Dresden und die Bombennacht: Verbrannte Erde

In der Dresdner Innenstadt erinnern niedergelegte Kränze an die Bombennacht vom 13. Februar 1945. Das Ereignis wird bis heute politisch instrumentalisiert.

In der Dresdner Innenstadt erinnern niedergelegte Kränze an die Bombennacht vom 13. Februar 1945. Das Ereignis wird bis heute politisch instrumentalisiert.

Dresden. Auf dem Altmarkt mitten in der Stadt, wo sie damals die Leichen zu meterhohen Bergen türmten und mehr als 6000 Tote verbrannten, ballt sich an diesem Tag noch einmal alles. Das stille Gedenken. Der Schrecken, der immer noch wirkt, aber im Alltag in Vergessenheit gerät. Die Rituale.

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Und der Streit, der sich in Dresden immer wieder entzündet, wenn es um die Erinnerung geht an jene Tage vor 75 Jahren, in denen die Stadt durch Bombenangriffe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche gelegt wurde.

Das bestehende Denkmal auf dem Dresdner Altmarkt erinnert an die fast 7000 Opfer der Bombenangriffe, die 1945 an dieser Stelle verbrannt wurden – mitten in der Stadt.

Das bestehende Denkmal auf dem Dresdner Altmarkt erinnert an die fast 7000 Opfer der Bombenangriffe, die 1945 an dieser Stelle verbrannt wurden – mitten in der Stadt.

An diesem Jahrestag brechen die Konflikte wieder auf, unversöhnlich wie eh und je. Neu ist nur, dass zum Streit um die Schuld der deutschen Opfer, der zwischen rechts und links seit jeher tobt, eine neue Frage hinzukommt: Hält der Konsens der bürgerlichen Mitte noch, wonach man sich als Lehre aus Weltkrieg und Nazi-Verbrechen strikt von rechts außen abgrenzen muss? Auch in Ostdeutschland, auch nach Thüringen? Wie es dazu kam, dass diese Frage im Raum steht, lässt sich am 13. Februar in Dresden zumindest ahnen.

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Überlebende und Besucher aus Großbritannien und den USA

Dresden hat sich seit jeher schwergetan mit dem Gedenken. Dabei ist das Trauma unbestritten. Rund 25.000 Menschen starben durch britische und amerikanische Bomben, haben Historiker inzwischen rekonstruiert. Den Überlebenden blieb nichts, die Stadt war nie wieder dieselbe.

“Lieber Vati!”, schrieb die kleine Lina Skoczowsky damals auf eine Postkarte. „Deine 3 sind zusammen. Alles verloren.“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zitiert den Satz in seiner Gedenkrede, die er am Nachmittag im Kulturpalast hält, auf den man vom Altmarkt blickt. Unter den 1600 geladenen Gästen sind Überlebende, aber auch Besucher aus Großbritannien und den USA.

Steinmeier, heißt es, habe hohen Druck gespürt, treffende Worte zu finden: zum Gedenken an die deutschen Opfer, die in einem Krieg starben, den Deutschland angezettelt hat.

Gespannt war die Rede aber auch erwartet worden, weil sich zwischen Steinmeiers Ansprache zum Gedenken an “75 Jahre Auschwitz-Befreiung” Ende Januar und diesem 13. Februar unweit von hier ein Tabubruch ereignete, der einen Schatten auf das Gedenken wirft: Konservative und Liberale taten sich in Thüringen mit der Rechtsaußen-AfD von Björn Höcke zusammen, um einen rot-rot-grünen Ministerpräsidenten zu verhindern und einen gemeinsamen Kandidaten zu wählen. Ein Hauch von Weimar lag in der Luft, fanden Kritiker.

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Schon die Nazis hatten die Opferzahlen massiv übertrieben

Sollte der Bundespräsident, obwohl er seit Jahren zur Abgrenzung von Rechtsradikalen und Geschichtsvergessenen aufruft, in Dresden dazu schweigen? Steinmeier will das nicht, er stellt die Verbindung her. Zum Gedenken gehöre, zu “versuchen, die Angst, den Schmerz und die Verzweiflung der Opfer und Hinterbliebenen des Bombenkrieges zu ermessen”. Eine heikle Passage: Von Revisionisten wird seit jeher versucht, Leid und Zahl der Dresdner Opfer mit den Verbrechen der Nationalsozialisten aufzurechnen.

