagesspiegel“, dass sie es absolut legitim finde, für sein Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) vertritt auf Twitter eine andere Meinung: „Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig.“
Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) sagte: „Ich glaube, dass Straßenblockaden unserem gemeinsamen Ziel schaden.“ Gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hatte er bereits vor dem Jahreswechsel angekündigt, das „Containern“, also das Retten von weggeworfenen Lebensmitteln, straffrei zu stellen.
Aus anderen Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung erfahren die Blockiererinnen und Blockierer allenfalls verhaltene Zustimmung. Fridays-for-Future-Frontfrau Luisa Neubauer sagte auf eine Frage des RND am Freitag, es sei nicht ihre Aufgabe, über die Legitimität des Protestes zu urteilen. „Ich wünsche mir, dass sich niemand durch die Untätigkeit und Ignoranz der Regierung genötigt sehen muss, sich auf Autobahnen festzukleben. Das macht mich traurig.“
Straßenblockaden als „Akt der Verzweiflung“
Warum aber blockieren sie eine Straße, wenn es doch um Lebensmittelverschwendung geht? „Der Verkehr ist ein wunder Punkt. So bekommen wir die meiste Aufmerksamkeit, in ganz Deutschland spricht man über uns“, erklärt Miriam Leyer (29), eine weitere Aktivistin. „Es ist ein Akt der Verzweiflung“, fügt Aktivist Jacob Hatem hinzu. Die Klimakrise müsse mit allen Mitteln verhindert werde – und es sei nicht mehr viel Zeit, maximal drei Jahre. Die Wut der Autofahrer wolle man dabei nicht auf sich ziehen.
„Es tut uns wirklich leid für sie, wir entschuldigen uns und verteilen Flyer zur Information“, erzählt Leyer. Man habe in Trainings gelernt zu deeskalieren, auch wenn das nicht immer funktioniere.
36 Stunden Einzelhaft als Strafe
Es ist 7 Uhr. Die Aktivisten stehen an der Autobahn, warten bis der morgendliche Berufsverkehr ins Stocken gerät. In den fließenden Verkehr greife man nicht ein. Keine Minute später tauchen zwei Polizeibeamte auf. Die Gruppe beschließt, sich aufzuteilen und den Standort gemächlich zu verlassen – die Polizisten folgen. Auf Höhe des ursprünglichen Treffpunktes, dem Kiosk, wird ein Teil der Aktivisten festgesetzt. Weitere Beamte kommen zur Verstärkung. Es ist Zeit, die Personalien anzugeben.
Die Polizei nahm in den vergangenen Wochen mehr als 200 Anzeigen gegen Blockierer auf, zu Festnahmen oder Personalienfeststellung kam es in rund 170 Fällen. Zuletzt blockierte die „Letzte Generation“ in Berlin rund 30-mal Straßen und Autobahnen.
Währenddessen hat Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) angekündigt, dass die Polizei härter gegen die Blockaden vorgehen werde. An diesem Freitagmorgen scheint sich das zu bewahrheiten.
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Seit einer Woche blockieren Aktivisten der „Letzten Generation" täglich die Berliner Stadtautobahn. Am Freitag schafften es die meisten Gruppen nicht bis auf die Straße. Die Polizei setzte sie vorher fest, wie hier auf der Fußgängerbrücke Goerdeler Steg.
© Quelle: Maria Lentz
„Heute ist kein so guter Tag“, sagt Lea Bonasera. „Aber wir machen weiter, bis unsere Forderungen erfüllt sind. Wir haben uns auf einen Marathon eingestellt.“