Wo bleibt das Gas aus Zypern?
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Das Bohrschiff „Tungsten Explorer“ ist vor der Küste von Dbayeh, Libanon, zu sehen. Das Schiff hat im Mai 2022 mit der Bohrung Cronos-1 vor Zypern begonnen. Jetzt wurde dort ein Gasfeld mit rund 70 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefunden.
© Quelle: Bilal Hussein/AP/dpa
Am Montag meldete die zyprische Energieministerin Natasa Pilides einen „bedeutenden Fund“: 160 Kilometer vor der Südküste der Insel stießen die Energiekonzerne Eni und Total Energies mit ihrem Bohrschiff „Tungsten Explorer“ in einer Tiefe von 2300 Metern unter dem Meeresboden auf ein Erdgasfeld. Das Vorkommen, das den Namen Cronos-1 hat, wird auf mindestens 70 Milliarden Kubikmeter geschätzt, könnte aber nach Expertenmeinung wesentlich größer sein. Eine weitere Bohrung in der Nachbarschaft soll jetzt Klarheit über die Größe des Gasvorkommens bringen.
Cronos-1 ist bereits der vierte Erdgasfund vor Zypern. Schon 2011 wurde im Südosten der Insel die Lagerstätte Aphrodite entdeckt. Ihr Volumen wird auf rund 130 Milliarden Kubikmeter geschätzt. „Innerhalb von drei bis fünf Jahren können wir mit der Förderung beginnen“, sagte damals Solon Kassinis, Abteilungsleiter für Energie im zyprischen Wirtschaftsministerium.
Zyperns Vorräte sind beträchtlich
Elf Jahre sind seitdem vergangen, aber das Gas lagert immer noch unter dem Meeresboden. Dabei wäre gerade jetzt Erdgas aus einem EU-Land wie Zypern als Ersatz für ausbleibende Lieferungen aus Russland besonders willkommen. Zyperns Vorräte sind beträchtlich: Im Februar 2018 entdeckten die italienische Eni und die französische Total in ihrem Konzessionsgebiet nordwestlich von Aphrodite die Lagerstätte Calypso. Sie wird auf ein Volumen von 180 Milliarden Kubikmeter geschätzt.
Im Jahr darauf bohrte Exxon Mobil etwas weiter südlich die Gaslagerstätte Glaucus an. Hier lagern rund 200 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Unter dem Strich sind bisher vor den Küsten Zyperns nahezu 600 Milliarden Kubikmeter Gas nachgewiesen. Das entspricht fast dem Sechsfachen der Menge, die Deutschland im vergangenen Jahr verbrauchte. Damit hat die Inselrepublik das Potenzial, zu einem wichtigen Gaslieferanten für Europa zu werden.
Gas wird in Europa noch teurer
Grund ist wohl die Unterbrechung der russischen Lieferungen nach Europa durch die Pipeline Nord Stream 1.
© Quelle: dpa
Größtes Hindernis: der Zypernkonflikt
Energieministerin Pilides ist optimistisch: 2027 werde die Insel mit dem Export von Erdgas aus dem Aphrodite-Feld beginnen. Die Ministerin glaubt auch, Abnehmer zu haben: „Europa ist ein guter potenzieller Kunde für zyprisches Erdgas, weil Gas bis 2049 ein Brückentreibstoff bleiben wird“, so Pilides. Bis Ende dieses Jahres will der Energiekonzern Chevron, der gemeinsam mit Shell und der israelischen New Med die Konzession für das Aphrodite-Feld hat, ein Konzept zur Entwicklung des Vorkommens vorlegen. Es soll auch die bisher unbeantwortete Frage klären, auf welchen Wegen das Gas exportiert werden kann.
Größtes Hindernis bei der Ausbeutung der Gasfelder ist der ungelöste Zypernkonflikt. Die Insel ist zweigeteilt, seit die Türkei im Sommer 1974 den Norden besetzte, um eine befürchtete Annexion durch Griechenland zu verhindern. Ankara erhebt Ansprüche auf Teile der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), die Zypern nach der UN-Seerechtskonvention zusteht. Zu den von der Türkei beanspruchten Gebieten gehören auch Teile des Blocks sechs, in dem jetzt die Lagerstätte Cronos-1 entdeckt wurde.