Schon die Nazis hatten 1945 die Zahl massiv übertrieben und von “angloamerikanischem Bombenterror” gesprochen. Zu DDR-Zeiten knüpfte die SED direkt daran an, um den westlichen Imperialismus zu geißeln. Auf dem Heidefriedhof, wo die meisten Opfer bestattet sind, ließ sie die Namen Auschwitz, Leningrad, Coventry und Dresden gleichwertig in Stelen meißeln. Ehe sich Dresden nach der Wende neu sortiert hatte, marschierten Neonazis auf, um deutscher Opfer zu gedenken.

“Vor der Semperoper brannte die Sempersynagoge”

Der regierenden CDU in Stadt und Land fiel kein Mittel dagegen ein, von linker Seite hieß es bald, sie schweige und stärke so die Neonazis. Auch vor dem diesjährigen Gedenktag gab es Protest dagegen, dass erstmals nicht allein die Namen jüdischer Opfer verlesen werden, sondern – auf dem Heidefriedhof – auch die von rund 4000 dort bestatteten Toten aus der Bombennacht.

Steinmeier sagt: “Wen die Bomben trafen, blieb dabei dem Zufall überlassen. Sie gingen auf Kinder, Frauen und Männer nieder, auf Dresdner und auf Flüchtlinge aus Ostpreußen und Schlesien. Sie fielen auf Soldaten wie auf Kriegsgefangene; auf überzeugte Nazis und Gestapo-Leute wie auf Widerstandskämpfer, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.”

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Steinmeier zu Thüringen: “Versuch, die Demokratie von innen zu zerstören”

Der Ausgangspunkt aller Gräuel waren aber die Nazi-Verbrechen, betont er: Vor der Semperoper habe die Sempersynagoge gebrannt. Dann schlägt er den Bogen ins Heute: Die Gefahren “nationalistischer Selbstüberhebung und Menschenverachtung”, von Antisemitismus und Rassenwahn “sind bis heute nicht gebannt”.

Der Wunsch nach Abschottung und autoritärer Politik wachse, auch in Deutschland würden “demokratische Institutionen verächtlich gemacht”, so Steinmeier: “Wenn gewählte Abgeordnete heute die Parlamente, in denen sie sitzen, vorführen und lächerlich machen, dann ist das der Versuch, die Demokratie von innen zu zerstören.” Das Wort Thüringen fällt nicht, aber der Bezug ist klar.

Draußen auf dem Altmarkt kommen solche Worte nicht bei allen gut an. “Das gehört sich nicht”, sagt Stephan Rose, Urdresdner, 39 und im Kreisvorstand der AfD, die hier einen Infostand und drei riesige schwarz-weiße Fotowände aufgebaut hat, die die Leichenberge von Dresden zeigen. “Sehen Sie sich doch all die offiziellen Veranstaltungen heute an”, sagt Rose, “da wird das Gedenken immer mit Tagespolitik vermischt und politisch gedeutet.”

Der Rede des Bundespräsidenten war die AfD deshalb ferngeblieben. An ihrem Infostand fordert sie “eine zentrale Gedenkveranstaltung unabhängig von Tagespolitik und politischer Ansicht” und “ein würdevolles Gedenken der gezählten und ungezählten Opfer”. Eine Anspielung darauf, dass rechte Kreise die wissenschaftliche Opferzahl noch immer gezielt anzweifeln.

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Aber Rose sagt: “Wir wollen nicht über die Zahlen streiten, es geht um würdiges Gedenken, das nicht instrumentalisiert wird wie früher von Nazis und SED – und heute, um uns auszugrenzen.” An den Fotowänden bleiben Passanten stehen, ein Dutzend AfD-Mitglieder steht bereit, um mit ihnen über ein würdiges Denkmal für die deutschen Opfer zu sprechen.

Der Oberbürgermeister von Dresden, Dirk Hilbert, war bereits am Morgen hier, ehe die AfD da war, um an der bestehenden kleinen Gedenkstätte für die Verbrannten Blumen niederzulegen. Der FDP-Mann Hilbert gewann 2015 die Stichwahl als konservativer Kandidat, unterstützt auch von CDU und AfD. Trotzdem musste seine Familie vor zwei Jahren unter Polizeischutz gestellt werden, weil er Hetze und Morddrohungen auf sich gezogen hatte mit dem Satz: “Es gibt immer noch Versuche, die Geschichte umzudeuten und Dresden in einem Opfermythos dastehen zu lassen. Dresden war keine unschuldige Stadt.” Auch an diesem Morgen sagt er: “Dresden darf keine Bühne bieten für Ewiggestrige und Geschichtsleugner.”

