Empörung über Urteil gegen den türkischen Mäzen Osman Kavala
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Kulturförderer Osman Kavala ist wegen Umsturzversuchs im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten 2013 zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden.
© Quelle: Kerem Uzel/dpa
Athen. Noch während der Urteilsverkündung gegen Kavala kam es im Gerichtssaal des Istanbuler Justizpalastes zu Protesten. Zuhörer riefen Sprechchöre wie „Lang lebe die Freiheit, nieder mit der Tyrannei“ und „Überall ist Taksim, überall ist Widerstand“. Das war eine Anspielung auf die landesweiten Massenproteste gegen die Regierung Erdogan, die 2013 im Gezi-Park am Istanbuler Taksim-Platz ihren Anfang nahmen. Kavala ließ den Demonstranten einen Klapptisch und Gebäck zukommen.
Deshalb befand ihn das Gericht des „Umsturzversuchs“ für schuldig und verurteilte ihn am Montagabend zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen. Das bedeutet, der 64-Jährige kann nicht mit einer Begnadigung rechnen. Er soll bis an sein Lebensende hinter Gittern bleiben. Sieben Mitangeklagte wurden zu je 18 Jahren Haft verurteilt.
Kulturmäzen Kavala zu lebenslanger Haft verurteilt: Baerbock fordert sofortige Freilassung
Die Richter sprachen Kavala des Umsturzversuches im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten von 2013 schuldig.
© Quelle: Reuters
Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Kavala und die anderen Angeklagten können Berufung einlegen. Aber der Weg durch die Instanzen, bis hinauf zum Obersten Gerichtshof, könnte Jahre dauern. Dass ein höheres Gericht das Urteil aufhebt oder gar für Kavalas Freilassung entscheidet, ist unwahrscheinlich. Denn als treibende Kraft hinter der Verfolgung Kavalas gilt Staatschef Erdogan. Özgür Özel, Abgeordneter der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP, kommentierte den Prozessausgang mit den Worten: „Hier hat nicht die Gerechtigkeit gesiegt, sondern der Wille der Person, die dieses Land regiert.“
Erdogan hatte den Mäzen, dessen Stiftung Anadolu Kültür sich für Kulturprojekte in der türkischen Provinz sowie die Aussöhnung von Türken, Kurden und Armeniern einsetzte, seit seiner Verhaftung im Oktober 2017 immer wieder als „Spion“ und „Terrorist“ vorverurteilt. Das Urteil kam deshalb nicht überraschend, wirkte aber dennoch wie ein Schock.
Hier hat nicht die Gerechtigkeit gesiegt, sondern der Wille der Person, die dieses Land regiert.
Özgür Özel,
Abgeordneter der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP
Amnesty International spricht von einer „Justizfarce“ und „politisch motivierten Scharade“. Emma Sinclair-Webb, Türkei-Beauftragte der Organisation Human Rights Watch, nannte das Urteil „den schlimmstmöglichen Ausgang dieses Schauprozesses“. Der Richterspruch sei „schrecklich, grausam und böse“.
Internationale Kritik
Das US-Außenministerium sprach von einer „ungerechten Verurteilung, die unvereinbar mit der Achtung der Menschenrechte, der Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit“ sei. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte, das Urteil stehe „in krassem Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Standards und internationalen Verpflichtungen, zu denen sich die Türkei als Mitglied des Europarats und EU-Beitrittskandidatin bekennt“.
Schon Ende 2019 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Anschuldigungen gegen Kavala als unbegründet beurteilt und seine sofortige Freilassung angeordnet. Weil die türkische Justiz das Urteil ignorierte, leitete der Europarat im Dezember 2021 ein Ausschlussverfahren gegen die Türkei ein. Ob es dazu kommt, ist aber ungewiss.
Erdogan könnte darauf setzen, dass sein Land in der neuen Weltordnung, die durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine entsteht, für den Westen als Sicherheitspartner so unverzichtbar ist wie einst in der Ära des Kalten Krieges. Überdies ist Erdogan jetzt als Vermittler zwischen Moskau und Kiew gefragt. Kein anderer Chef eines Nato-Staates hat so enge Beziehungen zu Kremlchef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wie er. Damit ist er ein Mann, den man nicht einfach ausgrenzen kann.
Das zeigte sich auch am Montag. Während die Richter im Istanbuler Justizpalast über das Schicksal des Philanthropen Kavala berieten, empfing Erdogan in Ankara den UN-Generalsekretär. Antonio Guterres habe sich bei Erdogan für dessen Bemühungen um eine Beendigung des Krieges in der Ukraine bedankt, meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Der Fall Kavala kam offenbar nicht zur Sprache.