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Ansturm auf Kohlebriketts in Brandenburg: „Menschen weinen am Telefon“
Brennholz, Heizlüfter und Kohle sind gefragt wie nie. Um sich auf mögliche Engpässe im Winter vorzubereiten, legen die Brandenburger Vorräte an. Kohlehändler berichten von verzweifelten Anrufern. Die Leag in Spremberg kommt mit dem Nachschub an Briketts kaum hinterher.
Eine Förderung scheiterte bisher aber auch daran, dass Zypern elf Jahre nach dem ersten Gasfund immer noch kein brauchbares Konzept für eine Infrastruktur entwickelt hat. Lange setzte man auf die East-Med-Pipeline. Die 1900 Kilometer lange Leitung sollte Gas aus den Fördergebieten vor Zypern und Israel über Griechenland nach Italien bringen, wo es in das europäische Netz eingespeist werden könnte. Die Türkei hat jedoch Einspruch gegen die Pipeline angemeldet, weil sie durch ein Seegebiet führen soll, das Ankara als eigene Wirtschaftszone beansprucht. Auch die Wirtschaftlichkeit des Projekts, das auf 6 bis 7 Milliarden Dollar veranschlagt wird, ist zweifelhaft. Im Januar zogen deshalb die USA ihre Unterstützung für die Pipeline zurück. Damit gilt das Projekt als gestorben.
Expertinnen und Experten sind skeptisch
Damit bleibt nur der Export als verflüssigtes Erdgas (LNG). Pläne für ein LNG-Terminal bei Vassilikos an der Südküste Zyperns wurden schon Anfang der 2010er-Jahre erwogen, aber nie umgesetzt. Jetzt wird diskutiert, das Gas aus den Lagerstätten vor Zypern zum LNG-Terminal im ägyptischen Idku zu pumpen, es dort zu verflüssigen und mit Tankern zu exportieren. Mitte Juni unterzeichnete EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen eine Absichtserklärung mit Israel und Ägypten. Sie sieht Exporte von israelischem Gas über das LNG-Terminal in Ägypten vor. So könnte es auch Zypern machen. Dazu müsste man allerdings eine Pipeline aus den Fördergebieten vor Zypern nach Ägypten bauen und die Kapazitäten in Idku erweitern.
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Bei allen Entscheidungen für die Erschließung der zyprischen Vorkommen und den Ausbau einer Exportinfrastruktur stellt sich für Investoren die Frage, wie lange Erdgas überhaupt noch genutzt werden soll. Nach den Modellrechnungen der EU-Kommission dürfen im Jahr 2030 maximal 22 Prozent des Bruttoinlandsenergieverbrauchs auf Erdgas entfallen. 2050 soll ganz Schluss sein. Ob die in Zypern konzessionierten Konzerne vor dem Hintergrund der EU-Klimaziele bereit sein werden, jetzt Milliarden in eine Gasförderung zu investieren, die frühestens 2027 beginnen kann, bleibt abzuwarten.
Manche Expertinnen und Experten sind skeptisch. Der EU-Klimaschutz-Zeitplan mache die Erschließung neuer Gasfelder und Projekte wie die East-Med-Pipeline unwirtschaftlich, meint Charles Ellinas, CEO des zyprischen Energieberatungsunternehmens e-CNHC. Auch Moritz Rau, der bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zu Energiefragen im östlichen Mittelmeer forscht, hält den Bau neuer Transportinfrastrukturen nicht für sinnvoll. In einem Papier plädiert Rau dafür, den Stromhandel zu intensivieren, statt neue Pipelines zu bauen. Unterwasserkabel wie der geplante Euro Asia Interconnector und der Euro Africa Interconnector könnten Ökostrom aus Israel und Ägypten nach Europa bringen, meint Rau.
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