Frankreich fürchtet den Energienotstand im Winter
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Das französische Kernkraftwerk in Cattenom besteht aus vier Druckwasserreaktoren. Frankreich bezieht 70 Prozent seines Stroms aus Atomkraft.
© Quelle: imago stock&people
Paris. Wenn Emmanuel Macron eine Sitzung des „nationalen Sicherheitsrates“ ankündigt, bedeutet das: Die Lage ist ernst. Eigentlich wird dieses Format bei militärischen Krisensituationen einberufen, zuletzt anlässlich des Ukraine-Kriegs. Auch während der Hochphase der Coronavirus-Pandemie gab es diese regelmäßigen Sitzungen mit einem kleinen Kreis an Ministern und Fachleuten. Am Freitag berät ein „nationaler Sicherheitsrat“ erstmals über den drohenden Mangel von Gas und Strom. Frankreichs Präsident macht das Thema damit zur Chefsache, nachdem er vor ein paar Tagen ein „Ende des Überflusses und der Sorglosigkeit“ angekündigt hat.
Die Regierung arbeitet an einem Energiesparprogramm mit dem Ziel, den Verbrauch dauerhaft um 10 Prozent gegenüber 2019 zu senken. Ein mehrstufiger Krisenplan macht die zu treffenden Maßnahmen von der Angespanntheit der Lage abhängig. Er setzt zunächst auf freiwillige Einsparungen mit finanziellen Anreizen, bevor es zu graduellen Einschränkungen kommt. Als letzte Stufe ist das zeitweise Abschalten vorgesehen. Bei einer Rede vor dem französischen Arbeitgeberverband Medef rief Premierministerin Élisabeth Borne zu einer „radikalen“ Drosselung des Energiekonsums auf. „Sollte es zu Rationierungen kommen, wären die Unternehmen als erste betroffen“, warnte Borne. Privathaushalte und als kritisch eingestufte Industrien sollen hingegen verschont bleiben.
Massive Unterstützung läuft im Winter aus
Frankreich deckelt bereits seit vergangenem Herbst die Energiepreise, sodass die Steigerung 4 Prozent nicht übersteigt. Ohne diese Maßnahme hätte sie laut der Energieregulationsbehörde CRE 105 Prozent betragen. Offenkundig will die Regierung ein erneutes Aufflammen von Protesten wie der Gelbwesten um jeden Preis verhindern. Anlass für das Entstehen der Widerstandsbewegung war im Herbst 2018 eine geplante Ökosteuer auf Kraftstoff. Die Kosten der aktuellen Deckelung für den Staat beliefen sich allein bis Juli auf 20,7 Milliarden Euro.
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Nun bereitet die Regierung die Französinnen und Franzosen darauf vor, dass die massive Unterstützung im Winter auslaufen muss. „Für die Schwächsten“, so Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, gebe es weiter Hilfen, für die anderen würden „die Erhöhungen in Schach gehalten“.
Die für die kalten Monate befürchtete Energiekrise in Frankreich hat dabei nur teilweise mit dem Ukraine-Krieg zu tun. Zwar stellt der russische Gazprom-Konzern ab dem heutigen Donnerstag seine Gaslieferungen an die französische Engie-Gruppe ein. Doch diese versichert, die Gasspeicher seien zu 90 Prozent gefüllt. Bislang bezog Frankreich knapp 20 Prozent seiner Gasimporte aus Russland.
Bundesnetzagentur zeigt sich zufrieden mit Befüllung der Gasspeicher in Deutschland
Die Folgen der angekündigten Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1 durch Russland lassen sich der Agentur zufolge noch nicht abschätzen.
© Quelle: Reuters
Abhängigkeit von einem anfälligen Atompark
Bedrohlicher sind hingegen die Probleme mit der eigenen Stromerzeugung. Im französischen Energiemix macht die Atomkraft rund 70 Prozent aus. Doch aufgrund von Wartungsarbeiten sowie von Rissen und Korrosion stehen derzeit 32 der insgesamt 56 Reaktoren still. Dem Energieexperten Yves Marignac von der Vereinigung Négawatt zufolge wird die Stromproduktion auf unter 50 Prozent des Vorjahresniveaus fallen – eine nie dagewesene Situation, die das Land im Winter in große Bedrängnis bringen könnte: „Alles wird von möglichen Kältewellen abhängen, denn das französische Stromsystem ist stark dem Heizbedarf unterworfen.“
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Putin und das Gas: Er drückt wieder den Angstknopf
Erneut setzt Russland die ohnehin schon gedrosselten Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 ganz aus. Für ein paar Tage nur, versichert Moskau. Doch in Deutschland und Europa wächst die Sorge, dass die Energieversorgung ins Wanken gerät. Dabei hat der Kremlherr nicht alles in der Hand.
Tatsächlich laufen viele Heizungen in Frankreich elektrisch – Strom galt stets als billig und unendlich verfügbar. Doch im ersten Halbjahr 2022 war Frankreich nur noch der zweitgrößte europäische Stromexporteur nach Schweden. Sogar im Sommer musste es massiv importieren, unter anderem aus Deutschland. Marignac kritisiert deshalb die „wachsende Abhängigkeit der Stromsicherheit von einem anfälligen Atompark“ und appelliert an die Politik, die erneuerbaren Energien stärker auszubauen. Das hat Präsident Macron zwar angekündigt, möchte aber zugleich 52 Milliarden Euro in den Bau von sechs neuen Reaktoren investieren. Fertiggestellt sein dürften sie nicht vor 2035.
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