So deutlich hat man das aus dem Rathaus früher nicht gehört. “Aber eher, weil die Politik in den 1990er-Jahren damit überfordert war”, sagt Joachim Klose, der zum Altmarkt gekommen ist, um seinen neuesten Versuch zu erklären, die Erinnerung wachzuhalten: Am Ort der Verbrennungen hat die Stadt eine Stele mit einer großen Informationstafel eingelassen. Sie soll den Ort markieren und zugleich dem Wochenmarktbetrieb nicht in die Quere kommen.

Gedenken an die NS-Opfer auf dem Neuen Katholischen Friedhof in Dresden: Joachim Klose, Mit-Organisator der Menschenkette am Abend, und  Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne), Beigeordneter für Stadtentwicklung.

Gedenken an die NS-Opfer auf dem Neuen Katholischen Friedhof in Dresden: Joachim Klose (links), Mitorganisator der Menschenkette am Abend, und Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne), Beigeordneter für Stadtentwicklung.

Die Idee stammt von der überparteilichen Arbeitsgruppe 13. Februar, die sich für ein gemeinsames bürgerschaftliches Gedenken in Dresden engagiert. Ihr Moderator ist Joachim Klose, 55, studierter Physiker und beruflich bei der Konrad-Adenauer-Stiftung – im Grunde ein Konservativer, der schon zu DDR-Zeiten kirchlich engagiert war und seit 1985 begeisterter Dresdner ist.

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Der Streit ums Gedenken führte zu Gewalt

“Dresden hat lange gebraucht, um Formen und Wege dafür zu finden”, sagt er. Anders als in westdeutschen Städten, die im Krieg zerstört worden waren, konnten die Dresdner nie richtig trauern. “Ihr Schicksal wurde sofort für politische Propaganda eingespannt, sodass sie nie emotional damit umgehen konnten.” Als nach der Wende die Neonazis das Gedenken kaperten, eskalierte der linke Widerstand dagegen oft, es kam zu Gewalt. “Auch damit wollten die Bürger und Parteien der Mitte nichts zu tun haben.”

So schwiegen jene, die man die bürgerliche Mitte nennen könnte, sagt Klose. In den Neunzigern sah der normale Dresdner zu, wie seine Stadt wunderschön renoviert und die zerstörte Frauenkirche prunkvoll renoviert wurde. Aber er fühlte sich oft ignoriert und nicht eingebunden. Die neuen Eliten kamen aus dem Westen – und in Dresden hört man das schon am Dialekt. “Es lag Spannung in der Luft.”

Fremdenfeindliche Pegida-Demonstration in Dresden (Foto vom 6. Februar 2016): Ausländerfeindlichkeit in Studien abzufragen ist mitunter knifflig.

Fremdenfeindliche Pegida-Demonstration in Dresden (Foto vom 6. Februar 2016): Ausländerfeindlichkeit in Studien abzufragen ist mitunter knifflig.

Klose überraschte es nicht, dass 2014 Tausende Sachsen zu den Pegida-Demos liefen. “Viele waren keine Rechten wie die Veranstalter, sondern nutzten die Gelegenheit, den Frust auf den Westen loszuwerden.” Pegida sei ein Ventil gewesen – und prompt kam von den Politikern und Medien aus dem Westen wieder das Urteil, dort liefen “Nazis in Nadelstreifen”. Die Entfremdung wuchs, die AfD bot sich als Ostversteher an.

Immerhin hat Dresden inzwischen Wege gefunden, das Gedenken nicht den Neonazis zu überlassen. Vor zehn Jahren kam die AG 13. Februar darauf, eine Menschenkette um die Innenstadt zu bilden. Zunächst, um den Nazis den Weg zu versperren – inzwischen, um ein Signal von Zusammenhalt und Vielfalt zu senden. An diesem Donnerstagabend schließt sich die Kette aus mehr als 10.000 Menschen durch einen Handschlag von Bundespräsident Steinmeier.

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Die AfD nimmt nicht daran teil. AfD-Kreisvorstand Stephan Rose sagt, sie sei ein Symbol der Spaltung. So sehen es auch seine Parteifreunde, die ausschwärmen, um mit den Dresdnern zu sprechen.

Auf dem Heidefriedhof protestiert die Linksjugend gegen die Namensverlesung mit einem Banner: “Deutsche Täter*innen sind keine Opfer – Dresden, deine Nazis haben’s verdient.”

Der Aufmarsch der Neonazis folgt in diesem Jahr zwei Tage später: Die alljährliche Demonstration ist für den Samstag angemeldet. Joachim Klose und seine Mitstreiter mobilisieren für eine Gegendemo. Und am Montag hat sich Björn Höcke zur Montagsdemo von Pegida angekündigt. Der Osten bleibt aufgewühlt, Dresden hat seinen Frieden mit der Geschichte längst nicht gemacht.

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